Nach Richard Branson fliegt auch Amazon-Gründer Jeff Bezos ins All. Ein Meilenstein der Raumfahrt? Oder nur ein gigantischer Egotrip? Die wichtigsten Fragen zum Start.
Jeff Bezos wollte unbedingt der Erste sein. Schon vor acht Wochen gab er seine Pläne bekannt: Am 20. Juli, dem 52. Jahrestag der Mondlandung, würde er an der Spitze einer Rakete ins All fliegen. Am heutigen Dienstag gegen 15 Uhr deutscher Zeit ist es so weit: Der Amazon-Gründer und drei Begleiter heben tatsächlich von einer Startrampe in West Texas ab, gutes Wetter vorausgesetzt. Zuschauer vor Ort sind nicht zugelassen, aber Bezos’ Firma Blue Origin überträgt das Spektakel per Livestream.
Damit verlässt der derzeit reichste Mensch für kurze Zeit die Erde. Bezos ist also ein Eintrag in die Geschichtsbücher sicher. Wenn auch nicht der, den der Amerikaner eigentlich angestrebt hatte: Eigentlich wollte er der erste Passagier eines privat organisierten Flugs ins All sein. Doch damit kam ihm vor neun Tagen der britische Milliardär Richard Branson zuvor: Branson flog in einem Raketenjet seiner Firma Virgin Galactic bis in eine Höhe von 86 Kilometern, von wo aus er und seine Begleiter die Krümmung der Erde und das Schwarz des Weltalls bestaunten.
Für Jeff Bezos war das zweifellos ein Rückschlag, nicht zuletzt fürs Ego. Aber der Multimilliardär – geschätztes Vermögen: mehr als 200 Milliarden US-Dollar – hat noch viel vor im Weltraum. Unter anderem träumt er von großen Siedlungen in der Schwerelosigkeit. Wie der heutige Start zu diesen Plänen passt, was dabei schiefgehen kann und wieso Bezos’ eigentlicher Konkurrent nicht Richard Branson heißt, haben wir hier zusammengefasst.
Alle Fragen im Überblick:
- Ist Bezos wirklich nur der Zweite?
- Was erwartet Bezos heute auf seinem Trip?
- Wer sind Bezos Mitreisende?
- Was kostet der Spaß eigentlich?
- Ist das nicht furchtbar gefährlich?
- Was bezweckt Bezos mit der Aktion?
- Lohnt sich das alles am Ende?
Ist Bezos wirklich nur der Zweite?
Bei der Frage geht es im Kern darum, wo das Weltall anfängt. Jeff Bezos und die Internationale Aeronautische Vereinigung würden sagen: 100 Kilometer über dem Meer. Dort verläuft die Kármán-Linie, benannt nach dem ungarischen Raumfahrtingenieur Theodore von Kármán (1881-1963). Laut Definition markiert sie den Abstand von der Erde, ab der ein Flugzeug in der dünnen Luft nicht mehr genug Auftrieb erzeugt, um weiter zu steigen. Stattdessen müsste es sich so schnell bewegen, dass die aus dem Kinderkarussell bekannte Zentrifugalkraft es nach oben drückt – was unter anderem Satelliten und die Internationale Raumstation ISS in ihrem Orbit hält.
Hält man an der Kármán-Linie als Grenze zum Weltraum fest, wäre Richard Branson mit seinem Raketenjet auf 86 Kilometern gar nicht im All gewesen – was Team Bezos auch immer wieder betont hat in den vergangenen Wochen. Allerdings gilt die Kármán-Linie als überholt: Je nach Luftwiderstand eines Körpers könnte man sie auch schon bei 80 Kilometern ziehen. Dort verorten sowohl die Nasa als auch die US-Luftfahrtbehörde die Grenze zum Weltall. So gesehen war Richard Branson der erste Firmenchef, der für kurze Zeit die Erde verlassen hat. Sorry, Jeff.
Was erwartet Bezos heute auf seinem Trip?
Sobald der Amazon-Gründer in der Kapsel an der Spitze seiner New-Shepard-Rakete Platz genommen hat und die Triebwerke zünden, geht alles ganz schnell. Die Rakete schießt mit dreifacher Schallgeschwindigkeit in den Himmel. Nach zwei Minuten und 45 Sekunden trennt eine kleine Sprengladung die Kapsel von dem riesigen Triebwerk. Die Rakete fällt daraufhin zur Erde zurück und landet mit Hilfe ihrer Steuerdüsen wieder sanft auf der Startrampe. Die Kapsel dagegen fliegt weiter nach oben – wie ein Stein, den man mit sehr viel Kraft in die Höhe geworfen hat. Bis zu 106 Kilometer können die Büchse und ihre Insassen erreichen.
Anschließend fällt die Kapsel an Fallschirmen zurück in die Wüste von West Texas, wo sie elf Minuten nach dem Start landen soll. Insgesamt verbringen Bezos und seine Begleiter knapp vier Minuten in der Schwerelosigkeit. Das Ganze läuft vollautomatisch ab, einen Piloten brauchen die Hobbyraumfahrer also nicht.
Wer sind Bezos Mitreisende?
Da ist zunächst Bezos’ sechs Jahre jünger Bruder Mark, gelernter Marketingfachmann und das jüngste Kind der Familie Bezos. Angeblich sind die beiden eng befreundet. Für mehr Aufsehen sorgte die einzige Frau an Bord, denn Wally Funk spielte in der Raumfahrtgeschichte der USA eine pikante Rolle: In den Sechzigerjahren war sie eine von 13 Pilotinnen, die ein privat organisiertes Astronautinnentraining durchliefen. Das Ganze war als Protestaktion gedacht, da die Nasa damals nur Männer ins All fliegen ließ – eine Haltung, die die US-Raumfahrtbehörde erst 1983 ablegte. Wally Funk arbeitete stattdessen Jahrzehnte lang als Pilotin und Fluglehrerin. Heute ist sie 82 Jahre alt und wirddamit der älteste Mensch sein, der bisher ins Weltall aufgebrochen ist.
Den vierten Platz in der Kapsel besetzt der niederländische Millionärssohn Oliver Daemen. Er sollte eigentlich erst zu einem späteren Zeitpunkt mit Blue Origin ins All fliegen. Allerdings wurde kurzfristig ein Platz auf Bezos’ Flug frei: der eines mysteriösen Bieters, der in einer Auktion 28 Millionen Dollar für den Sitz neben dem Amazon-Gründer bezahlt hatte – nur um dann kurzfristig „aus Termingründen“ abzusagen, wie Blue Origin bekannt gab.
Was kostet der Spaß eigentlich?
Bisher schweigt sich Blue Origin dazu aus, was Tickets für den Vierminutentrip in den Weltraum künftig kosten sollen. Die 28 Millionen Dollar, die in der Auktion für den vierten Platz in der Kapsel bezahlt wurden, dürften die obere Grenze sein. Newsletter
Langfristig wird sich Bezos’ Firma wohl an den Preisen der Konkurrenz orientieren müssen. Richard Branson etwa will schon 700 Tickets für je 250.000 US-Dollar verkauft haben. Das war allerdings vor einigen Jahren, heute liegt der Preis vermutlich höher. Für das Geld können Kunden fast dieselbe Erfahrung wie in der Blue-Origin-Kapsel erwarten, allerdings mit etwas weniger Komfort: Der Ritt in Richard Bransons SpaceShipTwo ist deutlich wackeliger und wohl auch riskanter, auch weil hier nicht der Computer steuert, sondern zwei Piloten.
250.000 Dollar mögen viel Geld sein für vier Minuten Schweben. Experten schätzen jedoch, dass dieser Ticketpreis nicht reichen wird, um die immensen Investitionen von Branson und Bezos wieder reinzuholen: Richard Branson hat bisher laut eigener Aussage knapp eine Milliarde Dollar in seine Weltraumtourismusfirma Virgin Galactic investiert. Und Jeff Bezos hat in den vergangenen 20 Jahren immer wieder milliardenschwere Amazon-Aktienpakete verkauft, um Blue Origin am Leben zu halten.
Ist das nicht furchtbar gefährlich?
Bezos – wie zuvor auch Richard Branson – hat eine Genehmigung der US-Luftfahrtbehörde erhalten. Sie gibt strenge Regeln vor, wenn man Menschen mit einer Rakete in den Himmel schießen will. Aber wenn man in die Vergangenheit zurückblickt, kommt es in der Raumfahrt immer wieder zu fatalen Fehlschlägen. Knapp ein Prozent der Starts mit Personen an Bord ging schief. So starb etwa bei einem Testflug von Richard Bransons Raketenjet im Jahr 2014 einer der Piloten.
Blue Origin hat seinen kurzen Hüpfer ins Weltall immerhin fünfzehnmal ohne Personen an Bord getestet. Daneben gibt es Notfallmechanismen, die die Kapsel bei Problemen in der Luft sofort von der Rakete abtrennen. Auch die Belastungen während Start und Landung sollen angeblich beherrschbar sein: So drückt die Insassen während Start und Landung das Dreifache der Erdanziehung in die Sitze. Das ist nur halb so viel wie beim turbulenten Atmosphäreneintritt von Richard Bransons Raketenflugzeug.
Was bezweckt Bezos mit der Aktion?
An und für sich wollte Blue Origin mit dem Flug des Chefs einen historischen Erfolg verbuchen. Denn zuletzt hatte die Firma immer wieder das Nachsehen, vor allem im Wettstreit mit der Raketenschmiede SpaceX von Tesla-Gründer Elon Musk. Musk und Bezos sind seit Langem erbitterte Widersacher.
So entwickelte der SpaceX-Chef nicht nur vor Bezos wiederverwendbare Raketen, die nach dem Start wieder sanft auf dem Boden aufsetzen, eine Innovation, die Raketenstarts deutlich billiger macht. Daneben transportieren mittlerweile SpaceX-Raketen Nasa-Astronauten zur ISS – lukrative Aufträge, die Jeff Bezos sicherlich auch gerne ausführen würde, wenn seine Raketen und Raumkapseln denn weit genug wären. Zuletzt unterlag Blue Origin dann auch noch bei einer Ausschreibung, bei der es um die Entwicklung des neuen Mondlanders der Nasa ging, eines der mittelfristigen Hauptziele von Blue Origin.
Generell beobachtet die Raumfahrtbranche seit Jahren fasziniert die beiden unterschiedlichen Strategien der Raumfahrtmilliardäre. Während Elon Musk SpaceX gnadenlos auf Effizienz getrimmt hat und vor allem die Kosten für die Raumfahrt drücken will, pumpt Bezos eine Milliarde nach der anderen in Blue Origin, um etwa modernere Triebwerke marktreif zu bekommen. Die Rendite bleibt bisher aus.
Lohnt sich das alles am Ende?
Es ist die Frage, die sich wohl jeder stellt, der das PR-Spektakel rund um die Flüge von Branson und Bezos verfolgt – erst recht in Zeiten, wo Menschen auf der Erde mit Klimawandel und Naturkatastrophen kämpfen. Die Antwort hängt wohl davon ab, wie zukunftsgläubig man ist – und wie sehr man glaubt, dass Innovationen aus der Sciencefiction eine Blaupause für die Zukunft sind.
Sowohl Jeff Bezos als auch Elon Musk haben ihre Raumfahrtfirmen mit einem klaren Ziel gegründet: Sie wollen es Menschen ermöglichen, abseits der Erde zu leben. Musk denkt hier vor allem an den Mars, auf dem er so bald wie möglich eine Kolonie gründen will. Bezos glaubt eher an futuristische Raumstationen, auf denen man sich das Wetter genau so einstellen könnte, wie man es möchte.
Ob diese Ziele es wert sind, hier und heute große Summen in die Raumfahrt zu investieren, ist umstritten. Beide Ziele liegen Jahrzehnte (Marskolonie), wenn nicht Jahrhunderte (riesige Raumstationen) in der Zukunft. Fest steht, dass SpaceX – und mit Abstrichen auch Blue Origin – diese Zukunftsvisionen mit jedem erfolgreichen Raketenstart etwas wahrscheinlicher machen.