Der Saal ist voll, als die Ökonomen Hans-Werner Sinn und Lars Feld in Frankfurt über die Inflation diskutieren. Sinn sieht in den extrem gestiegenen Erzeugerpreisen noch viel Inflationspotential. Feld nimmt derweil EZB-Direktorin Isabel Schnabel in Schutz.
Es war das erste Mal seit langem, dass im Festsaal der Frankfurter Goethe-Universität wieder vor Publikum über Wirtschaftspolitik debattiert wurde: Der frühere Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, und der ehemalige Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats und Freiburger Professor Lars Feld, neuerdings persönlicher Wirtschaftsberater von Finanzminister Christian Lindner (FDP), diskutierten am Dienstagabend über die heftig gestiegene Inflation – und die Sorgen der Menschen, wie das alles wohl weitergehen mag. Eingeladen hatten das Center for Financial Studies (CFS) und das Institut für Bank- und Finanzgeschichte in Frankfurt.
„Die Inflation ist da und wird auch bleiben“, hob Sinn hervor, der im vergangenen Jahr ein Buch „Die wundersame Geldvermehrung – Staatsschulden, Negativzinsen, Inflation“ vorgelegt hat: „Die EZB muss reagieren, sträubt sich aber.“
Mit 7,3 Prozent im März habe die Inflation in Deutschland sogar über den hohen Ständen aus der Zeit nach der deutschen Vereinigung gelegen, hob Sinn hervor. Im Euroraum insgesamt seien es schon 7,5 Prozent, in den Vereinigten Staaten knapp 8 Prozent. Unter den Euroländern liege Deutschland dabei nur in der Mitte: Die Spanier kämen schon auf knapp 10 Prozent Inflation, die Niederländer auf fast 12 Prozent.
Das alles untertreibe die Lage aber noch, meinte Sinn. Das erkenne man an den Erzeugerpreisen. Es dauere einfach Zeit, bis das von den vorgelagerten Stufen bei den Endverbrauchern ankomme. Die Inflation der gewerblichen Erzeugerpreise liege in Deutschland mittlerweile bei 25,9 Prozent – das sei der höchste Wert seit der Existenz der Bundesrepublik. In Frankreich seien es 22, in Österreich 24, in Spanien 36 und in Italien fast 42 Prozent. Zum Vergleich: Selbst beim Ölpreisschock in den 70er Jahren habe die Erzeugerpreis-Inflation in Deutschland nur bei 14,6 Prozent gelegen.
Situation einer „Stagflation“
Das sei alles schon ernst, meinte Sinn und sprach von einer „neuen Stagflation“: Einer Situation, in der es zwar eine hohe Nachfrage gebe, in der aber die Unternehmen nicht das nötige Angebot schaffen könnten. Die hohen Energiepreise seien nur Ausdruck eines Teils dieser Engpässe auf der Angebotsseite. Sinn wies zudem auf die Ausweitung der Geldmenge durch die Anleihekäufe des Eurosystems und die dadurch erleichterte Verschuldung der Staaten hin: „Jede Verschuldung ist inflationär – in einer Situation der Stagflation“, meinte er und schloss auch die geplanten Mehrausgaben für die Verteidigung in Deutschland mit ein.
Der Ökonom erinnerte an die extreme Inflation der 20er Jahre als Gefahr, ohne dass er eine ähnliche Entwicklung prognostizieren wolle. Sinn zitierte allerdings sogar Stefan Zweig: „Nichts hat das deutsche Volk so hitlerreif gemacht wie die Inflation.“ Der Ökonom meinte, eigentlich müsste die EZB jetzt die vielen Staatspapiere verkaufen – aber das wollten die verschuldeten Staaten nicht: „Die EZB hat die Kontrolle über das Preisniveau verloren.“
Viel Zustimmung von Lars Feld
Lars Feld signalisierte für viele der von Sinn geäußerten Positionen Zustimmung: „Ich teile diese Aussagen fast vollständig.“ Unterschiede gebe es vor allem bei der Beurteilung der Rolle der Geldmenge und hinsichtlich der düsteren Aussichten etwa hinsichtlich der Haushaltspolitik.


Der „weitsichtige Hans-Werner Sinn“ habe schon in seiner Weihnachtsvorlesung 2020 auf die Inflationsgefahren hingewiesen, sagte Feld. Der Energiepreisanstieg sei tatsächlich „Ausdruck des Nachfrageüberhangs“. Das Argument, die EZB könne nichts gegen die hohen Energiepreise tun, sei falsch – die Zinspolitik habe beispielsweise Auswirkungen auf den Wechselkurs: „Durch die Abwertung des Euros entsteht über die hohen Importpreise zusätzlich Inflationsdruck.“
Feld schlug vor: Die EZB könnte in ihrer nächsten Sitzung durchaus aus Zinserhöhungen für den Herbst ankündigen, etwa den negativen Einlagenzins für Banken auf null setzen.
Aus dem Publikum kam die Frage, ob die deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel nicht eigentlich zurücktreten müsste, wenn sie sich hinsichtlich des vorübergehenden Charakters der Inflation so verschätzt habe, wie Sinn es angedeutet habe. Das wollte Feld dann aber doch nicht auf seiner ehemaligen Kollegin aus dem Sachverständigenrat sitzen lassen. Entsetzt äußerte er sich über die Darstellung der „Bild“-Zeitung, Schnabel und EZB-Präsidentin Christine Lagarde machten „uns arm und sich selbst reich.“ Das führe vollkommen in die Irre. Er selbst habe vielmehr sogar den Eindruck, Schnabel unterstütze im EZB-Rat inzwischen durchaus diejenigen Notenbank-Gouverneure, die sich für eine Straffung der Geldpolitik einsetzten: „Ein Rücktritt wäre kontraproduktiv.“
Quelle: F.A.Z.