Ex-Außenminister Sigmar Gabriel wünscht sich bei „maischberger. die woche” bessere Beziehungen zu Russland – und Thomas Gottschalk übt sich im Polit-Talk.
Berlin – „maischberger. die woche” beginnt am Mittwochabend mit dem Versuch einer Bilanz zu den ersten 100 Amtstagen von Joe Biden – passend zur großen nächtlichen Rede des US-Präsidenten. Biden sei, erinnert sich Deutschlands Entertainment-Legende Thomas Gottschalk an ein persönliches Treffen, „ein sehr freundlicher, jovialer, älterer Herr, der mit allen gut kann“. Die taz-Journalistin Ulrike Herrmann attestiert Biden „perfekte Politik”. Er habe „alles angestoßen”, um auch republikanische Wähler anzusprechen. Bild-Kollegin Nena Schink hingegen findet es „extrem schwierig” nach 100 Tagen eine Bilanz zu ziehen, denn: „Das selbst erklärte Ziel von Joe Biden ist ja, das Land zu einen: Das kann er in 100 Tagen natürlich nicht schaffen.”
100 Tage Präsident Biden: Ex-Außenminister Gabriel wünscht sich intensiveren Dialog mit USA und Russland
Talkmasterin Maischberger bittet anschließend Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zum Gespräch. Der findet, Biden habe gar keine andere Wahl, als schnell viel anzustoßen: „Im Grunde hat er erstmal zwei Jahre, dann kommen die Midterm Elections – er muss viel leisten bis dahin.” Passend zu Gabriels ehemaligem Amt und seiner heutigen Funktion als Vorsitzender der Atlantikbrücke geht es auch in der Folge um außenpolitische Themen: Amerika werde, prophezeit Gabriel, „deutlich weniger europäisch werden, deutlich stärker pazifisch. Die Koalition mit Japan, Südkorea, Australien, vielleicht auch Indien wird mindestens so wichtig werden, wie die der NATO hier in Europa. Und das werden wir merken.”

Einer der Knackpunkte im deutsch-amerikanischen Verhältnis sei Deutschlands Position gegenüber China: „Die Vereinigten Staaten erwarten, dass wir uns an ihre Seite stellen im Konflikt mit China. Das ist für uns kniffelig.” Zwar handele es sich um einen politischen Gegner, schließlich sei China eine Diktatur, „aber es ist ein wirtschaftlicher Partner. Es ist ein Frienemy.”
Auch für den Umgang mit Russland hat Gabriel eine Empfehlung mitgebracht: „Ich würde uns raten, alles dafür zu tun, dass wir die Russen nicht immer stärker in Richtung Chinas bewegen.” Denn, so der Befund des ehemaligen Außenministers: „Unsere Hebel sind verdammt klein.” Europa gelte in der Welt als „reich, aber schwach. Das weiß Herr Putin, das weiß der chinesische Staatspräsident, das weiß Erdogan.”
„maischberger. die woche“ – diese Gäste diskutierten mit:
- Sigmar Gabriel (SPD) – ehemaliger Bundesaußenminister
- Thomas Gottschalk – Entertainer
- Prof. Helga Rübsamen-Schaeff – Virologin
- Peter Harnung – Journalist
- Ulrike Herrmann – taz-Journalistin
- Nena Schink – Bild-Journalistin
Bundestagswahl 2021: Gottschalk vergleicht Baerbock mit Trump – Söder-Überraschung noch möglich?
Im Anschluss diskutieren Gottschalk, Herrmann und Schink den Bundestagwahlkampf und die Chancen von Annalena Baerbock (Grüne)* auf die Kanzlerschaft. Während Schink „Angst vor Grün-Rot-Rot“ hat, stellt Gottschalk die Frage, ob Baerbock nicht mit Trump zu vergleichen sei. Der sei ebenfalls als Kandidat der Disruption und als bewusster Bruch mit den festgetrampelten Pfaden gewählt worden.
Herrmann wiederum ist der Meinung, dass „alle Parteien irgendwie das Gleiche” wollen würden, weshalb der von Schink beschworene Lagerwahlkampf „nur aus Sicht der FDP” existiere. Das letzte Wort beim CDU-Kanzlerkandidat ist Herrmanns Meinung nach ebenfalls noch nicht gesprochen: „Wenn die Umfragen bis Juni, Juli nicht oben sind, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass die CDU sehenden Auges in den Untergang geht.”
Thomas Gottschalk springt Jan Josef Liefers zur Seite: „Der wollte einen Beitrag leisten …”
Bei der Diskussion um die Aktion #allesdichtmachen stimmen die Kommentatoren nicht in die Schelte ein, die die teilnehmenden Künstler in den letzten Tagen erfahren haben. Vor allem Thomas Gottschalk scheint die Erinnerung an seinen Auftritt in der WDR-Talkrunde noch in Erinnerung zu sein, wenn er sagt: „Es ist in diesem Lande jede Diskursfähigkeit verloren gegangen. Das ist eine gewisse Tragik.” Es gebe „Maulkörbe, die schnell auf einen niedersausen“. Deshalb habe er sich auch „gut überlegt”, in die Sendung zu kommen. Sein Fazit: „Du darfst nicht mehr sagen, was du denkst. Ich traue mich nicht mehr.”
Die folgende Schalte ins derzeit vom Coronavirus besonders stark heimgesuchte Indien fällt knapp aus. Der Journalist Peter Harnung meldet sich aus Delhi, wo derzeit dramatische Zustände herrschen. Dass Menschen vor Krankenhäusern sterben und abgewiesen werden, passiere nach wie vor. Zwar gebe es Krankenhäuser, „die gemeldet haben, dass sie wieder Sauerstoff haben, aber es gibt eben auch andere, die keinen Sauerstoff haben.” Seine Beobachtung: „Alle Krankenhäuser sind am Limit.” In Delhi gebe es derzeit in Summe 18 freie Intensivbetten – bei mehr als 20 Millionen Einwohnern.
Inwiefern die indische Mutation B.1.617 eine Gefahr für Europa und Deutschland darstelle, will Talkmasterin Maischberger von der Virologin Helga Rübsamen-Schaeff wissen. Die relativiert: „Viren mutieren immer. Gerade wenn man solche Ausbrüche hat wie jetzt in Indien, wird es viele Mutanten geben, die dort entstehen. Wenn so viele Menschen infiziert sind, muss das passieren. Ob die dann gefährlicher sind, eine Mutation kann ja auch zu Ungunsten des Virus verlaufen, das muss man einfach sehen.”
„maischberger. die woche“ – Das Fazit der Sendung
Dass sich Thomas Gottschalk als Gast in eine Polit-Talkrunde „verirrt” hat, wie er es selbst beschreibt, trägt zum Unterhaltungsfaktor der Sendung bei. Selbiges gilt für die teils bissigen Diskussionen zwischen Ulrike Herrmann und Nena Schink. Sigmar Gabriel spricht indes über Außenpolitik, wie er es immer getan hat: mit Bedacht und analytischem Sachverstand. Beim Thema Bundestagswahl sorgt das für eine interessante Prognose, Annalena Baerbock räumt er „eine echte Chance” ein: „Das kann schon dazu führen, dass am Ende alle ganz überrascht schauen.”