Das Bundesgesundheitsministerium plant, mindestens 755 Millionen Corona-Masken zu verbrennen, die ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Nach WELT-Informationen dürfte das Ausmaß noch deutlich größer sein. Und auch die Entsorgung wird nicht billig.
Die Corona-Pandemie ist längst vorbei, doch unter dem Radar beschäftigen die teils schwerwiegenden Folgen fortwährend die Bundesregierung. Wie das Bundesgesundheitsministerium WELT auf Anfrage mitteilte, ist aktuell die Vernichtung von 755 Millionen Masken geplant – sie sollen verbrannt werden.
Die Masken wurden Anfang 2020 zu Pandemiebeginn beschafft und haben mittlerweile ihr Haltbarkeitsdatum überschritten. Das Ministerium sieht nun „eine zoll- und abfallrechtlich konforme energetische Verwertung vor“, so ein Sprecher. Betroffen seien 660 Millionen zertifizierte OP-Masken und rund 95 Millionen zertifizierte FFP2-Masken.
In der Vergangenheit hat das Gesundheitsministerium bereits in kleinerem Umfang Masken vernichten lassen. „In Deutschland wurden bisher rund zwei Millionen OP-Masken sowie rund eine Million PfH energetisch verwertet“, so der Sprecher. PfH-Masken sind FPP2- und ähnliche Masken.
Für die aktuelle Vernichtung im großen Stil hat das Haus von Minister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Mai eine Ausschreibung gestartet, auf die sich externe Entsorgungsunternehmen bis Ende Mai bewerben konnten. Dies geht aus Dokumenten hervor, die das Ministerium auf einer Vergabeplattform des Bundes hochgeladen hat.
Unter der Überschrift „Energetische Verwertung medizinischer Verbrauchs- und Versorgungsgüter“ werden dort die Details aufgelistet: So handelt es sich bei dem Material zu rund 90 Prozent um Masken und etwa zehn Prozent um andere Schutzausrüstung wie Einmalhandschuhe, OP-Schutzkittel und OP-Hauben, deren Haltbarkeitsdatum ebenfalls abgelaufen ist und deren Material dadurch durchlässig werden kann. All das lagert in bewirtschafteten Lagern auf Paletten und ist mit Folie fixiert.
„Der Auftragnehmer holt zu einem vereinbarten Termin die Gegenstände, in Form von ganzen Paletten, mit einem Schubbodenauflieger am Lagerstandort ab und verwertet diese anschließend ordnungsgemäß (…)“, heißt es in der Ausschreibung. Die Laufzeit beträgt 24 Monate, der geschätzte Auftragswert beträgt knapp sieben Millionen Euro.
Hinweise auf größere Menge an Masken-Verbrennungen
Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass im Zuge der Ausschreibung noch deutlich mehr Masken verbrannt werden sollen als nur die abgelaufenen 755 Millionen. Das ergibt sich aus den in der Ausschreibung gelisteten Gewichtsangaben. So beträgt die Mindestabnahmemenge für die zu beauftragenden Unternehmen 6351 Tonnen Schutzmaterial, die Höchstauftragsmenge 30.621 Tonnen. Dies teilt das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit. Zu Einordnung: Ein großer Lkw kann circa 25 Tonnen transportieren. Für 30.621 Tonnen wären also theoretisch mehr als 1200 Lkw-Fahrten erforderlich.
Wie sich die Tonnenangaben in Stückzahlen umrechnen lassen, kann das Ministerium nicht sagen. „Eine Angabe zur Maskenanzahl ist nicht möglich, da der Ausschreibung Gewichtsmengen zugrunde liegen“, so ein Sprecher. WELT hat daher eine eigene Berechnung angestellt: Bei circa 90 Prozent der Produkte handelt es sich um Masken, das zu vernichtende Gewicht beträgt demnach um die 27.558 Tonnen, sofern die Unternehmen dem Höchstauftragswert nachkommen.
Rechnet man sehr großzügig, dass eine Maske inklusive Verpackung im Schnitt zehn Gramm wiegt, kommt man so auf ungefähr 2,7 Milliarden Masken, die verbrannt werden sollen – und nicht nur 755 Millionen. Auf diesen Widerspruch angesprochen, teilt das Ministerium lediglich mit, man plane „zunächst die Beauftragung und Nutzung der minimal ausgeschriebenen Mengen“, also 6351 Tonnen.
Hinzu kommt, dass auch ein Großteil der Bundesländer eine Verbrennung von Corona-Masken plant oder diese bereits durchgeführt hat. Dies geht aus einer WELT-Abfrage bei allen Gesundheitsministerien der Länder hervor. Zehn Länder geben an, insgesamt 57,38 Millionen Masken verbrannt zu haben oder die Verbrennung zeitnah durchführen zu wollen.
Bereits Masken vernichtet haben Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz. „Trotz intensiver Bemühungen auch während der Fastnachtszeit, der Bevölkerung einen kostenlosen Infektionsschutz anzubieten, war letztendlich eine Vernichtung von FFP2-Masken sowie OP-Masken, deren Haltbarkeitsdatum überschritten war, unumgänglich“, sagt eine Sprecherin des Landesamts für Gesundheit in Mainz. In Rheinland-Pfalz wurden bisher vier Millionen Masken verbrannt.
Weitere Bundesländer planen eine Vernichtung in der nahen Zukunft. Niedersachsen beabsichtigt, nach der Ausschreibung eines Vergabeverfahrens 17,37 Millionen Masken verbrennen zu lassen, die das Land vom Bund erhalten hat. Sachsen-Anhalt plant mit 5,4 Millionen, das Saarland mit 2,5 Millionen, Hessen nach Klärung zollrechtlicher Fragen mit 252.000 Masken.
„Die teure Überbeschaffung unter Spahn ist außer Kontrolle geraten“
Doch ist eine Vernichtung wirklich unvermeidbar? Aus der FDP-Bundestagsfraktion kommt Kritik an der Vorgängerregierung. „Die teure Überbeschaffung unter dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahnist außer Kontrolle geraten. Es sind Fehler begangen worden, die sich nicht wiederholen dürfen“, sagt Karsten Klein, FDP-Obmann im Haushaltsausschuss, WELT. Mit Blick auf künftige Krisen sei es wichtig, für eine Vorhaltung zu sorgen, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert.
„Durch den Aufbau einer nationalen Reserve können Engpässe und Maskenkäufe zu überteuerten Preisen in der Zukunft verhindert werden“, so Klein. Hier seien vor allem die Länder in der Pflicht. „Entscheidend ist, dass dabei ein rollierendes System etabliert wird und Masken an medizinische Einrichtungen abgegeben werden, bevor sie ihre Haltbarkeit verlieren.“ Insgesamt müsse das Bundesgesundheitsministerium jetzt „unter Hochdruck“ nach Möglichkeiten suchen, eine weitere Verschwendung von Steuergeldern zu vermeiden, so Klein.
Aus der Opposition kommt scharfe Kritik. „Die massenhafte Verbrennung von Corona-Masken durch das Bundesgesundheitsministerium ist ein Armutszeugnis für die Bundesregierung“, kritisiert Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Es sei absehbar gewesen, dass die Masken nach Ende der Maskenpflicht in vielen Bereichen nicht mehr verwendet werden.
„Minister Lauterbach hätte sich rechtzeitig um eine alternative Lösung kümmern müssen und die Masken etwa in großem Umfang an Arztpraxen, Krankenhäuser oder Behinderteneinrichtungen abgeben können“, so Vogler. Die Einrichtungen hätten dann selbst keine eigenen Masken mehr bestellen müssen und Mitarbeiter und Patienten kostenlos schützen können.
Je nach Beschaffungsweg zahlte das Bundesgesundheitsministerium Anfang 2020 im Durchschnitt 2,31 Euro pro FFP2- oder FFP3-Maske und 0,27 Euro für jede OP-Maske. Dies geht aus einem Bericht des Bundesrechnungshofes von 2021 hervor. Am teuersten waren die Masken im Rahmen des von Jens Spahn initiierten Open-House-Verfahrens – damals zahlte der Bund pro FFP-Maske im Schnitt 4,50 Euro.