Theater-Klassiker müssen nicht kompliziert und schwer verständlich sein: Die Kammerspiele wagen einen Versuch – mit einer „Antigone in leichter Sprache“. Warum man an der Münchner Bühne nun diesen Schritt geht.
Polyneikes ist gefallen im Kampf um Theben. Seine Schwester Antigone hat ihn bestattet – und sich damit dem Verbot von Kreon widersetzt, dem neuen starken Mann an der Staatsspitze, der verfügt hatte, der Leichnam solle unbeerdigt verwesen. Denn Polyneikes galt als Vaterlandsverräter. Soweit so vertraut für viele als Tragödienplot. Ungewohnt dagegen: der Duktus dieser „Antigone in leichter Sprache“, wenn etwa die Titelheldin spricht: „Polyneikes, mein Bruder, auch Dich habe ich beerdigt. Damit habe ich gegen das Gesetz verstoßen.“
Inklusion an den Münchner Kammerspielen
Sie sei überzeugt, dass diese Form der Sprache den Stücktext zugänglicher mache für einige Personen, „für die das sonst nicht immer so zugänglich ist“, erklärt Nele Jahnke, Regisseurin dieser „Antigone“ und Mitglied des künstlerischen Leitungsteams an den Münchner Kammerspielen. Inklusion ist dort unter Intendantin Barbara Mundel ein wichtiges Anliegen. Dem Ensemble gehören daher auch Menschen mit unterschiedlichen Handicaps an, mit kognitiven Beeinträchtigungen etwa, wie Johanna Kappauf, die in Jahnkes „Antigone“-Inszenierung die Titelrolle spielt. Die Kammerspiele wollen aber nicht nur Theater mit Menschen mit Behinderung machen, sondern auch für diese Menschen; und überhaupt für alle, denen es – aus welchen Gründen auch immer – schwerfällt, sich in zum Beispiel die Hölderlin-Übersetzung der „Antigone“ einzuhören.
Leichte Sprache muss nicht schlicht sein
Aber was ist „leichte Sprache“ eigentlich? Nele Jahnke erläutert: „Das hat einfach gewisse Regeln. Und leichte Sprache hat auch einen gewissen Prüfungsvorgang. Das hat eine Übersetzerin, Anne Leichtfuß, gemacht, die wiederum eine Prüfungsgruppe aus fünf Menschen mit Beeinträchtigung hat, die die Texte überprüfen: Sind die verständlich? Und es gibt eben Regeln: fünf bis acht Wörter in einem Satz, Fremdwörter werden erklärt.“
Außerdem werden Schachtelsätze vermieden. Das Ziel ist nicht Schlichtheit, sondern: größtmögliche Klarheit, mitunter auch Umgangssprachlichkeit. Zum Vergleich. Wo Kreon in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin Antigone fragt: „Was wagtest du, ein solch Gesetz zu brechen?“ heißt es in der Kammerspiele-Bearbeitung: „Du bist mutig. Du hast gegen das Gesetz verstoßen!“
Verlust an Poesie? Gewinn an Direktheit!
Traditionalisten könnten mit einigem Recht einwenden, diese Klassiker-Adaption lasse poetischen Wohlklang vermissen. Anderseits verleiht die Direktheit der Sprache der Fassung auch einigen Punch. Dazu kommt, dass Theater ja nicht nur aus Sprache besteht. Alles, was es an Atmosphäre, Kulisse, Musik und sonstigem Ausdruck gibt, ist hier auch nicht „leichter“, reduzierte, als an anderen Theaterabenden. Sprache ist also nicht alles.
Sprache als Machtinstrument
Und doch hat sich Nele Jahnke nicht zufällig gerade für dieses antike Drama entschieden, um es in leichter Sprache auf die Bühne zu bringen. Sprache, findet die Regisseurin, sei nämlich auch ein zentrales Thema des Stücks selbst, vor allem im Konflikt zwischen Kreon und Antigone. Es gehe um „die Frage, wie sprechen wir eigentlich miteinander? Haben wir noch Verständnis? Verstehen wir uns, auch wenn wir unterschiedliche Ansichten haben? Hören wir uns noch zu? Das finde ich schon eine Frage: Wie gewalttätig ist Sprache auch?“ Und so ist diese Inszenierung auch der Versuch, Sprache als Machtinstrument zu untersuchen, das der Unterdrückung und Ausgrenzung dienen kann, ohne dabei selbst Menschen auszuschließen. Mit anderen Worten: Es geht um sprachliche Barrierefreiheit. Und darum, Inklusion so ernst zu nehmen, dass sie mehr ist als nur ein Lippenbekenntnis.
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