Deutschland steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Familienunternehmer richten nun einen Brandbrief an die Bundesregierung. Was sind die Hintergründe?
Bürokratie, Fachkräftemangel, hohe Steuern, Inflation, Energiekrise: Die Liste der Probleme, die Deutschland in der derzeitigen Wirtschaftskrise bedrücken, wird länger und länger. Sowohl die Bevölkerung als auch die Unternehmen ächzen zunehmend unter der taumelnden Wirtschaftslage.
Der Verband der Familienunternehmer e. V. hat nun als Konsequenz der sich zuspitzenden Situation einen Brandbrief an die Bundesregierung geschrieben, welcher der Berliner Zeitung vorliegt. Der Brief ist direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gerichtet und kritisiert mit drastischen Worten die Wirtschaftspolitik der Ampel. „Die rote Linie ist deutlich überschritten“, heißt es gleich zu Beginn.
Die Entscheidungen der Ampel fügten dem eh schon durch die Wirtschaftskrise gebeutelten Deutschland noch größeren Schaden zu. Doch wie genau lautet die Kritik des Verbands an der Regierung? Und was fordern die Familienunternehmer? Wir haben beim Berliner Landesvorsitzenden des Verbands nachgefragt.
Kritik an Ampel: „Woher soll das künftige Wachstum kommen?“
Größter Kritikpunkt der Familienunternehmer sind die steigenden Sozialbeiträge. „Jahrzehntelang galt unter Ökonomen, dass 40 Prozent Sozialversicherungsbeiträge eine rote Linie sei, ab der die Belastungen weder für die Arbeitnehmer noch für die Unternehmen tragbar sind“, so der Verband. Doch bereits im kommenden Jahr würden diese Lohnzusatzkosten auf 42 Prozent des Bruttolohns steigen. „Spätestens 2028, also etwa 2,5 Jahre nach der kommenden Bundestagswahl, treibt das von Ihnen zu verantwortende Rentenpaket II die Lohnzusatzkosten auf 44 Prozent hoch“, kritisiert der von Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann unterzeichnete Brief.
Konkret bedeute das: „Insgesamt mussten die Beitragszahler in 2022 die unglaubliche Summe von rund 620 Milliarden Euro von ihren Lohnsummen an die Sozialversicherungsträger bezahlen.“ Im kommenden Jahr würden wegen Lohnsteigerungen überschlägig weitere 17 bis 18 Milliarden Euro hinzukommen, die Arbeitnehmern und Unternehmen vom Bruttolohn abgezogen werden. Der Verband betont, dass im Vergleich dazu das Wachstumschancengesetz der Regierung die Wirtschaft um „gerade mal drei Milliarden Euro“ entlaste und fragt: „Woher soll also das künftige Wachstum kommen, das alle so dringend benötigen?“
Familienunternehmer: „Verzweifeln an schlechten Standortbedingungen“
Im Brandbrief heißt es weiter, dass die Bundesregierung „mit ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik die Arbeitskosten in Deutschland auf ein nahezu prohibitives Niveau“ verteuere. Die Folge sei, dass „von den gut ausgebildeten Arbeitnehmern mit besonders hohen Sozialabgaben viele auswandern werden“ und „von denen, die hierbleiben, immer mehr versuchen, ihren schrumpfenden Nettolohn mit Schwarzarbeit auszugleichen“. Das gehe auf Kosten der Babyboomer, die jetzt in Rente gehen, zum Arzt oder ins Pflegeheim müssen, da ihnen die Finanzierung aus den Sozialsystemen fehlen werde.
Richtung Ampel sagt der Verband: „Die Finanzierung Ihrer Sozial- und Gesundheitspolitik ist so instabil wie ein Kartenhaus, eigentlich müsste Ihre Regierung ein Notfallkonzept vorlegen.“ Die rote Linie der 40 Prozent Lohnzusatzkosten müsse wieder unterschritten und dadurch die Arbeitnehmer und die nichtsubventionierten Unternehmen in den Blick genommen werden. „Wir Familienunternehmer verzweifeln an den schlechten Standortbedingungen.“ Der Appell an Scholz, Habeck und Lindner laute deswegen: „Kümmern Sie sich endlich auch um die Wirtschaftspolitik!“
Ostdeutscher Unternehmer: „Regierung ist der Situation nicht gewachsen“
Auf Anfrage der Berliner Zeitung erklärt der Berliner Landesvertreter des Verbandes und der gebürtige Brandenburger, Stefan Schröter, die Beweggründe des Rundumschlags gegen die Ampel. „Wir haben den Brandbrief an die Bundesregierung gerichtet, weil wir mit Sorgen auf die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land blicken und weil nicht nur wir das Gefühl haben, dass die Bundesregierung dieser prekären Situation nicht Herr wird.“ Der andauernde Streit um den Bundeshaushalt sei der „beste Beweis“ dafür.
„Wir müssen beim Wirtschaftswachstum und bei der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wieder in die Offensive kommen“, fordert Schröter. Wichtige Investitionen in die Zukunft blieben aus, weil das meiste Geld in den Sozialstaat gesteckt würde und dennoch nicht ausreichen werde. „Wir fordern nichts anderes als einen Umbau des Sozialstaates mit Reformen bei den größten Sozialzweigen, damit unsere Beitrags- und Steuerzahler unter den zunehmenden Belastungen nicht zusammenbrechen.“
Stefan Schröter: „Am Ende steht die Deindustrialisierung unseres Landes“
Die Gefahr sei, „dass Arbeit in Deutschland noch teurer wird und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen noch stärker leidet“, so der ostdeutsche Familienunternehmer und Geschäftsführer der Office Data Service GmbH (ODS) mit Sitz in Berlin-Friedrichshain. Er warnt: „Am Ende steht die Deindustrialisierung unseres Landes.“ Für die Arbeitnehmer bedeute das immer weniger Netto vom Brutto. „Jene, die gut qualifiziert und mobil sind, werden das Land verlassen, das kann nicht das Ziel sein.“
Die Belastungen für die Unternehmen und die Mitarbeiter müssten gedrosselt und Steuern und Abgaben gesenkt werden. „Das erreichen wir in erster Linie dadurch, dass wir die Ausgaben des Sozialstaates in den Griff bekommen.“ Bedeutet im Klartext: „Mehr Zielgenauigkeit sozialpolitischer Maßnahmen und mehr Eigenverantwortung.“
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