Ex-Opel-Chef Michael Lohscheller im Interview

Deutschland verspielt seine Zukunft

22.12.2023
Lesedauer: 5 Minuten
Michael Lohscheller (55) über die deutsche Autoindustrie und deutsche Wirtschaftspolitik Foto: picture alliance/dpa

Von Juni 2017 bis September 2021 brachte Michael Lohscheller Opel wieder auf Vordermann. Danach leitete er die Geschäfte des E-Auto-Herstellers Vinfast in Vietnam. In Amerika baute Lohscheller das Geschäft des hybriden LKW-Unternehmens Nikola aus.

BILD traf den Topmanager zum Interview

BILD: Herr Lohscheller, ist die deutsche Autoindustrie noch wettbewerbsfähig?

Michael Lohscheller: „Die Autoindustrie ist eine der wettbewerbsintensiven Industrien. Und ich mache mir wirklich Sorgen um diese deutsche Schlüsselindustrie. Denn wir haben entscheidende Wettbewerbsnachteile: hohe Löhne, zu hohe Energiekosten, zu hohe Steuern, zu viel Bürokratie und zu wenig Digitalisierung.“

Stichwort: hohe Energiekosten in Deutschland. Ist der Industriestrompreis ein Schritt in die richtige Richtung?

Lohscheller: „Ja, bestimmt. Aber ist das ausreichend? Ich glaube nicht. Da geht es sehr dogmatisch zu. Der Ausstieg aus der Kernkraft hat bekanntlich nicht dazu geführt, dass alles günstiger wird. Wettbewerbsfähigkeit muss viel mehr im Fokus stehen. Kosten und Komplexität müssen runter. Denn die Chinesen haben einen Kostenvorteil von sicher 40 Prozent und beginnen, Europa mit ihren billigen Elektroautos zu überschwemmen.“

Hat die deutsche Autoindustrie den Wechsel zum E-Auto und der Softwareentwicklung verschlafen?

Lohscheller: „Das Auto wird immer mehr zu einem Hochleistungscomputer auf vier Rädern. Gerade in Sachen Digitalisierung und Software sind die Amerikaner und die Chinesen deutlich weiter. Auch was den Nachwuchs angeht, sind beide Länder deutlich besser aufgestellt.“

Der Fachkräftemangel ist eines der großen Themen in Deutschland. Wie bekommen wir gute Arbeitskräfte in unser Land?

Lohscheller: „Wir brauchen eine gesteuerte Migration. Der Ansatz kann nicht lauten, alle können ins Land kommen, alle bekommen Geld und kaum einer arbeitet. Das sind falsche Anreize. Außerdem brauchen wir Vorzeigeunternehmen, das macht einen Standort attraktiv.“

Wie sollten diese Vorzeigeunternehmen aussehen?

Lohscheller: „Wir brauchen viel mehr Start-ups. Wir müssen viel mehr ins Wagnis gehen. Nikola ist dafür das beste Beispiel. Warum haben wir in Deutschland kein Wasserstoff-Lkw-Start-up? Wir haben hier die Technologie, wir haben die Lieferanten.“

Was fehlt konkret in Deutschland?

Lohscheller: „Ganz klar, die Risikobereitschaft, der Unternehmergeist und eine deutlich optimistischere Grundhaltung. Da können wir eine Menge von den Amerikanern lernen.“

Ist Deutschland für unsere schnelllebige Welt zu sicherheitsbesessen?

Lohscheller: „Ja, die Deutschen sind bekannt für ihre Angst. German Angst! Das gilt auch für etablierte Großkonzerne: Die müssen alte Zöpfe abschneiden, sich neu erfinden, Bürokratie abbauen und auch unnötige Hierarchie-Ebenen. Sie müssen sich eine Start-up-Mentalität und -Geschwindigkeit verschreiben. So wie wir das bei Opel gemacht haben: Nach 19 Jahren Verlusten in Folge haben wir Opel seit 2017 zum Effizienzweltmeister verwandelt. Heute ist Opel eine Ertragsperle im Stellantis-Konzern. Und Stellantis ist um ein Vielfaches profitabler als der Volkswagen-Konzern, im ersten Halbjahr sogar der profitabelste Autokonzern der Welt.“

Unter Michael Lohscheller schrieb Opel nach Jahren der Verluste wieder schwarze Zahlen
Unter Michael Lohscheller schrieb Opel nach Jahren der Verluste wieder schwarze Zahlen
Foto: Fredrik von Erichsen

Muss die Politik mehr Anreize für Firmengründungen setzen?

Lohscheller: „Anreize können natürlich helfen. Aber Bill Gates hätte Microsoft mit mehr Anreizen auch nicht besser gegründet. Das liegt auch in der DNA der Menschen. Und an der Ausbildung.“

Braucht Deutschland seinen eigenen Bill Gates, damit der Unternehmergeist wieder geweckt wird?

Lohscheller: „Ja. Ein Hasso Plattner bei SAP reicht nicht. Ich glaube, das ist wie im Sport. Als Boris Becker Wimbledon gewonnen hat, haben wir alle Tennis gespielt. Mehr erfolgreiche neue Unternehmer könnten ein unheimlicher Multiplikator für Deutschland sein.“

Der Bundesregierung fehlen jetzt 60 Milliarden Euro auf einen Schlag. Was würden Sie der Bundesregierung jetzt raten?

Lohscheller: „Erstmal Fakten auf den Tisch und dann Lösungsvorschläge. Einfach Schulden aufnehmen ist nicht die Lösung. Das ist wie in einem Unternehmen: Die Mittel sind begrenzt, man muss priorisieren und sie effizienter einsetzen, sprich Verschwendung vermeiden.“

Wie bewerten Sie die Wirtschaftspolitik der Ampel?

Lohscheller: „Ich bin ein Fan von Zahlen, Daten, Fakten. Deutschland ist jetzt ein Schlusslicht bei der wirtschaftlichen Dynamik in Europa. Und es fehlen klare Maßnahmen, um das zu ändern. Einfach zu sagen, wir sind aber noch gut in vielen Bereichen, das halte ich für nicht ausreichend. Das ist eine Arroganz, die wir uns nicht leisten können. Wir sind wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Wir verspielen unseren Ruf. Wir verspielen die Wettbewerbsfähigkeit der Zukunft. Wir zehren massiv von unserer Substanz. Wir brauchen aber nachhaltiges, umweltfreundliches Wachstum, um unseren Wohlstand abzusichern. Und unsere soziale Stabilität. Wir müssen auch unsere Abhängigkeit von China reduzieren.“

Sonst?

Lohscheller: „Sonst werden wir bald ein Industrie-Freilichtmuseum und reines Urlaubsziel für Amerikaner und Asiaten, denen wir dann nur noch Kännchen Kaffee und Schwarzwälder Kirschtorte servieren können.“

Was planen Sie als Nächstes? Wollen Sie in der Autoindustrie bleiben?

Lohscheller: „Auf jeden Fall. Und es gibt kaum eine Industrie, die durch so eine massive Transformation geht in so kurzer Zeit. Diese spannende Transformation möchte ich auf jeden Fall mitgestalten. Meine Ausflüge in die vietnamesische und amerikanische Start-up-Welt sind dabei sehr wertvoll.“

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