Thomas Müller ist bekannt für seine offenen Worte. Als er bei der DFB-Pressekonferenz am Mittwoch aber zum Thema Menschenrechte in Katar gefragt wurde, verfiel der Nationalstürmer in zweifelhafte Schwafeltiraden.
Es hätte alles so schön sein können in Fußball-Deutschland: Auftakt ins Ländespieljahr mit Duellen gegen Israel und den ewigen Rivalen Niederlande, eine immer bessere Stimmung im DFB-Team nach der Übernahme von Hansi Flick und daraus resultierendem attraktiveren Fußball und ein Nationaltrainer, der sich im stern-Interview klar zur Rolle Katars und der FIFA positioniert und Vergabeprozesse für Sportereignisse hinterfragt.
Doch dann kam die Pressekonferenz am Mittwoch mit Thomas Müller, der das Stimmungsgebilde binnen zwei Minuten komplett einriss. Erst für Dienstagabend hatte DFB-Direktor Oliver Bierhoff Vertreter von Menschenrechtsorganisationen eingeladen, den Spielern und Offiziellen einen Einblick in die Menschenrechtsverletzungen und Arbeitsbedingungen in Katar und auf der Welt zu geben. Beim DFB ist also – und das ist positiv – ein Umdenken zu erkennen. „Es ist unser Ziel, dass wir uns mit dem Thema auseinandersetzen“, erklärte Bierhoff vorab für die teaminterne Veranstaltung. Das scheint jedoch nach hinten losgegangen zu sein. „es geht im Großen und Ganzen um Menschenrechtsverletzungen, die grundsätzlich in jedem Land auftreten. Auch in Deutschland gibt es Menschenrechtsverletzungen“, stammelte Müller nach einer Frage eines Journalisten bei der täglichen Pressekonferenz ins Mikrofon. Bierhoff kündigte am Dienstag bereits weitere Treffen dieser Art an, schaden können sie nach der ersten Aussage Müllers nicht.
Thomas Müllers Aussagen sind ein Hohn für Menschenrechtsorganisationen
Es scheint bei Müller und dem DFB angekommen zu sein, dass es Menschenrechtsverletzungen in Katar gibt. Das war vor wenigen Jahren noch anders, als Fußball-Ikone Franz Beckenbauer darüber philosophierte, dass er in Katar keinen einzigen Sklaven gesehen habe und alle dort frei herumlaufen dürften. Menschenrechtsverletzungen in Katar und Deutschland gleichzusetzen ist allerdings eine ebenso schwachsinnige wie sinnlose Argumentation.
Nach Recherchen des ZDF sind allein beim Bau der WM-Stadien 15.000 Menschen ums Leben gekommen. Fast alle von ihnen sind Arbeitsmigrant:innen, denn rund 2,5 Millionen der 2,8 Millionen Einwohner des Landes sind Einwanderer. Erst im November unterzog Amnesty International die Arbeitsbedingungen in Katar einem Realitätscheck. Moniert wurde dort unter anderem, dass es kaum eine Möglichkeit gibt, im Kafala-System den Arbeitsplatz zu wechseln, Lohnzahlungen ausbleiben, Arbeiter:innen der Zugang zur Justiz erschwert oder auch die Gründung von Gewerkschaften verhindert wird – die Liste der Verfehlungen beim Gastgeberland ist lang. Zwar erließ die katarische Regierung Gesetze, die den Arbeitern zugutekommen sollen, an deren Umsetzung hapert es laut Amnesty International aber weiterhin – etwas, was die Menschenrechtsexperten dem DFB-Team am Dienstagabend auch erzählt haben dürften, denn Amnesty International war eine der Organisationen, die eingeladen war. Müllers Aussage, dass „nichts Neues dabei war, aber es wurde objektiviert“, wirkt da schon als Verhöhnung der Arbeit der Organisationen. Wenn Müller ohnehin schon über die Menschenrechtsverletzungen Bescheid wusste, warum hat er dann nicht früher den Mund aufgemacht? Wobei dabei wahrscheinlich auch nicht viel Besseres als die Aussage am Mittwoch entstanden wäre.
Müller sieht Verbände in der Verantwortung
Doch damit noch nicht genug, denn Müller setzte zu einer weiteren ausschweifenden Aussage an, bei der er sich um Kopf und Kragen redete. In Ländern mit einer anderen Kultur, gerade rund um Katar gebe es in „einigen Dingen“ andere Ansichten, „die wir als normal mittlerweile ansehen, wie Frauenrechte oder Arbeitsrecht, da haben wir ein andere Gesetzesgrundlagen beziehungsweise setzen das anders um.“ Geschichtlich mag Thomas Müller da nicht falsch liegen, Frauenrechte und Arbeitsrechte existierten auch in Deutschland nicht immer, der Weg dorthin war lang, hart und steinig und ist gerade bei Frauenrechten noch bei Weitem nicht abgeschlossen. Diese aber als die Norm anzusehen ist ungefähr so, als sei es vollkommen in Ordnung, dass Profifußballer 15 Millionen Euro jährlich verdienen – die Gehälter im Fußball sind aber ein anderes Thema. Dass man beim DFB nicht so richtig glücklich über die Aussagen war, lässt sich am Highlight-Video der Pressekonferenz erkennen: Die Aussagen Müllers zu Katar wurden dort komplett rausgeschnitten, sind im Originalclip auf der Seite des DFB aber weiterhin abrufbar.
Für die Entwicklung in Katar schob Müller die Aufgabe aber auch gleich wieder den Verbänden und der Fifa in die Schuhe – das letztere jetzt nicht unbedingt größeres Interesse an den Menschenrechten in Katar hat, dürfte eigentlich seit der Vergabe 2010 hinlänglich bekannt sein. „Wir versuchen, mit offenen Augen durch das Leben zu gehen, aber für das Turnier versuchen wir das Sportliche an erste Stelle zu stellen. Wir hoffen aber, dass über die Verbandsarbeit, vom DFB, dem Veranstalter und die FIFA da auch größere Hebel vielleicht in Bewegung zu setzen“, schwadronierte Müller. Es ist verständlich, dass man als Sportler gerne das Bestmögliche erreichen will. Dass man aber auch sportlichen Erfolg mit einer klaren Haltung verbinden kann, zeigten jüngst Sportler wie Erik Lesser oder Mariama Jamanka, die vor und während der Winterspiele in Peking immer wieder auf die Menschenrechtsverletzungen in China und Verfehlungen des IOC aufmerksam machten. „Es sind Dinge, die für uns Sportler nicht unbedingt zu unserer Expertise zählen“, begann Müller seine Antwort auf die Frage des Journalisten. Hätte er danach besser mal geschwiegen.