Corona-Impfung

WHO-Kritik an Biontech wegen dritter Impfdosis: „Ernsthaft enttäuschend“

15.07.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert wohlhabende Länder auf, keine Corona-Auffrischungsimpfungen anzuordnen, solange viele Länder noch um die Erstimpfung für die Bürger kämpfen. © Philipp Schulze/dpa

Pfizer und Biontech sehen die Notwendigkeit einer dritten Impfung gegen das Coronavirus. Die WHO kritisiert den Vorstoß der Impfstoff-Hersteller scharf.

Genf ‒ Rund 43 Prozent der Menschen sind nach Daten des Robert Koch-Instituts (Stand 12.07.2021) in Deutschland bereits „vollständig geimpft“. Das bedeutet bei den meisten Corona-Impfstoffen, wie auch bei dem von Biontech/Pfizer, dass sie laut Hersteller nach zwei Impfungen den vollständigen Schutz gegen das Coronavirus haben. Aktuelle Laboruntersuchungen und Daten aus Israel geben den Herstellern der Vakzine nun aber Grund zur Annahme, dass der Schutz bereits nach rund sechs Monaten wieder nachlässt. Auf Basis dieser wenigen, bisher vorliegenden Daten sei es laut der Hersteller Biontech und Pfizer wahrscheinlich, „dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird“.

Demnach sei durch eine dritte Impfung eine sehr hohe Zahl schützender Antikörper im Blut nachweisbar – etwa fünf bis zehnmal so hoch wie nach den ersten beiden Impfungen. Da die Schutzwirkung der Biontech/Pfizer-Impfung laut vorhandener Daten nach einem halben Jahr allgemein auf 64 Prozent, der Schutz gegen eine schwere Erkrankung auf 90 Prozent falle – und damit vergleichsweise immer noch sehr hoch ist – wird die dritte Dosis auch als sogenannte „Booster-Impfung“ bezeichnet. Erste Stimmen aus der Wissenschaft haben diesen Vorstoß einer dritten „Booster-Impfung“ bereits als verfrüht kritisiert.

Wohlhabende Länder schieben das Problem der Corona-Pandemie von sich

Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sehen vor allem noch keine ausreichende Datengrundlage für „Booster-Impfungen“. Die WHO wird in einem Bericht des US-Nachrichtensenders CNN unter anderem mit der Aussage zitiert, es seien nur eingeschränkte Daten dazu verfügbar, ob ein Booster einen Nutzen bringt – und wenn ja, für wen. Der Generaldirektor der WHO, Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, kritisiert aber vor allem die ethischen Folgen, die die Empfehlung einer dritten Corona-Impfung von Biontech und Pfizer nach sich zöge.

„Es ist nicht nur enttäuschend, sondern ernsthaft enttäuschend, dass Länder, in denen bereits die Mehrheit der Bevölkerung vollständig geimpft ist, nun die dritte Dosis verabreichen und zu einer ‚Booster-Impfung‘ übergehen, während andere Länder noch nicht einmal mit dem Impfen begonnen haben“, sagte der Generaldirektor am Montag (12.07.2021) in Genf. Wohlhabende Länder, in denen die Bevölkerung fortschreitend geimpft werden kann, würden laut Tedros Adhanom Ghebreyesus beginnen, die Covid-19-Pandemie nicht mehr als ihr Problem anzusehen „und das ist gefährlich“. Einige Länder würden den Eindruck bekommen, sie hätten die Pandemie in den Griff bekommen. Der WHO-Direktor warnt allerdings: „Ich denke nicht, dass sie außer Gefahr sind und ich denke auch nicht, dass sie es unter Kontrolle haben.“

Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 
© Christian Spicker/Imago

Impfen in der Corona-Pandemie: Die weltweite Lage nicht aus den Augen verlieren

„Man darf die globale Lage nicht aus den Augen verlieren“, forderte unter anderem auch Biostatistik-Experin Natalie Dean von der Emory University in Atlanta im Gespräch mit der New York Times: „Mir fällt die Vorstellung schwer, dass Menschen eine dritte Dosis erhalten, während es noch Menschen im Gesundheitswesen gibt, die ungeimpft Corona-Patienten behandeln.“ Céline Gounder, Virologin am New Yorker Bellevue Hospital Center, forderte: „Wenn wir uns wegen der Ausbreitung von Varianten Sorgen machen, ist unser bester Schutz, die Impfungen im Rest der Welt voranzutreiben“, statt im Westen weiteren Impfstoff zu horten oder dritte Dosen zu verabreichen.

Die WHO fordert die Impfstoff-Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna daher dringend auf, Impfstoff-Lieferungen nicht für Länder mit einer fortgeschrittenen Impfkampagne zu priorisieren, sondern alles daranzusetzen, Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, die nur eine sehr geringe Impfstoff-Abdeckung haben, zu versorgen.

Treffen von Pfizer mit US-Behörde: Deutlich mehr Daten und Zeit nötig

Vertreter:innen des Pharma-Riesen Pfizer trafen sich am Montag (12.07.2021) mit hochrangigen US-Wissenschaftler:innen und Beamt:innen der US-Arzneimittelbehörde FDA um die Zulassung einer dritten Dosis des Corona-Impfstoffes voranzutreiben. Die FDA erklärte nach dem Treffen, dass deutlich mehr Daten und möglicherweise noch einige Monate benötigt wurden, bevor man feststellen könne, ob die Auffrischungsimpfungen tatsächlich notwendig seien. Zudem hänge die Entscheidung nicht nur von Studiendaten aus dem Labor ab, sondern es müssten auch Informationen aus dem Alltag im Gesundheitswesen gesammelt werden. Beispielsweise darüber, wie viele vollständig geimpfte Menschen schwer an Covid-19 erkranken und in Krankenhäusern behandelt werden müssen.

Es sei durchaus möglich, dass eine differenzierte Entscheidung getroffen wird, so die Behörde, die eine dritte Impfung mit dem Wirkstoff von Biontech/Pfizer nur Menschen mit Vorerkrankungen und Immunschwächen empfohlen wird. Zudem sei noch nicht sicher, ob die „Booster-Impfung“ dann mit dem ursprünglichen Vakzin durchgeführt werden soll, oder direkt mit einer auf die Delta-Variante angepassten Version des Impfstoffes. An diesem Mittel arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Biontech und Pfizer bereits mit Hochdruck. (iwe)

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