Die EU will mehr Geld für Rüstungsproduktion ausgeben – und hat dabei gleich mehrere Probleme: Sie darf weder NATO noch Nationalstaaten unterlaufen und muss auch bei der Kostendeckung findig sein.
Ein Hin und Her auf der Bühne des Pressesaals im Berlaymont: Drei EU-Kommissare, die abwechselnd versuchen zu erklären, weshalb sich in Europas Verteidigungspolitik dringend etwas ändern muss – dann aber alle drei nacheinander zugestehen, dass sie für das Thema eigentlich gar nicht zuständig sind. „Es geht hier in keinster Weise darum“, beteuerte Binnenmarktkommissar Thierry Breton, „dass den Mitgliedsländern die Zuständigkeit in Sachen Verteidigung genommen werden soll“. Auch wenn das von interessierter Seite unterstellt werde. Und Josep Borrell, Vizepräsident der EU-Kommission und Hoher Vertreter für Außen- und, immerhin, auch Sicherheitspolitik, also zumindest vom Titel her teilweise zuständig, stieß in das gleiche Horn: „Breton ist nicht Kommissar für Verteidigung!“
Das sollte beruhigend klingen, war aber eine Reaktion auf die Kritik, die aus Europas Hauptstädten schon vor Veröffentlichung der neuen Kommissionsstrategie für die Rüstungsindustrie gekommen war. Auch aus NATO-Kreisen hatte es kritische Stimmen gegeben, weshalb sich Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an dieser Front um Schadensbegrenzung bemühte. Die Europäer blieben bei allen Bemühungen um Rüstungs-Autonomie „voll und ganz der NATO treu“, versicherte die Dänin.
Das Ziel: Waffen „Made in Europe“
Dass Kommissar Breton einige Monate zuvor sogar von der aus seiner Sicht nötigen Umstellung Europas auf „Kriegswirtschaft“ gesprochen hatte, ruft bis heute distanzierte Reaktionen hervor, wenn der Franzose sich um sicherheitspolitische Fragen kümmern möchte. Auch deshalb wurden die Ziele dieses Mal etwas bescheidener formuliert. Europas Rüstungsindustrie soll unabhängiger von den USA werden und sie soll mit öffentlichen Geldern unterstützt werden auf dem Weg zu mehr und schnellerer Produktion von Waffen und Munition. Das ist der Kern der lange erwarteten und von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen selbst wortreich angekündigten neuen Strategie für Europas Rüstungsindustrie.
Mehr Waffen „Made in Europe“ – so lautet das Ziel. Das war bisher nicht der Fall. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor gut zwei Jahren, rechnet Kommissar Breton vor, hätten die Europäer 68 Prozent der an Kiew gelieferten Waffen in den USA neu beschafft. Mit europäischen Steuergeldern, aber nicht bei europäischen Rüstungsfirmen, was ihn besonders ärgert. Er kontert mit neuen Programmen, die er wie üblich in Brüssel abkürzt – EDIP (European Defense Industry Programme) heißt eines. Darin ist das Ziel formuliert, dass die Europäer bis 2030 „mindestens 50 Prozent ihres Beschaffungsbudgets für Verteidigung“ in Rüstungsunternehmen investieren, die in Europa ansässig sind.
Geld aus dem laufenden EU-Haushalt
Auch neue Subventionen soll es geben, die Kommission will der Rüstungsindustrie unter die Arme greifen. 1,5 Milliarden Euro will man aus dem laufenden Haushalt bereitstellen – das ist nicht viel, wenn es um Waffenproduktion geht. Ohnehin stellt sich die Frage, warum einer Branche mit Steuergeldern geholfen werden soll, die in den Kriegsjahren Rekordgewinne verbuchen konnte. Im Gespräch ist auch der Wegfall der Mehrwertsteuer, wenn mehrere europäische Mitgliedsländer sich entscheiden, gemeinsam Waffen zu beschaffen.
Dass nationale Alleingänge hier immer noch die Regel sind, ist aus Vestagers Sicht ein großes Problem. Sie kritisiert das als „wenig effektiven Einsatz von Steuergeldern“. Richtige Fortschritte hat man bei der Beseitigung des Problems allerdings noch nicht erzielen können.
Bei der Beschaffung der in der Ukraine dringend benötigten Artilleriemunition wurde ein solches neues Modell der Zusammenarbeit ausprobiert. Eine Million Geschosse lautete das Ziel, es sollte bis Ende März erreicht werden. Bisher konnte aber nur ein Bruchteil tatsächlich geliefert werden.