In kaum einem Industrieland müssen Erwerbstätige mehr vom Einkommen abgeben: Die neue OECD-Studie dürfte die Steuer-Debatte in der Ampel weiter anheizen. Doch einen Aspekt ignoriert sie.
Berlin. In Deutschland werden Arbeitseinkommen besonders stark durch Steuern und Sozialabgaben belastet. Laut einer Studie der Industrieländerorganisation OECD liegt Deutschland auf Platz zwei von 38 untersuchten Staaten. Nur in Belgien muss ein Durchschnittsverdiener noch höhere Steuern und Sozialabgaben zahlen als hierzulande.
Die OECD vergleicht jährlich die Steuer- und Abgabenlast unter ihren Mitgliedstaaten. Ein Single mit einem Durchschnittsverdienst musste demnach im vergangenen Jahr 47,9 Prozent seines Gehalts in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen an den Staat abführen. Der OECD-Durchschnitt lag bei 34,8 Prozent.
Schon seit Jahren belegt Deutschland den zweiten Platz bei Steuern und Abgaben. Im vergangenen Jahr sanken sie immerhin um 0,4 Prozentpunkte zum Vorjahr.
In den Berechnungen enthalten sind die zu zahlende Einkommensteuer sowie die Sozialbeiträge, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils abführen. Betrachtet man nur die Einkommensteuer und die Arbeitnehmerbeiträge, liegt Deutschland mit 37,4 Prozent auf Platz drei hinter Belgien und Litauen.
Anders als oft behauptet ist laut OECD auch die Belastung für Familien in Deutschland zunächst hoch. Eine Familie mit zwei Kindern, in der beide Ehepartner arbeiten, muss im Schnitt 40,7 Prozent von ihrem Einkommen in Form von Steuern und Abgaben an den Staat abtreten.
Auch hier liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz zwei hinter Belgien. Der OECD-Durchschnitt betrug 29,5 Prozent. Im Vergleich zu 2022 sank die deutsche Quote nur leicht um 0,1 Prozentpunkte.
Rechnet man nur die Sozialbeiträge des Arbeitnehmers ein und berücksichtigt Familienleistungen, schneidet Deutschland etwas besser ab. Dann beträgt die Belastung 28,9 Prozent. Hier liegen Belgien, Dänemark und Litauen höher.
Alleinverdiener-Familien profitieren
Glimpflicher kommen Alleinverdiener-Familien davon. Für eine Familie mit zwei Kindern, in der nur ein Partner arbeitet, betrug die Steuer- und Abgabenlast im Vorjahr 33,1 Prozent, was lediglich der neunthöchste Wert im OECD-Vergleich war. Für diese Gruppe ist die Belastung unter anderem in Frankreich, Italien, Schweden und Spanien höher. Der OECD-Durchschnitt liegt hier bei 25,7 Prozent.
Dass die Belastung für Alleinverdiener-Haushalte nicht höher ausfällt, liegt an einer deutschen Besonderheit: dem Ehegattensplitting. Das bietet denjenigen Familien steuerliche Vorteile, in denen der eine Ehepartner viel und der andere wenig oder gar nichts verdient.
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Die neue Analyse der OECD dürfte auch die Diskussion innerhalb der Ampelkoalition um weitere Steuersenkungen anheizen. SPD, FDP und Grüne betonen zwar, dass sie die Bürger bisher schon deutlich entlastet hätten. Auf mehr als 50 Milliarden Euro pro Jahr beziffert das Finanzministerium die bisher beschlossenen Entlastungen. Doch tatsächlich wurde mit den Maßnahmen vor allem die Inflation ausgeglichen.
„Die neuen OECD-Zahlen bestätigen leider das Bild des Höchststeuerlands Deutschland“, sagte FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer. „Bei Wirtschaft und Konjunktur ist Deutschland Schlusslicht, aber bei Steuern und Abgaben ganz vorn dabei.“ Dieses Ergebnis zeige die zwingende Notwendigkeit für eine Wende in der Wirtschafts- und Steuerpolitik.
Kritiker monieren mangelnde Vergleichbarkeit
Unter Wirtschaftsexperten sorgt die OECD-Statistik indes immer wieder für Kontroversen. Konservativen Ökonomen gilt sie als Beleg dafür, dass Deutschland ein Hochsteuerland ist. Linke Ökonomen halten die Analyse für unvollständig. So blieben in der OECD-Studie einige steuerliche Abzüge des deutschen Steuersystems unberücksichtigt.
Zudem argumentieren Kritiker, dass der Blick allein auf die Arbeitseinkommen zu kurz greife. Denn die Mehrwertsteuer sei andererseits in Deutschland vergleichsweise niedrig. „Der in Deutschland im Jahr 2022 erhobene Umsatzsteuerregelsatz von 19 Prozent liegt im EU-Vergleich im unteren Bereich“, heißt es in einem Bericht des Finanzministeriums aus dem vergangenen Jahr.
Zudem werden Vermögen im Vergleich zum Arbeitseinkommen weniger stark belastet. So sind die Grundsteuer auf Immobilienbesitz oder die Erbschaftsteuer im Vergleich zu anderen Industrieländern relativ gering.
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Setzt man die Gesamteinnahmen des Staates aus Steuern und Sozialbeiträgen ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, ergab sich 2021 eine Quote von 39,5 Prozent, teilte das Bundesfinanzministerium mit. Damit liegt Deutschland innerhalb der EU im oberen Mittelfeld.
In den meisten skandinavischen Staaten, aber auch in Frankreich, Belgien, Italien und Österreich liegt die Abgabenquote höher (über 40 Prozent), während Irland, die USA und die Schweiz relativ niedrige Quoten aufweisen (unter 30 Prozent).
Griechenland, die USA oder Mexiko weisen zwar eine deutlich geringere Belastung auf als Deutschland. Doch die Arbeitnehmer dort müssen sich aufgrund schwächerer Sozialsysteme mehr selbst absichern. Das Ranking spiegelt also nicht wider, was Bürger im Gegenzug für ihre Steuern und Abgaben bekommen.
Allerdings schneiden auch Staaten mit vergleichbaren Sozialleistungen besser ab als Deutschland – darunter alle skandinavischen Länder. Ein wenig Vergleichbarkeit liefert die Studie also schon. Zumal andere Indikatoren ebenfalls dafürsprechen, dass die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland recht hoch ist.
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Erstpublikation: 25.04.2024, 11:14 Uhr.