Klagen über eine angeblich mangelnde Arbeitsmoral der Deutschen haben Konjunktur. In der Zahl der Überstunden lässt sich das allerdings nicht ablesen. Dadurch, dass diese zum Großteil nicht bezahlt werden, entgehen auch dem Staat Milliarden.
Während Arbeitgebervertreter über vermeintlich mangelnde Arbeitsbereitschaft der Beschäftigten klagen und Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitszeiten fordern, leisten die Arbeitnehmer weit mehr als eine Milliarde Überstunden pro Jahr – mehr als die Hälfte davon unbezahlt. So wurden im vergangenen Jahr in Deutschland gut 1,3 Milliarden Überstunden geleistet, wie aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Susanne Ferschl hervorgeht, über die die „Rheinischen Post“ berichtet. Mit 775 Millionen oder gut 58 Prozent waren mehr als die Hälfte davon unbezahlt. Das Ministerium wiederum beruft sich auf Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit (BA). Demnach entsprach die Summe der Überstunden 835.000 Vollzeitstellen.
Die enorme Zahl der Überstunden steht im Kontrast zu Forderungen, die Arbeitszeiten zu erhöhen und insbesondere Überstunden attraktiver zu machen. „Deutschland diskutiert zu viel über die Bedingungen von Nicht-Arbeit und zu wenig über den Wert von Arbeit“, sagte etwa der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kürzlich. Der Standort Deutschland müsse wieder attraktiv gemacht werden. „Dazu gehört auch: Wir werden alle mehr und länger arbeiten müssen“, machte Dulger deutlich. Die FDP hatte unter anderem vorschlagen, Überstunden steuerlich attraktiver zu machen.
Im Vergleich zum Vorjahr 2022 ging die Zahl der 2023 geleisteten Überstunden um rund 100 Millionen zurück. Doch verglichen mit dem Jahr 2020 ergab sich ein leichter Anstieg um 20 Millionen. Aus Sicht der Linken ist der Trend zu Überstunden ungebrochen. Denn 2023 war ein schwaches Konjunkturjahr, die Wirtschaft schrumpfte um 0,3 Prozent. Dennoch leisteten die Beschäftigten kaum weniger Überstunden als in den besseren Vorjahren. Pro Arbeitnehmer fielen 2023 im Schnitt 31,6 Überstunden an, davon 13,2 bezahlt und 18,4 unbezahlt. Im Jahr 2022, als die Wirtschaft noch mit 1,9 Prozent expandierte, lag die Überstundenzahl pro Arbeitnehmer mit 34,4 lediglich um gut drei Stunden höher.
Durch die unbezahlten Überstunden im vergangenen Jahr hätten die Unternehmen 32 Milliarden Euro an Lohnkosten eingespart, schätzt die Linke. Dieser Wert ergebe sich, wenn man die Anzahl unbezahlter Überstunden 2023 (775 Millionen) mit den durchschnittlichen Arbeitskosten je geleisteter Stunde – laut Statistischem Bundesamt 41,30 Euro – multipliziert.
„Arbeitgeber sparen durch unbezahlte Überstunden Lohnkosten in Milliardenhöhe, während die Beschäftigten unter ausgedehnten Arbeitszeiten und ständigen Flexibilitätsanforderungen leiden“, sagte Ferschl. Vor fünf Jahren habe der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die Erfassung der Arbeitszeit zum Schutz der Beschäftigten verpflichtend sei. „Aber die Bundesregierung schläft weiter und bringt kein Gesetz auf den Weg, das Beschäftigten erleichtert, ihre Überstunden geltend zu machen und sich vor Lohnraub zu schützen“, kritisierte Ferschl. Durch unbezahlte Überstunden entstünden zudem beim Staat hohe Steuerausfälle.
Quelle: ntv.de, mbo