Billiganbieter immergrün

Preise verdreifacht, dann zurückgerudert: Stromanbieter zwingt Kunden zum Bleiben

04.02.2022
Lesedauer: 4 Minuten
Ein Drehstromzähler, aufgenommen in einem Haushalt. Uli Deck/dpa/Symbolbild

Der Kunde eines Energielieferanten staunte nicht schlecht, als er wegen einer drastischen Preiserhöhung kündigen wollte: Das Ganze sei aus Versehen passiert, teilte ihm der Stromanbieter mit und wies die Kündigung als unbegründet zurück. Tatsächlich geht es in der Branche der Billiganbieter derzeit drunter und drüber.

Das Schreiben ist eindeutig: „An den Energiebörsen gibt es seit längerer Zeit kein Halten mehr“, stellt die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft fest, die den Energielieferanten immergrün betreibt. Deswegen, so schrieb das Unternehmen an seine Kunden einen Tag vor Silvester, ändere man den Vertrag und verlange ab 1. Februar 2022 statt 27,54 Cent pro Kilowattstunde 82,10 Cent.

Preis wäre verdreifacht worden

Dass die Verdreifachung des Preises nicht alle hinnehmen würden, war klar. Was aber einem Kunden passierte, der sein Sonderkündigungsrecht wegen dieser Preisexplosion wahrnehmen wollte, passierte, ist bisher einmalig: Als er immergrün sein Kündigungsschreiben zuschickte, erhielt er folgende Antwort: „Die ihnen zuletzt mitgeteilte Preiserhöhung/Tarifänderung war unbeabsichtigt und wird von uns zurückgenommen“, schrieb ihm der Stromanbieter per E-Mail. Und beharrte dann darauf: „Durch den Wegfall des Kündigungsgrundes setzen wir die Belieferung fort.“ Die E-Mail wurde dem Fachportal ZfK (Zeitschrift für die kommunale Wirtschaft) weitergeleitet und trägt das Datum vom 25. Januar.

Nachfragen bei „immergrün“ laufen ins Leere

Eine Strompreiserhöhung aus Versehen ist ein bisher einmaliger Fall in Deutschland. Der Vorgang spricht dafür, dass es zumindest beim Stomanbieter immergrün drunter und drüber geht. Mehrere Anfragen mit Bitte um Stellungnahme ließ die Stromversorgungsgesellschaft unbeantwortet. Dort hat man anderes zu tun, seit das Unternehmen im November offiziell von der Bundesnetzagentur unter die Lupe genommen wird – ebenfalls ein bislang einmaliger Vorgang.

„Wir prüfen, ob das Unternehmen Erhöhungen von Abschlagszahlungen vorgenommen hat, die das Gesetz nicht erlaubt“, heißt es von der staatlichen Aufsichtsbehörde. Es bestehe der Verdacht, dass die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft Erhöhungen von Abschlagszahlungen vorgenommen hat, die die energierechtlichen Anforderungen nicht erfüllen. Preiserhöhung mit der Begründung steigender Beschaffungskosten seien nicht zulässig. Wird eine Abschlagszahlung vereinbart, muss sie sich nach dem Verbrauch des vorhergehenden Abrechnungszeitraums oder dem durchschnittlichen Verbrauch vergleichbarer Kunden richten, stellt die Bundesnetzagentur klar. An diese Regelung müssen sich alle Energielieferanten halten. Die Netzagentur prüft seither „Anhaltspunkte für systematische Missstände“.

Mehrere Verfahren anhängig

Das ist allerdings nicht das einzige Verfahren, mit dem sich immergrün herumschlagen muss. Einen Monat nach der Bundesnetzagentur, im Dezember, untersagte das Landgericht Köln per einstweiliger Verfügung immergrün die Ankündigung und den Einzug von erhöhten Abschlagszahlungen ohne vorherige Preisinformation. Geklagt hatte die Verbraucherzentrale NRW. Die Rheinische Elektrizitäts- und Gasversorgungsgesellschaft betrieb auch die Marke „meisterstrom“, die vor allem in Hessen Kunden belieferte. Geschäftsführer bei beiden Marken ist Volker Engel, bei „meisterstrom“ allerdings nennt er sich bereits „Liquidator“ und räumt damit ein, dass dieser Teil des Unternehmens pleite ist.

Die Rheinländer sind nicht der einzige Energiediscounter, der ursprünglich mit Billigstromangeboten lockte, und nun angesichts stark gestiegener Energiepreise in eine Schieflage geraten ist. Im Unterschied zu den Großanbietern, die sich meist mit langfristigen Verträgen und am Terminmarkt gegen starke Preisausschläge absichern, haben diese kleineren Anbieter oft kurzfristig Strommengen für ihre Kunden gekauft, so dass sie die Preisexplosion im Großhandel und an den Terminmärkten mit voller Wucht trifft. Betroffene Kunden landen automatisch bei einem staatlichen Versorger, wenn ihr Anbieter nicht mehr liefern kann. Dort allerdings werden sie derzeit auch nicht mit offenen Armen empfangen, da auch die traditionellen Anbieter Mühe haben, ihre Kunden zu den festgelegten Preisen dauerhaft zu versorgen.

Einige Anbieter machen Stromverträge an der Börse zu Geld

Nicht alle Energiediscounter gehen pleite, manche versuchen sich auch anders aus der Affäre zu ziehen: Sie verscherbeln ihren Strom, den sie vor Monaten eingekauft haben, als die Preise noch günstiger waren, an der Energiebörse und freuen sich, über die hohen Preise, die sie so erzielen. Das bringt viel mehr, als auf Euro und Cent achtende Privatkunden weiter zu versorgen. Der Vorstandschef des Energie-Großversorgeres Eon, Leonhard Birnbaum, ist deswegen bereits alarmiert: Es könne nicht sein, dass Anbieter „Kunden abwerfen“, um dann Stromverträge an der Börse zu Geld zu machen. „Da fragen wir uns“, sagt Birnbaum, „ob wir da de facto einem Insolvenzbetrug zum Opfer fallen.“

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