Der Bundesverband der deutschen Industrie sieht im Wahlprogramm der Grünen ein „prinzipielles Misstrauen“ gegenüber den Marktkräften.
Gewöhnlich halten sich die großen Wirtschaftsverbände mit Äußerungen zu einzelnen Parteien zurück. Die Stärke der Grünen in den Wahlumfragen animiert den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) allerdings dazu, sich zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate kritisch mit dem Programm der Partei auseinanderzusetzen.
„Der Entwurf gibt aus Sicht der deutschen Industrie Anlass zur Sorge“, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme des Verbands. Der Umbau der sozialen in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft sei nur mit einer grundlegend veränderten Gesellschaft möglich. „Das Programm ist durchzogen von einem prinzipiellen Misstrauen gegen marktwirtschaftliche Mechanismen und Akteure, deren Agieren durch einen steuernden Staat eingegrenzt werden soll“, kritisiert der Verband.
„Vielzahl von Verboten und Quoten“
Die Partei hat Mitte März den Entwurf für ihr Wahlprogramm vorgestellt, endgültig verabschieden will sie es auf ihrem Parteitag im Juni. Aus Sicht des BDI offenbart der Entwurf „ein ausgeprägt dirigistisches Staatsverständnis“ und „eine sehr eingeengte Perspektive auf ein Staatsziel Klimaschutz“. Der Verband kritisiert unter anderem die Forderung nach höheren CO2-Preisen, Vorgaben zur Nutzung von Wasserstoff und Klimaverträglichkeitsprüfungen. Höhere Steuern für Unternehmen minderten den finanziellen Spielraum für Investitionen auch in klimafreundliche Technologien. „Die Vielzahl von Verboten, Quoten und Technologievorgaben sind Bausteine einer anderen Gesellschaftsordnung“, in der das Leben der Menschen und die Wirtschaft staatlich gesteuert würde.
Auch in der Handelspolitik schwant der Industrie nichts Gutes. „Mit überfrachteten Anforderungen an die europäische Handelsagenda würden Handelsabkommen gänzlich verhindert“, heißt es in der 49-seitigen Analyse. Eine solche Vorgehensweise würde die deutschen Unternehmen international isolieren, so die Sorge. Die Grünen wollen unter anderem das mit Kanada ausgehandelte Abkommen Ceta nicht ratifizieren. Auch das Abkommen der EU mit den Mercosur-Staaten lehnt die Partei als „umweltschädlich“ ab.
Hang zu „dirigistischen Preissetzungsmechanismen“
Die Vorschläge der Grünen zur Wohnungspolitik stoßen ebenfalls auf Ablehnung. Dort zeige sich der Hang zu „dirigistischen Preissetzungsmechanismen und ordnungsrechtliche Vorgaben“ besonders deutlich, so die Kritik. Die Partei schlägt unter anderem vor, Mietobergrenzen bei Bestandswohnungen mit einem Bundesgesetz zu ermöglichen. Damit wäre überall eine Art Mietendeckel möglich, wie ihn das Land Berlin eingeführt und zu dem Klagen beim Bundesverfassungsgericht anhängig sind. Mieterhöhungen will die Partei auf 2,5 Prozent im Jahr begrenzen.
Am 19. April wollen die Grünen bekanntgeben, ob Annalena Baerbock oder Robert Habeck für sie um den Einzug ins Kanzleramt kämpft. In den Wahlumfragen der vergangenen Tage liegt die Partei zwischen 21 und 23 Prozent, CDU/CSU zwischen 26 und 28 Prozent.