Für die nächste Bundestagswahl gelten neue Regeln. Zumindest Stand jetzt, denn das Bundesverfassungsgericht könnte die umstrittenen Änderungen der Ampel-Koalition noch stoppen.
Es geht um die Grundlagen der Demokratie am heutigen Dienstag in Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Wahlrechtsreform der Ampel. Die wurde im vergangenen Jahr beschlossen, ist aber politisch und juristisch hochumstritten.
Die neuen Regeln werden erstmals bei der nächsten Bundestagswahl angewendet – wenn sie den Verfassungs-Check in Karlsruhe bestehen. Geklagt haben unter anderem CSU und Linkspartei. Um diese Änderungen geht es:
Was ist das Ziel der Reform?
Der Bundestag soll kleiner werden. Deutschland hat mit 734 Abgeordneten aktuell das größte frei gewählte Parlament der Welt. Künftig sollen es nur noch 630 Abgeordnete sein.
Wie viele der 630 Bundestagssitze eine Partei erhält, richtet sich nunmehr allein nach der Zweitstimme. Überhang- und Ausgleichsmandate, die in den vergangenen Jahren zu einem stetigen Anwachsen des Parlaments geführt hatten, sind abgeschafft.
Das hat zur Konsequenz, dass Wahlkreiskandidaten nicht mehr automatisch in den Bundestag einziehen, wenn sie die Mehrheit der Erststimmen gewinnen, sondern nur dann, wenn ihre Partei über die Zweitstimme ein entsprechend großes Sitzkontingent erhält. Es ist also möglich, dass Kandidaten trotz Sieg im Wahlkreis nicht ins Parlament kommen.
Was hat es mit der Grundmandatsklausel auf sich?
Zweite grundlegende Änderung: Die Ampel hat die so genannte Grundmandatsklausel abgeschafft. Parteien, die mit dem Zweitstimmen-Ergebnis unterhalb von fünf Prozent liegen, scheitern nach dem neuen Wahlrecht strikt an der Fünf-Prozent-Hürde. Bislang konnten sie sich in Fraktionsstärke ins Parlament retten, wenn sie bundesweit mindestens drei Direktmandate gewannen.
Sind CSU und Linkspartei benachteiligt?
Die Reform könnte vor allem für CSU und Linkspartei Nachteile bringen. Die ausschließlich in Bayern antretende CSU gewann dort 2021 bei der letzten Bundestagswahl 45 der 46 Direktmandate. Ihr Zweitstimmenanteil im gesamten Bundesgebiet indes lag bei 5,2 Prozent.
Aufgrund der nun vorgesehenen Zweitstimmendeckung wären zahlreiche CSU-Abgeordnete nicht in den Bundestag eingezogen, obwohl sie ihren Wahlkreis gewonnen haben. Besonders betroffen wären städtische Wahlkreise mit relativ knappen Siegen, etwa in München, Nürnberg und Augsburg, weil die prozentual schwächsten Wahlkreisgewinner bei der Verteilung der Sitze nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zuletzt berücksichtigt werden.
Die Linke wäre 2021 eigentlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Sie errang jedoch drei Direktmandate und konnte deshalb über die Grundmandatsklausel mit allen 39 Abgeordneten, die ihr nach ihrem Zweitstimmen-Ergebnis von 4,9 Prozent zugestanden hätten, ins Parlament einziehen.
Hätte 2021 bereits das neue Wahlrecht gegolten, wäre die Linke nicht im Bundestag vertreten gewesen. Die Abschaffung der Grundmandatsklausel könnte bei der nächsten Wahl auch für die CSU angesichts ihres bundesweiten Zweitstimmen-Ergebnisses von zuletzt nur knapp über 5 Prozent zum Problem werden.
Wo liegen die rechtlichen Knackpunkte?
In dem aktuellen Verfahren wird sich das Bundesverfassungsgericht vor allem mit der Frage beschäftigen, ob der Grundsatz der Gleichheit der Wahl durch die Reform gewahrt ist. Hiernach zählt prinzipiell jede Stimme gleich viel und hat die gleiche Chance, sich auf das Wahlergebnis auszuwirken. CSU und Linke berufen sich nun unter anderem darauf, dass nicht mehr alle Stimmen den gleichen Wert hätten, insbesondere weil einige Erststimmen kein Direktmandat hervorbringen würden. Daneben sehen sie sich in ihrer Chancengleichheit im Vergleich zu den anderen Parteien beeinträchtigt.
Der Kölner Verfassungsrechtler Christoph Schönberger hingegen sieht keine verfassungsrechtlichen Probleme. Mit dem Prinzip der Zweitstimmendeckung habe sich die Ampel im Rahmen ihres gesetzgeberischen Spielraums für ein stärker akzentuiertes Verhältniswahlrecht entschieden und die Bedeutung der Wahlkreise verringert.
„Es ist die weitreichendste Reform des Wahlrechts in der Geschichte der Bundesrepublik. Aber es gibt keine Regel in der Verfassung, dass man das Wahlsystem nicht auch grundlegend verändern darf. Auch die Grundmandatsklausel hat das Bundesverfassungsgericht nie für verfassungsrechtlich geboten gehalten. Deswegen gehe ich davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht das neue Wahlrecht billigen wird.“
Nach Ansicht des Verfassungsrechtlers könnte aber die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Fünf-Prozent-Hürde in dem Verfahren wieder aufflammen. Er hält es für nicht ausgeschlossen, dass das Gericht eine Absenkung der Sperrklausel zumindest erwägen könnte. Die Fünf-Prozent-Hürde leiste aber gerade im Hinblick auf den wachsenden Stimmenanteil kleinerer Parteien bei Bundestagswahlen weiterhin einen wichtigen Beitrag, um die Bildung stabiler Bundesregierungen zu fördern.
Für die mündliche Verhandlung hat das Bundesverfassungsgericht heute und morgen zwei Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil ist in einigen Monaten zu rechnen.