Die Laune der deutschen Wirtschaft ist mies. Niemand möchte jedoch wirklich von einer Wirtschaftskrise sprechen. Dennoch gibt es genügend Indizien.
München – Eine Wirtschaftskrise ist Definitionssache. Ökonomen haben klare Parameter, die gemessen werden können und die am Ende eine eindeutige Antwort geben. Häufig ist an vorderster Front vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) die Rede, der wichtigste Indikator zum Stand der Wirtschaft. Und in Deutschland stagniert das BIP gerade. Das ist nicht gut, reicht aber noch nicht aus, um von einer Rezession zu sprechen. Also tun wir es auch nicht, zumindest nicht 2024.
Definition einer Wirtschaftskrise am BIP – es gibt aber auch andere Merkmale
Die anderen Merkmale einer Krise sind aber genauso relevant: steigende Arbeitslosigkeit, sinkender Konsum, Zurückhaltung bei Investitionen. Hier sieht es anders aus. Die Arbeitslosigkeit ist zuletzt gestiegen. Die Quote ist niedrig, gerade mal 3,4 Prozent ist nicht viel. Trotzdem, es sind wieder mehr Menschen arbeitslos und gleichzeitig ist die Zahl der Stellenangebote zurückgegangen. Auch das ist ein Zeichen. Der private Konsum ist zuletzt noch gestiegen, allerdings sind auch die Preise auf einem Höchststand. Und die Investitionen gehen auch zurück.
Irgendwas stimmt also nicht mit der deutschen Wirtschaft. Von Krise ist aber keine Rede. Wirtschaftsflaute, ja, davon ist die Rede. Oder von einer „Wirtschaft in der Defensive“. Sie „kommt nicht in Gang“, es „fehlt ihr an Schwung“. Aber eine Krise?
Wir haben nachgefragt bei dem Ökonomen Clemens Fuest, Präsident des renommierten Münchener Ifo Instituts. „Nein, es ist keine Wirtschaftskrise“, sagt er zuerst. Denn davon spreche man erst, wenn man „eine Phase mit deutlich negativer Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts“ sehe. Dies treffe in Deutschland aktuell nicht zu, das BIP stagniert. „Das ist keine erfreuliche Entwicklung, aber es ist eben eine Stagnation, keine Krise, jedenfalls nicht nach der üblichen Definition“, so Fuest.
Wirtschaftskrise 2024? Arbeitslosigkeit steigt wieder an
Dabei gäbe es schon Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass wir einer Wirtschaftskrise entgegenlaufen. Ein Blick auf das Arbeitsmarktbarometer des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) offenbart einen Arbeitsmarkt im Sinkflug. Das Institut schreibt zwar in ihrem Bericht vom Juli 2024, dass das Barometer „im leicht positiven Bereich“ liegt. Doch schreiben die Forscher ebenfalls: „Die Aussichten bleiben aber weiterhin pessimistisch.“
„Der Arbeitsmarktausblick tritt seit einem Jahr weitgehend auf der Stelle. Konjunkturelle Impulse wären wichtig“, sagt Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen am IAB, laut Mitteilung. „Die Arbeitslosigkeit könnte etwas langsamer steigen, aber für eine Trendwende reicht es im Moment nicht“, so Weber.
Weitere Indikatoren für einen schwachen Arbeitsmarkt sind die Meldungen über Stellenabbau in wichtigen Sektoren des Landes. Zu den Unternehmen, die in den vergangenen zwei Wochen einen Stellenabbau angekündigt oder schon vollzogen haben, gehören: Bayer (5000 Stellen), Tesla (400 Stellen), Infineon (15.000 Stellen), Intel (15 Prozent der Stellen), ZF Friedrichshafen (11.000 bis 14.000 Stellen), Deutsche Bahn (30.000 Stellen).
Höhere Arbeitslosigkeit, mehr Insolvenzen: Deutsche Wirtschaft unter Druck
Was die Lage noch schlimmer macht: Die Mitarbeitenden, die ihren Job jetzt verlieren, finden schwer eine neue Stelle. Denn die Zahl der gemeldeten Stellen ist zurückgegangen, wie Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen:
Unternehmen stellen also weniger ein, trotz Fachkräftemangel. Eigentlich brauchen die Firmen also dringend Nachwuchs für die Babyboomer, die nach und nach in Rente gehen. Doch wenn die Firmen um ihre Umsätze bangen, dann wird nicht in neues Personal investiert.
Dass Unternehmen um ihre Umsätze bangen müssen, zeigt auch ein weiterer Indikator für eine Krise der Wirtschaft: die Zahl der Insolvenzen. Im Juli 2024 ist die Zahl der Unternehmenspleiten nämlich deutlich gestiegen, eine Fortsetzung des Jahrestrends. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es 13,5 Prozent mehr Insolvenzen, im Juni waren es 6,3 Prozent mehr, im Mai sogar 30,9 Prozent mehr.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) wertete den Anstieg als Zeichen für die angespannte wirtschaftliche Situation. „Entlastungen bei Energiekosten, Steuern, Bürokratie und schnellere Genehmigungs- und Planungsverfahren sind dringend nötig, um den Betrieben wieder bessere Voraussetzungen für geschäftlichen Erfolg zu geben“, erklärte DIHK-Mittelstandsexperte Marc Evers dazu.
Investitionen gehen zurück seit 2020 in Deutschland zurück
Unternehmen sparen also am Personal, die Insolvenzen steigen – natürlich gehen da auch die Investitionen zurück. Und zwar schon seit 2020 relativ konstant, wie auch hier Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen:
Dadurch droht Deutschland noch weiter in die Krise zu rutschen. Investitionen führen zu Aufträgen, die Menschen in Arbeit bringen, was ihnen mehr Geld am Monatsende bringt, weshalb der Konsum steigt und das BIP wieder wächst.
Ifo-Institut misst Geschäftsklima: Unternehmen deuten auf Wirtschaftskrise hin
Damit Unternehmen aber wieder investieren, dafür müssen die Anreize stimmen. Um es anders zu formulieren: Geschäftsführer und Entscheidungsträger müssen den Eindruck haben, dass sich ihre Investition lohnen wird und die Umsätze auf lange Sicht gesehen steigen werden. Das Risiko, einen Verlust zu machen, muss auf einem Tiefstand sein. Dass die Stimmung gerade darauf nicht ausgerichtet ist, zeigt ein Blick in den Index des Ifo-Geschäftsklimas.
Besonders aufschlussreich ist die „Heatmap“ des Instituts, die die Lage in den verschiedenen Branchen farblich kennzeichnet: Dunkelrot für Boom, hellrot für Erholung, hellblau für Abkühlung und dunkelblau für Krise.
Während 2016 bis 2018 das Feld ziemlich dunkelrot aussah – bis auf einzelne Branchen – hat sich die Lage 2024 durch die Bank weg dunkelblau eingefärbt. Lediglich in folgenden Branchen sprechen die Unternehmen von Erholung oder Boom:
- Pharma
- Sonstiger Fahrzeugbau
- Mineralölverarbeitung
- Steuerberatung
Nach Ansicht der Unternehmen befindet sich Deutschland also schon in einer Krise. Vielleicht ist sie (noch) nicht so tief, wie wir es aus 2008 oder in der Nachwendezeit kennen. Vielleicht muss es aber gar nicht erst so weit kommen – wenn jetzt ein Konjunkturprogramm auf den Tisch kommt, das die Investitionen wieder attraktiv macht.
Das findet auch ifo-Präsident Clemens Fuest. Auch wenn die Wirtschaft nach offizieller Definition stagniert und nicht in der Krise ist, müsse die Politik handeln. „Vor allem die Investitionen der Unternehmen und im Wohnungsbau sind niedrig. Das sollte für die Politik Anlass genug sein, entschlossen zu handeln“, sagt er zu IPPEN.MEDIA. „Die Bundesregierung hat ja ein Paket mit 49 Maßnahmen vorgelegt, die durchaus geeignet sind, das Wachstum anzuregen. Das kann allerdings nur ein erster Schritt sein, weitere und entschlossenere Maßnahmen sollten folgen.“