Sieg vor Gericht

Verfassungsschutz darf AfD beobachten

09.03.2022
Lesedauer: 4 Minuten
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, wonach die AfD vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden darf, ist von jüdischen Verbänden begrüßt worden. Foto: zdf.de

Der Verfassungsschutz darf die AfD als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen. Damit kann die Partei als Ganzes beobachtet werden. Das könnte fatal für die AfD sein.

Die AfD steht im Verdacht, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wenden. Das ist zwar nur ein Verdacht, aber einer mit großer Wirkung. Der Verfassungsschutz darf die Partei deshalb als „Verdachtsfall“ mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten, das heißt: Mails mitlesen, Telefone abhören, V-Leute einsetzen. Das entschied das Verwaltungsgericht Köln am Dienstag.  

Zahlreiche Äußerungen von AfD-Vertretern hatte der Verfassungsschutz vor Gericht angeführt – als Beleg für pauschale Muslim-, Migranten- oder Demokratiefeindlichkeit. So ging es etwa um die Behauptung, dass es „Passdeutsche“ gebe im Gegensatz zu „ethnischen Deutschen“. Oder die rassistische Unterstellung Björn Höckes, Afrikaner vermehrten sich anders als Europäer. 

Entscheidung über vier AfD-Klagen

In einem zehnstündigen Verhandlungsmarathon entschied das Gericht im großen „Kristallsaal“ der Messe Köln insgesamt gleich vier AfD-Klagen. Neben der Beobachtung der Gesamtpartei ging es auch um die mittlerweile aufgelöste Parteiorganisation „Flügel“ und die Jugendorganisation „Junge Alternative„. Das wurde verhandelt: 

  • Die AfD wollte verhindern, dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei als Verdachtsfall einstuft. Mit dieser Klage scheiterte sie. Nicht nur einzelne Landesverbände, sondern die gesamte Bundespartei darf der Verfassungsschutz nun beobachten. 
  •  Bereits als gesichert extremistisch eingestuft wird die Parteiströmung „Flügel“ – obwohl diese sich mittlerweile offiziell aufgelöst hat. Auch gegen diese Einstufung klagte die AfD und bekam hier Recht. Laut Gericht hat der Verfassungsschutz nicht genügend Belege dafür, dass der „Flügel“ inoffiziell fortbesteht, wie es der Verfassungsschutz vermutet. 
  • Die AfD wehrte sich zudem gegen die Behauptung des Verfassungsschutzes, der „Flügel“ zähle etwa 7.000 Mitglieder. Die Zahl hatte das Bundesamt in einer Pressemitteilung genannt. Das beruhte auf Schätzungen, was dem Gericht nicht ausreichte. Der Verfassungsschutz muss die Angabe zur Mitgliederzahl nun revidieren.  
  •  Die AfD-Jugendorganisation stuft der Verfassungsschutz als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. Und das kann auch so bleiben. Deren Programm „Deutschland-Plan“ enthalte Hinweise auf verfassungsfeindliche Positionen, bestätigte das Gericht den Verfassungsschutz. 

Urteil könnte AfD-Mitglieder abschrecken

Das Urteil des Verwaltungsgerichts zur Gesamt-AfD ist ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte. Noch nie durfte eine Bundestagspartei insgesamt vom Geheimdienst beobachtet werden. Der AfD könnte das enorm schaden. Von ihren rund 30.000 Mitgliedern könnten einige dem Ex-Vorsitzenden Jörg Meuthen folgen und aus der Partei austreten – besonders Beamte, an deren Verfassungstreue kein Zweifel bestehen darf, könnte das Urteil abschrecken.  

Der Verfassungsschutz darf mit der Beobachtung der Gesamtpartei allerdings nicht sofort beginnen. Derzeit gilt noch ein so genannter Hängebeschluss, mit dem das Gericht dem Nachrichtendienst die Beobachtung vorläufig untersagt hatte. Mit einem weiteren Eilbeschluss werden die Richterinnen und Richter zeitnah regeln, wie zu verfahren ist, bis rechtskräftig über den Fall entschieden ist. Denn gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln kann noch Berufung eingelegt werden. 

„Die Partei steht für Rassismus, für Ausgrenzung von Minderheiten, für Verächtlichmachen unseres ganzen Systems“, so Thomas Haldenweg, Präsident Bundesamt für Verfassungsschutz.

Verfassungsschutz-Chef Haldenwang begrüßt Urteil

Die Parteispitze verbreitete nach der Entscheidung das Narrativ eines instrumentalisierten Geheimdienstes: „Wir sehen den Verfassungsschutz weiter als politisch motivierte Behörde an“, sagte Parteichef Tino Chrupalla nach der Urteilsverkündung. Die Partei behalte sich vor, Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen: „Wir werden die schriftliche Bewertung abwarten und darauf entsprechend reagieren.“

Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang begrüßte das Urteil:

Es ist ein Sieg für die Demokratie in Deutschland und ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland.

Denn mit der Einstufung als Verdachtsfall, die heute vom Gericht bestätigt wurde, können wir auch wieder öffentlich darüber reden, dass wir in der AfD Bestrebungen sehen, die gegen die freiheitlich Demokratische Grundordnung gerichtet sind!“

AfD noch im Geheimdienst-Kontroll-Gremium

Die AfD darf vom Verfassungsschutz beobachtet werden – und sitzt doch selbst in einem Gremium, das die Geheimdienste kontrolliert. Das sogenannte parlamentarische Kontrollgremium besteht aus derzeit neun Bundestagsabgeordneten. Und es steht kurz vor einer Wiederwahl.

Der AfD-Kandidat Joachim Wundrak hat nun denkbar schlechte Chancen. Es heißt, man werde keinen AfD-Kandidaten für das Geheimdienst-Kontroll-Gremium wählen – ähnlich war das Parlament mit dem Posten des Bundestags-Vize vorgegangen. AfD-Kandidaten erhielten nie die erforderliche Mehrheit.  

Ob die Causa Verfassungsschutz der AfD an der Urne schadet? Drei Landtagswahlen stehen bald an: im Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Dort wird sich zeigen, ob Wähler abgeschreckt werden. 

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