Betrug ohne Ende: Wie viel Coronahilfe wurde in Berlin zu Unrecht ausgezahlt?

13.10.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Ein Covid Testcenter in Berlin Bildrechte: Benjamin Pritzkuleit

Selbst der Senat hat keine Zahlen über die Höhe des Schadens. Jetzt soll in der Energiekrise erneut geholfen werden. Was hat sich seit der Pandemie geändert?

Die Aufarbeitung des massenhaften Betrugs bei der Auszahlung der Corona-Hilfen geht weiter. Fast 20.000 polizeiliche Ermittlungsverfahren wurden bisher eingeleitet beziehungsweise befinden sich in Bearbeitung. Wie hoch der Gesamtschaden für das Land Berlin ausfällt, ist immer noch offen.

Das geht aus einer Antwort der Senatsjustizverwaltung auf eine Anfrage des Abgeordneten Sebastian Schlüsselburg (Linke) hervor, die der Berliner Zeitung vorliegt. Demnach wurden 11.774 Verfahren wegen mutmaßlichen Betrugs eingeleitet. Hinzu kommen 7725 „verdächtige Anträge“, die sich „in Bearbeitung“ befänden, wie es heißt.

Gesondert aufgeschlüsselt werden die 487 Verfahren wegen sogenannten Abrechnungsbetrugs. Gemeint sind falsche Angaben bei der Abrechnung von Corona-Tests durch Teststationen im vergangenen und in diesem Jahr. Wie hoch der Gesamtschaden dabei ausfallen dürfte, vermochte die Justizverwaltung ebenfalls nicht zu sagen.

Aktueller Hintergrund von Schlüsselburgs Anfrage sind die bereits angekündigten Hilfen des Landes Berlin in der Energiekrise. Auch dabei ist mit Betrugsversuchen zu rechnen, die vermutlich erneut erst im Nachhinein ermittelt und dann geahndet werden können.

Aus der Antwort der Justizverwaltung ist jedoch nicht zu erkennen, dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte nach den Corona-Erfahrungen besser auf eine steigende Zahl von Fällen vorbereitet wären. Da noch unklar sei, welche Entlastungsmaßnahmen tatsächlich umgesetzt werden, „kann auch noch nicht eingeschätzt werden, ob die Erfahrungen aus der Bekämpfung der betrügerischen Erlangung von Corona-Hilfen übertragbar sein werden“, heißt es in der Antwort.

Dabei zeigt sich anhand von Corona exemplarisch, wie mühselig Aufarbeitung sein und welche Kreise sie ziehen kann. So hat die Berliner Staatsanwaltschaft erst vor vier Monaten ihre Ermittlungen gegen Vorstände der Investitionsbank Berlin (IBB) im Zusammenhang mit der Auszahlung von Corona-Soforthilfen eingestellt. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Beginn der Ermittlungen. Den Betroffenen sei kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen, heißt es von der Staatsanwaltschaft.

Tatsächlich handelten die Staatsbänker – die IBB ist zu 100 Prozent landeseigen – auf politische Weisung. Der damalige rot-rot-grüne Senat hatte in der pandemiebedingten Ausnahmesituation versprochen, „schnell und unbürokratisch Hilfen zu ermöglichen“, und damit auf eine vertiefte Prüfung der Anträge vor Auszahlung verzichtet. Erst nachträglich sollte eingehend kontrolliert werden.

Allein um das Osterwochenende 2020 gingen mehr als 245.000 Anträge bei der IBB ein, rund 30.000 wurden nach einer kurzen Plausibilitätsprüfung umgehend abgelehnt. Erst später griff die Staatsanwaltschaft ein. Bis heute zahlen viele Selbstständige zu Unrecht erhaltene Summen zurück. So oder so: Nach eigenen Angaben hat die IBB rund 6,7 Milliarden Euro an etwa 424.000 Empfänger ausgezahlt.

Trotz dieser Betrugserfahrungen verteidigt Linke-Politiker Schlüsselburg – und mit ihm auch SPD und Grüne – das damalige Vorgehen der schnellen und unbürokratischen Pandemiehilfen. Auch die Einrichtung gebührenfreier Testzentren sei richtig und wichtig gewesen. Dennoch sei es „erschütternd, dass es Menschen gab, die sich in dieser Krise kriminell bereichern wollten“, sagt der Anwalt, der rechtspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist. „Es stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat, dass diese Fälle aufgeklärt und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.“

In der aktuellen Debatte um Konsequenzen aus der Energiepreiskrise spricht sich Schlüsselburg erneut für schnelle Finanzhilfen aus. Und angesichts der Erfahrungen aus den Corona-Betrügereien ist für Schlüsselburg klar: „Das unmissverständliche Signal heißt: Versucht es gar nicht erst.“

Dabei steht noch nicht einmal fest, wer aus welcher Quelle wie viel Geld erwarten könnte. Vom Bund heißt es, dass die Energierechnung für den Monat Dezember komplett übernommen werden könnte, ehe im Frühjahr ein Preisdeckel eingeführt würde. Das Land Berlin will Geld beiseitelegen, um über die Bundeshilfen hinaus eingreifen zu können. Unter anderem dafür soll noch im November ein Nachtragshaushalt verabschiedet werden. Welchen Umfang er haben wird, steht noch nicht fest.

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