Die Bundesbank hat analysiert, warum die Produktivität in Deutschland kaum noch wächst. Ein wichtiger Grund sei die Nullzinspolitik. Doch es gibt ein weiteres, weitgehend unbeachtetes Hemmnis, das Wachstum verhindert – wenn die Politik nicht handelt und damit vielen weh tun würde.
Durch Arbeit lässt sich Einkommen erzielen. Doch damit daraus auch Wohlstand erwachsen kann, braucht es etwas Weiteres: steigende Produktivität. Nur wenn Arbeitnehmer, Unternehmen und Volkswirtschaften immer effizienter werden, kann auch der Lebensstandard steigen. Doch gerade bei der Produktivität gibt es seit nunmehr zwei Jahrzehnten in Deutschland und Europa kaum noch Fortschritte.
Die Bundesbank hat ihre Ökonomen daher jetzt untersuchen lassen, woran das liegt, und wie der Trend umgekehrt werden könnte. Wie so oft, gibt es dabei nicht einen Grund, sondern die Ursachen sind vielschichtig.
So dürften die Finanz- und Schuldenkrise sowie die jahrelange Nullzinspolitik ihren Anteil daran haben. Doch als weiterer Faktor wirkt offenbar die Demografie – und dies droht den Stillstand auf viele Jahre festzuschreiben. Helfen könnten nur schnelle und wirksame Strukturreformen, so die Bundesbank.
Noch in den Siebzigerjahren wuchs die Produktivität in den großen europäischen Ländern um zwei bis vier Prozent pro Jahr. Doch seither ging es stetig abwärts, und seit nunmehr 20 Jahren legt sie fast durchgängig nur noch um weniger als ein Prozent zu.
Gleichzeitig ist in dieser Zeit die Spannbreite des Effizienzniveaus unter den Unternehmen gewachsen. Es gibt also gleichzeitig hocheffiziente und wenig effiziente Firmen.
Das jedoch ist ein Problem, denn unter normalen marktwirtschaftlichen Bedingungen müssten die wenig effizienten durch neue, effizientere aus dem Markt gedrängt werden. Die Arbeitskräfte würden dann von den gescheiterten zu den neuen Firmen wechseln und diese stärken. „Markteintritte und -austritte von Unternehmen sind daher von großer Bedeutung für den gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt“, so die Ökonomen der Bundesbank.
Doch seit Jahren gibt es zum einen immer weniger Insolvenzen – in Deutschland ging ihre Zahl zwischen 2004 und 2023 um 55 Prozent zurück, und auch die Zahl der Betriebsaufgaben sank in diesem Zeitraum um 30 Prozent. Das wird in der Öffentlichkeit natürlich meist positiv gesehen, doch die Kehrseite davon ist, dass es auch immer weniger neue, produktivere Unternehmen gibt.
Zwischen 2004 und 2014 sank die Zahl der jährlichen Gewerbeanmeldungen von Betriebshauptniederlassungen um 30 Prozent auf rund 86.000 pro Jahr. Auf diesem Niveau stagniert die Zahl seither, obwohl zwischen 2014 und 2019 Hochkonjunktur herrschte.
Die Wirtschaft ist also deutlich träger geworden, teilweise wie erstarrt. Als Folge wächst die Produktivität kaum noch, und der Wohlstand ebenso wenig. Doch warum ist das so? Es gibt dafür zum einen konjunkturelle Gründe, zum anderen strukturelle.
Zu den konjunkturellen zählen die Ökonomen der Bundesbank die Verwerfungen aufgrund der Finanzkrise und der anschließenden Staatsschuldenkrise in Europa. Solche Krisen führen zu Verunsicherung und somit zu weniger Unternehmensneugründungen. Gleichzeitig verhinderten Stützungsmaßnahmen durch die Regierungen vielfach Insolvenzen.
Bei den strukturellen Gründen gehen die Ökonomen insbesondere auf die Niedrigzinspolitik der Notenbanken ein. Verschiedene empirische Studien deuten an, dass die lang anhaltende expansive Geldpolitik im Euroraum die Unternehmensdynamik belastet haben könnte.
„Mikrodaten für zwölf EU-Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, geben Hinweise darauf, dass infolge der geldpolitischen Ausrichtung im Nachgang der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise der Anteil von unprofitablen Unternehmen mit Zugang zu günstigen Finanzierungsbedingungen anstieg“, schreiben sie.
Zudem gebe es Hinweise, dass dies mit einer geringeren Rate von Unternehmenseintritten und -austritten verbunden war. „Dieser Befund könnte erklären, weshalb die Unternehmensdynamik im Euroraum – trotz der breit angelegten konjunkturellen Aufwärtsbewegung – in der Niedrigzinsphase kraftlos blieb“, heißt es weiter.
Was die Bundesbank hier so zurückhaltend formuliert, wird unter Ökonomen seit Längerem unter dem Stichwort „Zombifizierung“ diskutiert – Firmen, die unter normalen Umständen längst insolvent gewesen wären, wurden durch die Niedrigzinsen am Leben erhalten, geisterten also quasi als Untote durch die Unternehmenslandschaft und verhinderten eine Bereinigung und damit eine Produktivitätssteigerung.
Inzwischen haben sich die Zinsbedingungen komplett gedreht, und tatsächlich ist die Zahl der Insolvenzen zuletzt wieder gestiegen. Bei den Firmenneugründungen gibt es dagegen bisher noch keine Wende, allerdings dürfte hier die schlechte Konjunktur ein wesentlicher Grund sein.
Aber es könnten auch noch weitere Ursachen im Spiel sein, die hier eine Wende verhindern, und eine entscheidende liegt nach den Erkenntnissen der Bundesbank in der Demografie. „Mit der Alterung einer Bevölkerung sinkt tendenziell das Arbeitsangebot“, schreiben die Ökonomen.
Auch lasse in einer alternden Gesellschaft tendenziell Innovationstätigkeit und Risikobereitschaft nach. „Diese Faktoren spielen aber eine Schlüsselrolle bei der Gründung von Unternehmen“, so die Bundesbanker weiter. In ökonometrischen Simulationen haben sie zudem einen Zusammenhang zwischen der Demografie und der Zahl der Unternehmensgründungen gezeigt.
Schließlich sehen die Bundesbanker eine weitere Ursache für die geringen Fortschritte bei der Produktivität. „Ausufernde Regulierung und mangelnde institutionelle Qualität dürften sich ebenfalls negativ auf die Unternehmensdynamik im Euroraum auswirken“, schreiben sie – und fordern genau hier Maßnahmen.
Denn die demografische Entwicklung lässt sich allenfalls sehr langfristig beeinflussen. Das regulatorische Umfeld könnten die Regierungen dagegen schnell verbessern. „Strukturreformen stellen ein Schlüsselelement staatlicher Handlungsmöglichkeiten dar“, so die Ökonomen.
Damit wissen sie sich in einem Lager mit vielen anderen Ökonomen, aber auch mit dem Unternehmenssektor selbst. Denn eine Umfrage der WELT AM SONNTAG unter den 40 Dax-Konzernen hat erst am Wochenende gezeigt, dass diese vor allem die überbordende Bürokratie für ein Wachstumshemmnis halten.„Mutige Entbürokratisierung wäre ein echtes Konjunkturprogramm“, sagte dabei beispielsweise Hans Dieter Pötsch, Chef der Porsche SE.
Eifer für Reformen ist seit Jahren komplett erlahmt
„Beim Thema Genehmigungsverfahren hat Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor Nachholbedarf“, hieß es von Siemens Energy. Der Softwarekonzern SAP forderte, Digitalisierung wieder zu einer echten Priorität zu machen. „Hierzu gehört, die digitale Infrastruktur konsequent auszubauen, die Verwaltung von analog zu digital zu transformieren und dabei Verfahren deutlich zu beschleunigen.“
Doch letztlich ist das eigentliche Problem, dass eigentlich allen klar ist, was geschehen müsste, dass aber zu wenig umgesetzt wird, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. So macht die Europäische Kommission immer wieder Vorschläge, was verändert und reformiert werden müsste. Doch Analysen zeigen, dass rund um die Finanz- und Staatsschuldenkrise vieles davon umgesetzt wurde. Doch in den vergangenen Jahren ist der Reformeifer gedämpft und oft sogar komplett erlahmt. Und Deutschland macht da keine Ausnahme.