„Wir nehmen den Deutschen den Traum vom eigenen Auto und vom Eigenheim“, sagte Katja Diehl (49), Mobilitätsexpertin sowie Klima- und Verkehrsaktivistin – und hat damit eine Welle der Kritik ausgelöst.
Der Satz, der sich wie eine Drohung liest, fiel vor einer Woche, als Diehl beim Lübecker Ableger der Klima-Bewegung „Fridays For Future“ (FFF) auftrat. Das „Stormarner Tageblatt“ hatte zuerst über die Aussage berichtet, auf Twitter verbreitete sie sich schnell.
Diehl vertritt auf dem Kurznachrichtendienst ihre Thesen mit viel Nachdruck, schreibt – mal sachlich, mal bissig bis polternd – über Verkehr, Feminismus, Diversität und Mobilität. Die Autorin, die laut eigener Aussage u.a. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Herrmann (70, Grüne), berät, polarisiert – und versteht es, via Twitter Aufmerksamkeit zu generieren. Menschen, die anderer Meinung sind oder sein könnten, blockiert sie zuhauf, und auch vorsorglich, ohne dass es jemals direkten Kontakt gab.
Nach dem krassen Auto-Satz eskalierte die Debatte bei Twitter: Es hagelte Kritik, aber auch Anfeindungen. Diehl schreibt von Morddrohungen, sperrte zwischenzeitlich ihren Account.
In BILD erklärt sie den umstrittenen Satz.
Wie haben Sie das gemeint, Frau Diehl?
Die Mobilitätsexpertin zu BILD: „Dieser Satz wurde aus dem Zusammenhang gerissen.“
Der Satz sei gefallen, als es um das Thema Stadtentwicklung ging, und darum, dass man statt Einfamilien- mehr Mehrfamilienhäuser brauche, um mehr Menschen auf demselben Raum unterzubringen. Sie habe anregen wollen, „dass wir unsere Träume und Ziele kritisch hinterfragen. Erster Job, erstes Auto, erstes Eigenheim – das sind ja Wege, die Menschen anstreben im Sinne von Erfolg“, so Diehl.
Da fiel der umstrittene Satz – außerdem noch mit einem Nachsatz: „Wir nehmen den Deutschen den Traum vom eigenen Auto und vom Eigenheim. Dessen müssen wir uns bewusst sein.“
Diehl fordert „neue Träume, ein neues Wertesystem“.
„Träume lassen wir uns von niemandem nehmen“
Gerald Ullrich (60), Bundestagsabgeordneter und Mitglied des FDP-Bundesvorstands, hält auf Twitter dagegen: „Träume, die weltweit Menschen träumen, lassen wir uns von niemandem nehmen. Zu träumen und es erarbeiten zu können, ist Wert unserer freien Gesellschaft.“
Ullrich glaube nicht, „dass man mit Apokalypse und Verboten die Mehrheit der Menschen abholt und mitnimmt.“ Er stellt klar: „Und das muss man ja in einer Demokratie.“
„Muss wirklich alles mit dem Auto gefahren werden?“
Diehl zu BILD: „Es gibt natürlich Menschen, die aufgrund von Behinderungen oder aus anderen Gründen, die ihr Leben mit sich bringt, vom Auto abhängig sind. Die meine ich aber gar nicht.“
Sie erklärt: „Ich spreche die Menschen an, die dafür Sorge tragen, dass EIN Auto mit nur EINER Person nur 45 Minuten am Tag bewegt wird.“ Ihr Ansatz demnach: Stattdessen könnten diese Menschen Fahrgemeinschaften bilden, öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder sich (gemietete) Autos teilen („Carsharing“).
Gegenwind bei Twitter! Ein Kommentator: „Auto und (vor allem) Haus sind Kerngedanken des sozialen Aufstiegs.“
„Im ländlichen Raum sind 50 Prozent der Fahrten im Auto unter 5 km, 10 Prozent unter 1 Kilometer“ rechnet Diehl vor. Da gehöre „einfach eine Ehrlichkeit in die Debatte: MUSS wirklich alles mit dem Auto gefahren werden?“
Aber: Viele Menschen auf dem Land haben gar keine Alternative zum Auto. Busse und Bahnen fahren oft nur stündlich – wenn überhaupt. Da werden der Wocheneinkauf oder schnelle Besorgungen in der Apotheke ohne Auto schnell zur logistischen Herausforderung. Auch Carsharing ist außerhalb größerer Städte in der Regel noch eine Utopie.
Diehl verortet den Fehler in der Politik. „Durch eine Verkehrspolitik, die Autos in den Mittelpunkt stellt, wurden allein nach der Wiedervereinigung in Deutschland 4000 Schienenkilometer abgebaut. Bussysteme, die funktionierten, die es bei meinen Eltern gab, wurden abgebaut.“
Sie kritisiert die hohe Zahl der Pkw in Deutschland: „Ich frage mich schon, wie viele Autos wir noch brauchen. Denn: wir sind 41 Millionen Haushalte mit 49 Millionen Autos.“
Doch das sehen viele Deutsche anders: Laut ADAC wurden 2022 insgesamt 2,65 Millionen Autos neu zugelassen – und damit 1,1 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Jedes Zweite davon mit alternativem Antrieb. Viele Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an der Automobilindustrie. Millionen Handwerker brauchen das Auto. Und nur die wenigsten Menschen in Deutschland (10 Prozent laut Statistischem Bundesamt) geben an, dass es für sie ein „Statussymbol“ sei.
„Kein Mensch muss Angst haben, dass ihm das Auto weggenommen wird“, sagt Diehl. Es gehe um andere Fragen: „Wie bleibe ich im Alter mobil im ländlichen Raum? Wie schafft man es, dass Menschen ohne Führerschein fast überall in Deutschland ein gutes Leben führen können, weil es sichere Radwege gibt und der ÖPNV ausgebaut ist?“