Die Laufzeit bestehender Kraftwerke soll zudem auf 50 Jahre verlängert werden. Gleichzeitig setzt Frankreichs Präsident auf erneuerbare Energien.
Paris Zwei Monate vor der französischen Präsidentschaftswahl hat Emmanuel Macron eine Energiestrategie mit massiven Investitionen in die Atomkraft vorgelegt. Der Staatschef kündigte am Donnerstag den Bau sechs neuer Reaktoren an.
Der Baubeginn für die Druckwasserreaktoren der nächsten Generation (EPR 2) ist für 2028 geplant, die ersten neuen Meiler sollen 2035 ans Netz gehen. Der staatlich kontrollierte Energiekonzern EDF soll zudem die Errichtung acht weiterer Reaktoren prüfen.
Während Deutschland in diesem Jahr die letzten Reaktoren vom Netz nimmt, stellt der französische Präsident die Weichen in eine andere Richtung: „Um die Stromproduktion zu steigern, müssen wir neben den erneuerbaren Energien das große Abenteuer der zivilen Atomkraft in Frankreich wieder aufnehmen“, sagte Macron im ostfranzösischen Belfort. Neben den großen Reaktoren sollen langfristig auch Mini-AKWs, sogenannte Small Modular Reactors (SMR), die Energieversorgung sichern.
Die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke soll verlängert werden. „Ich möchte, dass künftig kein produktionsfähiger Atomreaktor stillgelegt wird, außer, wenn die Sicherheitsbedingungen dies erforderlich machen“, sagte Macron. Der Präsident will vom EDF-Konzern prüfen lassen, ob Laufzeiten von mehr als 50 Jahren statt wie bisher 40 Jahren möglich sind.
Auch die erneuerbare Energie will der Präsident, der im April sein Amt verteidigen muss, stark ausbauen. So sollen vor der französischen Küste 50 Offshore-Windparks mit einer Kapazität von 40 Gigawatt bis 2050 entstehen. Auch an Land will die Regierung den Bau von Windanlagen beschleunigen.
Macrons Sinneswandel
Doch die Atomkraft bleibt für Frankreich ein zentraler energiepolitischer Pfeiler in diesem Jahrhundert. Die Stromversorgung im Nachbarland besteht zu rund 70 Prozent aus Atomenergie.
Am Beginn seiner Amtszeit wollte Macron die Atomkraft noch zurückfahren und bis 2025 eine Reihe von Kraftwerken schließen. Die Frist wurde auf 2035 verschoben – ein erstes Zeichen für den Sinneswandel des Präsidenten. Im Dezember 2020 legte Macron sich dann in einer Rede fest: Die Zukunft liege neben erneuerbaren Energien auch in der Kernkraft.
Als Ort für die Verkündung seiner Energiestrategie suchte sich der Präsident eine Fabrik aus, in der Turbinen für Atomkraftwerke produziert werden. Der Standort hatte dem US-Konzern General Electric gehört, der das Geschäft aber an EDF verkauft.
Der Deal hat für Paris eine strategische Dimension: Die Turbinen aus dem Werk, das General Electric 2015 vom französischen Alstom-Konzern übernommen hatte, kommen in allen Kernkraftwerken des Landes zum Einsatz. EDF-Chef Jean-Bernard Lévy erklärte nach der Bekanntgabe des Deals am Donnerstag, der Konzern stärke mit dem Turbinen-Geschäft seine „Schlüsseltechnologien und Fertigkeiten für den laufenden Atomkraftpark und für neue Atomprojekte in Frankreich und weltweit“.
In der EU hat Frankreich durchgesetzt, dass die Atomkraft in den grünen Investitionsregeln als nachhaltige Energie eingestuft wird. Der deutsche Widerstand gegen die Aufnahme der Atomenergie in die sogenannte Taxonomie blieb erfolglos.
Am Tag vor Macrons Rede hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gegen das Nachbarland gestichelt: „Das, was Frankreich im Moment macht, ist eine sehr planwirtschaftliche, gedeckelte Energieversorgung einer altmodischen Industrie.“ Die zahlreichen alten Kernkraftwerke würden störanfälliger und müssten teuer renoviert werden.
Investitionen in neue Meiler rechneten sich wegen hoher Kosten und Verzögerungen nicht. Deutschlands Fokus auf erneuerbare Energie werde ein Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft sein.
In der Tat hat Frankreich Probleme mit der Fertigstellung seines ersten EPR-Druckwasserreaktors. Das Prestigeprojekt in Flamanville im Nordwesten des Landes liegt mittlerweile ein Jahrzehnt hinter dem Zeitplan, die Kosten haben sich fast vervierfacht. Im Januar teilte EDF mit, dass der AKW-Neubau noch teurer und noch später fertig werde. Der staatlich kontrollierte Konzern rechnet nun mit Baukosten von 12,7 Milliarden Euro und einer Inbetriebnahme im Laufe des zweiten Quartals 2023.
Mit seiner Ankündigung in Belfort machte Macron aber deutlich, dass die Regierung weiter fest an die Technologie glaubt. Hinter Frankreichs Wette auf die Atomkraft steht die Einschätzung, dass eine Abkehr von fossilen Energieträgern und die Dekarbonisierung der Wirtschaft bis 2050 mit Erneuerbaren alleine nicht gelingen können. Im Élysée heißt es, der Strombedarf werde massiv steigen, wenn immer mehr E-Autos auf den Straßen unterwegs sind und Wasserstoff für die Industrie hergestellt werden muss.
Gerne wird in Paris darauf verwiesen, dass der gegenwärtige Energiemix dank der Kernkraft viel emissionsärmer als in Deutschland sei. Im vergangenen Jahr war Kohle der wichtigste Energieträger zur Stromerzeugung in der Bundesrepublik, der Anteil stieg zuletzt sogar. Kritisch wird in Frankreich auch die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas gesehen, insbesondere vor dem Hintergrund der Eskalation des Ukraine-Konflikts.
Macron unter Druck
Die Atomkraft spielt im französischen Wahlkampf eine wichtige Rolle. Macron, der seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit in den nächsten Wochen offiziell machen dürfte, steht bei diesem Thema vor allem unter dem Druck der Rechtsaußen-Bewerber Marine Le Pen und Éric Zemmour.
Sie verlangen statt des Ausbaus von Wind- und Solarenergie eine noch stärkere Atom-Ausrichtung. Umfragen zufolge unterstützt auch die französische Bevölkerung mehrheitlich die Atomkraft.