Seltene Nebenwirkung

Vor allem bei jungen Männern: Biontech-Impfung kann Herzmuskelentzündung auslösen

07.06.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Junge Männer haben ein Myokarditis-Risiko nach Biontech-Impfung Getty Images/ArtistGNDphotography

Herzmuskelentzündungen nach der zweiten Spritze „Comirnaty“ von Biontech sind selten. Aber die Nebenwirkung tritt am häufigsten bei sehr jungen Männern auf. Neue Studienergebnisse könnten auch Auswirkungen auf die Impfung von Kindern und Jugendlichen haben.

Ende April machten israelische Medien einen Verdacht von Wissenschaftlern im Zusammenhang mit Biontech/Pfizer-Impfungen öffentlich: Diese hatten auffällig viele Herzmuskelentzündungen bei jungen Männern zeitnah nach der zweiten Dosis festgestellt. Das Gesundheitsministerium versprach, der Sache nachzugehen und die Ergebnisse zeitnah zu veröffentlichen. Das ist nun geschehen.

Der Zusammenhang von mRNA-Impfung und Myokarditis hat sich bestätigt. Für junge Männer ist das Risiko einer Herzmuskelentzündung nach der Impfung um den Faktor fünf bis 25 erhöht, am stärksten betroffen sind die jüngsten Geimpften zwischen 16 und 19 Jahren. Die aktuelle Analyse machte aber auch klar, dass es sich um eine sehr seltene Nebenwirkung handelt und dass sie fast immer einen harmlosen Verlauf nimmt. Wieso die Impfung die Herzmuskelentzündung auslösen kann, bleibt zunächst unklar.

Dass die Auffälligkeit in Israel bemerkt wurde, hat mehrere Gründe: Dort wird nahezu ausschließlich mit dem Biontech/Pfizer-Präparat geimpft. Von Anfang an waren alle Altersgruppen von 16 Jahren an in die Kampagne einbezogen und 60 Prozent der Einwohner haben bereits eine Zweitimpfung erhalten. Außerdem wird die Impfkampagne eng wissenschaftlich begleitet.

Vielleicht doch nur reiner Zufall?

Dennoch bestanden lange Zweifel daran, ob Myokarditis und Impfung nicht nur zufällig zur gleichen Zeit auftraten, zumal eine Entzündung des Herzmuskels bei jungen Männern generell häufiger auftritt als in anderen Bevölkerungsgruppen.

Eine Myokarditis kann verschiedene Ursachen haben. Häufig entwickelt sich die Entzündung durch Viren, etwa wenn ein grippaler Infekt verschleppt wird. Auslöser können aber auch Medikamente oder ein überaktives Immunsystem sein. Dass eine Impfung oder die durch den Impfstoff angeregte Immunreaktion des Körpers eine Myokarditis auslösen kann, ist also vorstellbar und derzeit auch die naheliegendste Erklärung.

Nach den ersten Berichten im April hatte Impfstoffhersteller Pfizer einen möglichen Zusammenhang von Impfung und Herzmuskelentzündungen zurückgewiesen. „Wir haben keine Rate von Myokarditis beobachtet, die höher wäre, als man es in der allgemeinen Bevölkerung erwarten würde“, hieß es in der Mitteilung. „Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Beweis dafür, dass in Verbindung mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff ein Risiko von Myokarditis besteht.“

Eine Myokarditis macht im besten Fall nur schlapp und müde, heilt aber von selbst aus. Im schlimmsten Fall aber wird das Herz langfristig geschädigt. Es kommt zu Herzrhythmusstörungen oder kann zum plötzlichen Herztod führen.

Brustschmerzen bei jugendlichen Impflingen in den USA

Gut gingen die in Israel bis Ende April beobachteten 60 Fälle nach der Biontech/Pfizer-Impfung aus, ebenso die sieben Fälle, die US-Mediziner bei männlichen Jugendlichen feststellten und soeben im Fachmagazin „Pediatric“ beschrieben haben. Die geimpften Jungen zwischen 14 und 19 hatten über unspezifische Brustschmerzen geklagt, sich aber nach wenigen Tagen vollständig erholt.  

Diese vereinzelten Fälle bei sehr jungen männlichen Geimpften könnte der Diskussion über die Impfung von Kindern in Deutschland eine weitere Wendung geben. Während die Europäische Arzneimittelagentur EMA das Biotech/Pfizer-Vakzin für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren freigegeben hat, will die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland bis auf weiteres keine Empfehlung für diese Altersgruppe aussprechen. Die Experten bewerten Nutzen und Risiko einer Covid-19-Impfung so, dass Kinder nur selten ernsthaft erkranken und eine Impfung überflüssig ist, zumindest bis nicht mehr Daten zu möglichen Risiken vorliegen.

Die jetzt publizierte israelische Analyse hatte bei rund fünf Millionen Geimpften 110 Fälle von Myokarditis nach der zweiten Biontech/Pfizer-Spritze entdeckt. Rund ein Fall auf 50.000 Impfungen wären noch kein Hinweis drauf, dass es sich um eine Nebenwirkung handeln würde. Dass jedoch 90 Prozent der Fälle bei jungen Männern bis 24 Jahren aufgetreten waren, und hier wiederum die 16- bis 19-Jährigen am stärksten betroffen waren, wollten die Forscher nicht mehr als Zufall erkennen.

Herzmuskelentzündungen nach einer mRNA-Impfung sind auch dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) nicht unbekannt. Dem Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel werden alle besonderen Vorkommnisse mit Corona-Impfstoffen gemeldet.

Bis Ende April sind dem PEI laut aktuellstem Sicherheitsbericht 16 Fälle von Myokarditis im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung mit „Comirnaty“ gemeldet worden. Da aber keine Informationen über andere Infektionen oder Begleiterkrankungen der Patienten vorlägen, könne keine medizinische Bewertung erfolgen. Einen möglichen Zusammenhang von Impfung und Myokarditis legt aber bei den wenigen deutschen Fällen die Altersstruktur nahe: Acht der 16 Meldungen betrafen 18- bis 29-Jährige, fünf weitere kamen von Menschen unter 40 Jahren.

300 Millionen Impfungen – mehr Nutzen als Risiko

Biontech/Pfizer verweist auf das positive Nutzen-Risiko-Profil von „Comirnaty“, das inzwischen 300 Millionen Menschen weltweit vor einer Covid-19-Erkrankung schützt. Alle auftretenden Nebenwirkungen würden aber genau beobachtet.

Ob sich junge Menschen, die kaum schwer erkranken, einem potentiellen, sehr seltenen Risiko aussetzen, ist letztlich Entscheidungssache. Hier würden sich „Comirnaty“ von Biontech/Pfizer und „Vaxzevria“ von Astrazeneca nahekommen: Die Myokarditis ist möglicherweise eine ähnlich seltene Nebenwirkung bei jungen Männern wie die Sinusvenenthrombose bei jungen Frauen.

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