Bierhoff äußert starke Zweifel an WM-Vergabe an Katar

23.06.2022
Lesedauer: 5 Minuten
Oliver Bierhoff reagierte nachdenklich. (Foto: IMAGO/kolbert-press)

Im November wird die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar eröffnet. Seit Jahren steht der Gastgeber wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen in der Kritik. Auch der Umgang mit Mitgliedern der LGBTIQ+-Gemeinschaft ist fragwürdig und lässt DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff an der Vergabe zweifeln.

DFB-Geschäftsführer Nationalmannschaften und Akademie Oliver Bierhoff hat den Zuschlag für Katar für die Fußball-Weltmeisterschaft stark angezweifelt. „Wie konnte die FIFA die Vergabe in dieses Land geben?“, fragt der 54-Jährige als Reaktion auf Recherchen von RTL/ntv im Zusammenhang mit dem Umgang mit Homosexuellen im Emirat. Konfrontiert mit dem in der Reportage aufgedeckten Umgang mit Mitgliedern der LGBTIQ+-Gemeinschaft im Wüstenstaat, zeigt er sich nachdenklich und legt seine Gedanken bezüglich der in der Kritik stehenden WM offen.

„Auf der einen Seite, habe ich am Anfang auch immer gedacht ‚Wem gehört der Fußball? Gehört er nur Europa, gehört er nur Südamerika oder gehört er der ganzen Welt?'“, sagt Bierhoff. Anfangs sei ihm der Gedanke, den Fußball weltweit stattfinden zu lassen, noch richtig erschienen, doch „die Welt hat sich auch verändert“, so Bierhoff und ergänzt: „Die Anforderungen, die Ansprüche sind andere, auch der Fans, der Menschen. Insofern muss man das schon berücksichtigen.“

Mit Bezug auf die der LGBTIQ+-Gemeinschaft angehörigen Person in seinem Freundeskreis, äußert Bierhoff erhebliche Bedenken, ob er ihr eine Reise zum Turnier ins Emirat empfehlen würde. Die entfernt bekannte Person stamme auch „aus der arabischen Welt“ und lebe „ständig in Angst, erwischt zu werden“, sagt der DFB-Geschäftsführer. „Ich meine, das Schlimme ist natürlich schon die gesellschaftliche Ächtung, die man da ja auch schon heraushört“, so Bierhoff weiter: „Aber das andere ist, wenn du dann in deinem Leben Angst hast und dann auch noch von einer staatlichen Institution gegängelt wirst, das ist natürlich schon dramatisch.“

Christian Rudolph hält Bierhoffs Worte für richtig und sinnvoll. Rudolph ist Mitglied im Bundesvorstand des LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) und Leiter der DFB-Anlaufstelle für LGBTIQ+-Anliegen im Profi- und Amateurfußball. Anfang Juni saß er mit anderen Vertretern, unter anderem von der Fan-Vereinigung Football Supporters Europe, auf einer Podiumsdiskussion in Herzogenaurach. Unter den Zuhörern befand sich die Fußball-Nationalmannschaft und auch Bierhoff. „Es ist das mindeste, was wir fordern, dass der DFB die Probleme klar benennt und nicht wegschaut“, sagt Rudolph im Gespräch mit ntv.de und fragt sich ebenfalls, wie sicher das Reisen zur WM nach Katar sein wird. „Wenn Dinge wie Händchen halten schon unter Strafe stehen, gibt das kein Sicherheitsgefühl.“

Neue Vergabekriterien gefordert

Eine allgemeine Reiseempfehlung für Katar will auch Bierhoff für Schwule und Lesben nicht aussprechen. „Es ist schwer. Ich weiß es nicht“, sagt Bierhoff auf eine entsprechende Frage: „Ich glaube, das kann jeder für sich nur selber entscheiden, ob er das für sich als Risiko betrachtet.“ Der DFB-Geschäftsführer verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass es im Rahmen des Turniers „für einen gewissen Zeitraum eine gewisse Glocke“ gebe, die eine Sicherheit garantiere.

Entsprechend kritisch betrachtet der 54-Jährige die Vergabe der WM nach Katar, bei der Menschenrechtsfragen offensichtlich kein Kriterium gewesen seien: „Wie konnte eine FIFA die Vergabe in dieses Land geben? Das muss man ganz einfach kritisieren, dass im ersten Punkt nur vielleicht auf Stadien oder andere Punkte geachtet wurde, oder natürlich Kommerz und nicht auf diese Aspekte, wie Menschenrechte oder andere gesellschaftliche Themen.“ Auf eine Änderung der Vergabekriterien müsse auch der DFB einwirken und deutlich machen, „dass die nächste Vergabe auch nur an Länder passiert, in denen solche Dinge nicht passieren“.

Der DFB hatte in den letzten Monaten seine Zurückhaltung in Sachen Katar bereits zunehmend abgelegt. Erst Anfang der Woche hatte der neue DFB-Präsident Bernd Neuendorf die Umstände rund um das FIFA-Flaggschiff als „fragwürdig“ bezeichnet und damit auch FIFA-Präsident Gianni Infantino widersprochen. Der Schweizer mit Wohnsitz Katar hat die im November beginnende WM etwas vorauseilend und gegen alle Kritik bereits jetzt als „die beste WM aller Zeiten“ bezeichnet. Durchaus nichts Ungewöhnliches bei Turnieren oder Veranstaltungen dieser Größenordnung. Sie kennen keinen Rückschritt.

Klaveness als Türöffner

Kritik an Katar war von Funktionären bisher eher selten zu hören. Als Türöffner betätigte sich auf dem FIFA-Kongress in Doha in diesem Frühjahr die Präsidentin des norwegischen Fußballverbands, Lise Klaveness. Ihr couragierter und mutiger Auftritt vor den Augen der Öffentlichkeit stand ganz im Gegensatz zu den auf derartigen Veranstaltungen sonst üblichen Lobpreisungen auf den Weltfußballverband.

„Wenn man eine WM an Länder vergibt, in denen es Verbote gegen den Lebensstil von LGBTQ gibt, muss der Fußball sicherstellen, dass alle Fans und alle Spieler Zugang zu Turnieren haben“, hatte sie im Anschluss an den Kongress in einem Interview mit dem SID gesagt und bezweifelt, dass dies gelingen werde.

Anfang Juni hatte dann erst die offizielle LGBTQ+-Fanorganisation in Wales, die „Rainbow Wall“, angekündigt, nicht nach Katar zu reisen und wenig später hatte der walisische Verband einen Teilboykott des Turniers angekündigt. So werden einige Mitarbeiter trotz der ersten WM-Teilnahme Wales seit 1958 aufgrund der Diskriminierung Homosexueller in dem Wüstenstaat „nicht zu dem Turnier reisen“, wie der Verbandschef Noel Mooney der BBC erklärte.

Homosexualität steht im Wüsten-Emirat unter Strafe. In Artikel 285 des Strafgesetzbuches heißt es zu gleichgeschlechtlichen Handlungen: „Wer ohne Zwang, Nötigung oder List mit einem über 16-jährigen Mann schläft, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu sieben Jahren bestraft.“ Nach islamischem Recht ist sogar Auspeitschen und die Verhängung der Todesstrafe möglich.

Nach Worten des Emirs Tamim bin Hamad Al Thani sind in Katar alle Gäste willkommen – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung. „Wir hindern niemanden daran, nach Doha zu kommen“, sagte er im Mai bei einem Besuch in Berlin. „Aber wir erwarten und wollen, dass die Menschen unsere Kultur respektieren.“

Quelle: ntv.de

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