Was passiert, wenn die Versorgungsengpässe mit Energie infolge der Sanktionen gegen Russland auf eine Kältewelle treffen, zeigt sich derzeit in Australien. Dabei hat das Land nicht nur Gas- und Kohlevorkommen, sondern auch erneuerbare Energiequellen in Hülle und Fülle. Wie konnte es zu solch einem Paradoxon kommen?
Wer an Australien denkt, der denkt an Sonne und Strand. Doch an der Südostküste bibbern die Menschen derzeit bei niedrigen Temperaturen – es ist der kälteste Winter seit Jahrzehnten. Trotzdem bleiben in vielen Häusern die Elektroheizungen aus, denn die Strompreise explodieren derzeit in Australien, und viele können sich ihre Stromrechnung einfach nicht mehr leisten. In den vergangenen Tagen kamen zudem Energieengpässe dazu – selbst Stromausfälle in großem Ausmaß können inzwischen nicht mehr ausgeschlossen werden.
Die Stromerzeugungspreise liegen derzeit rund 115 Prozent über den höchsten durchschnittlichen Großhandelspreisen, die je verzeichnet wurden. Der Strompreis im Bundesland New South Wales, in dem Sydney liegt, betrug im zweiten Quartal 300 Australische Dollar pro Megawattstunde, umgerechnet sind das knapp 200 Euro. „Australien erlebt gerade astronomische Energiepreise“, sagte Johanna Bowyer, Analystin bei Australian Electricity, einem Institut für Energiewirtschaft und Finanzanalyse.
Symptomatisch für die Krise ist eine Aktion des Stromanbieters ReAmped Energy: Dessen Geschäftsführer Luke Blincoe ergriff die eher ungewöhnliche Maßnahme und schickte seine Kunden zur Konkurrenz, nachdem die Großhandelspreise so in die Höhe schossen, dass er die Rechnung seiner Kunden verdoppeln musste.
Gepaart mit hohen Lebensmittel- und Spritpreisen haben die explodierenden Energiepreise große Teile der australischen Gesellschaft tatsächlich in Existenznöte gebracht – und die im Mai neu gewählte sozialdemokratische Regierung in Handlungsnot. Die traditionelle „Flitterwochen“-Zeit, in der sich eine neue Regierung erst einmal einarbeiten darf, ist damit aufgehoben. Vielmehr waren Premierminister Anthony Albanese, Schatzmeister Jim Chalmers und Energie- und Klimaschutzminister Chris Bowen bereits am Tag eins ihrer Legislaturperiode mit einer ausgewachsenen Krise konfrontiert. Bowen sprach von einem „perfekten Sturm“, der für die Situation verantwortlich sei.
Einer der kältesten Winteranfänge seit Jahrzehnten
Zum einen traf die Schockwelle des globalen Versorgungsengpasses – ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine – auch den fünften Kontinent. Die Sanktionen gegen Russland trieben die Kohle- und Gaspreise und als Konsequenz die Energiepreise weltweit nach oben. Zum „perfekten Sturm“ kam es in Australien dann aber, als ganz Südostaustralien von einer unerwarteten Kältewelle im derzeitigen Winter auf der Südhalbkugel getroffen wurde und zugleich mehrere Kohlekraftwerke ausfielen.
Warum das passierte – sei es durch Wartungsarbeiten oder Systemausfälle – ist nach wie vor nicht eindeutig geklärt. Durch den Ausfall musste jedoch die derzeit extrem teure gasbefeuerte Stromerzeugung hochgefahren werden, um Engpässe zu überbrücken. Größere Stromausfälle konnten bisher zwar verhindert werden, sie hängen aber wie ein Damoklesschwert über dem Osten des Landes. Am Montag und Dienstag forderten australische Medien die Bürger im Osten des Landes auf, doch bitte Strom zu sparen.
Dabei ist Australien eigentlich eines der ressourcenreichsten Länder der Welt: Es ist fünftgrößter Gas- und zweitgrößter Kohleexporteur weltweit – eine eigentlich traurige Errungenschaft – die in der derzeitigen Situation jedoch ein wahres Paradoxon ist. „Australien fördert genug Kohle und Gas, um seinen eigenen Bedarf zu decken“, sagte Katja Ignatieva, Energieexpertin der University of New South Wales in Sydney. „Aber es ist auch Teil des globalen Handelsmarktes und durch Lieferverträge gebunden.“ Die meisten der fossilen Brennstoffe würden eben exportiert. „Australiens Exporte zu widerrufen oder deutlich zu reduzieren, ist kurzfristig nicht einfach zu bewerkstelligen.“
Dies bedeutet: Auf dem einheimischen Markt verbleibt nur ein Bruchteil, und Reserven werden kaum angelegt. Auch Preistreiberei könnte eine Rolle spielen, wie Ignatieva eingesteht. Es sei möglich, „dass Stromerzeuger die Situation durch Preistreiberei auf dem nationalen Strommarkt weiter ausnutzen“ würden. Bruce Mountain vom Victoria Energy Policy Centre geht in seinen Aussagen sogar noch weiter: „Was da wirklich vor sich geht, ist meiner Meinung nach ein Mobbing durch die Kohle- und Gasproduzenten“, sagte er dem australischen Sender ABC.
Keine Reparatur für „Dreckschleudern“
Wie die Krise zu lösen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander: Ted O’Brien, der neue Schattenminister für Energie bei den Liberalkonservativen, schlug vor, kurzfristig wieder mehr Kohlestrom ins Netz zu speisen, wie er im Interview mit ABC Radio sagte. Letzteres würde aber den Produzenten fossiler Brennstoffe in die Hände spielen. Der Vorsitzende der Grünen, Adam Bandt, schoss deswegen zurück und sagte: „Kohlekraftwerke zu unterstützen ist, als ob man gutes Geld schlechtem hinterherwerfen würde: Keine noch so große Reparatur dieser Dreckschleudern wird das Problem lösen.“ Stattdessen müsse Australien Investitionen in neue Wind- und Solaranlagen beschleunigen, in Infrastruktur investieren und mehr Speicherkapazität schaffen.
Auch die Analystin Bowyer empfiehlt, an mehreren Fronten gleichzeitig zu arbeiten: Sie würde ebenfalls auf erneuerbare Energien setzen, doch ihrer Meinung nach muss auch die Energieeffizienz von Haushalten verbessert werden. Um die Krise kurzfristig zu entspannen, müsste „ein kleiner Teil der Exporte in den Inlandsmarkt umgeleitet“ werden. Das Bundesland Westaustralien beispielsweise reserviert von Haus aus einen Gasanteil für den heimischen Markt und steuert deswegen ähnlich wie das ACT besser durch die derzeitige Krise.
Erneuerbare Energien sind in „unserer Hand“
Das ACT ist das kleinste australische Territorium, das sogenannte Australian Capital Territorium, das Australiens Hauptstadt Canberra umfasst. Dort ist die Krise im Gegensatz zum benachbarten Bundesland New South Wales kaum spürbar, vielmehr sollen die Elektrizitätspreise sogar nach unten gehen.
Dies verdanken die Hauptstadtbürger dem Fakt, dass ihr Strom bereits seit 2020 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt. Laut des stellvertretenden Ministerpräsidenten und Energieministers des ACT, Shane Rattenbury, werden die Bürger Canberras im kommenden Geschäftsjahr deswegen durchschnittlich 800 Australische Dollar (rund 530 Euro)weniger für ihre Stromrechnung zahlen als die Bürger wenige Kilometer entfernt in New South Wales. Die Situation zeige, „wie fossile Brennstoffe den Launen der Geopolitik unterliegen, die völlig außerhalb unserer Kontrolle liegen“, erklärte Rattenbury gegenüber dem „Guardian“. Lokal erzeugte erneuerbare Energie sei dagegen vollständig „in unserer Hand“.
Tatsächlich steht aus diesem Grund auch Südaustralien, das schon heute 60 Prozent seines Strombedarfs aus Wind und Sonne abdeckt und bis 2030 die 100 Prozent erreichen will, besser da als die östlichen Staaten, die nach wie vor auf Kohle und Gas angewiesen sind. Südaustralien ist auch deswegen erwähnenswert, da das Bundesland vor wenigen Jahren noch weltweite Schlagzeilen wegen eines landesweiten Stromausfalls machte, den einige kohlebegeisterte Politiker zunächst den dortigen Windfarmen in die Schuhe schieben wollten. In Wirklichkeit war der „Blackout“ jedoch rein durch einen heftigen Sturm ausgelöst worden, der 22 Starkstrommasten umwarf.
Ein Lichtblick ist, dass sich Energieminister Bowen inzwischen mit den Regionalregierungen auf einige Maßnahmen geeinigt hat: So soll tatsächlich die Umstellung auf erneuerbare Energien priorisiert werden – ein Fakt, der auch zur ambitionierteren Klimapolitik der neuen Regierung passt. Zudem hat er den australischen Energiemarktbetreiber angewiesen, Gasvorräte anzulegen. Im absoluten Notfall könnte es auch eine 90-tägige Export- und Preiskontrolle für Gas geben.