Dass die allgemeine Stromversorgung unter anderem aufgrund der Abschaltung der Atomkraftwerke vor allem im Süden nicht mehr selbstverständlich ist, hat man nun beim Schongauer Papierhersteller UPM gemerkt: Erstmals seit fünf Jahren musste ein altes Dampfkraftwerk als Notreserve wieder angefahren werden, und das gleich mehrfach.
Schongau – Fast 50 Jahre hat das alte UPM-Dampfkraftwerk auf dem Buckel, eigentlich sollte es nach einem Kraftwerks-Neubau längst abgeschaltet sein. Doch die Bundesnetzagentur, die sich um die Sicherheit der Stromversorgung kümmert, ließ das vor einigen Jahren nicht zu: Das Kraftwerk sei systemrelevant und werde für den Notfall benötigt, hieß es. UPM blieb keine Wahl, musste damals einiges Instand setzen ud neu genehmigen lassen, um das Kraftwerk weiter betreiben zu können. Seit Mitte 2017 steht das alte Kraftwerk bereit – gebraucht wurde es noch nie.
Nicht genügend Stromtrassen für Strom aus der Nordsee
Doch schon vergangenen April hatte UPM-Werkleiter Wolfgang Ohnesorg bei einem Gespräch mit der Heimatzeitung geahnt, dass sich das bald ändern werde: „Ich bin gespannt, wie die Lage ist, wenn weitere Kernkraftwerke abgeschaltet werden“, hatte er gesagt. Denn da es immer noch nicht genügend Stromtrassen gibt, die beispielsweise den in der Nordsee erzeugten Windstrom Richtung Süden leiten, kam den Atomkraftwerken in Bayern und Baden-Württemberg große Wichtigkeit bei der Wetter-unabhängigen Stromsicherheit zu.
Und tatsächlich: Ende vergangenen Jahres wurde es ernst für die UPM-Mitarbeiter, die das Kraftwerk bisher nur zur Übung hochgefahren haben. „Es kam ein Anruf vom Netzbetreiber Amprion, dass das Kraftwerk in eineinhalb Tagen bereit stehen muss“, sagt Ohnesorg. Für seine Mitarbeiter ist das eigentlich Routine, sie kümmern sich parallel ja auch um die anderen Kraftwerke auf dem Werksgelände. „Aber es gibt nicht mehr viele, die wissen, wie man so einen alten Hobel hochfährt“, sagt Ohnesorg. Mehrmals wurde das Kraftwerk seitdem benötigt, manchmal nur für wenige Stunden, einmal für einige Tage. Das wird natürlich, ebenso wie die Bereitstellung, bezahlt und ist vertraglich geregelt. Wie genau ausgerechnet wird, wann das Reserve-Kraftwerk gebraucht wird, weiß Ohnesorg aber auch nicht.
Das nächste Reservekraftwerk steht nahe Ingolstadt
Bei der Bundesnetzagentur verweist man auf Nachfrage an den Netzbetreiber Amprion, und auch deren Sprecher Andreas Preuß tut sich schwer zu erklären, wie das mit der Vorsorge im europaweit getakteten Stromnetz genau läuft. „Wir planen mit zahlreichen Parametern bis zu eine Woche voraus, und wenn sich ergibt, dass wir zusätzliche Kapazitäten brauchen, rufen wir beim Betreiber des entsprechenden Reservekraftwerks an“, so Preuß. Dass das Dampfkraftwerk bei UPM zum einen im Süden allein auf weiter Flur ist (die nächsten Reservekraftwerke stehen nahe Ingolstadt, erst 2023 kommt eines in Unterföhring dazu), macht es ebenso interessant wie die Tatsache, dass es mit Gas betrieben wird und relativ schnell hochfahren kann. „Bei einem Kohlekraftwerk, das komplett heruntergefahren war, dauert es deutlich länger“, bestätigt Preuß.
Damit dürfte das Schongauer Kraftwerk in Zukunft vermutlich noch öfter gebraucht werden – auch wenn es mit seinem 64 Megawatt das mit Abstand kleinste der deutschlandweiten Reservekraftwerke ist. Aber die exponierte südliche Lage macht auch diesen kleinen Fisch interessant.
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