Die Wissenschaftlerin Birgit Fiedler wollte nie mit Impfgegnern demonstrieren. Jetzt nimmt sie an den Montagsprotesten gegen die Corona-Politik teil.
Die Geigerin wird vertrieben. Von Polizisten, die auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Köpenick jeden auffordern, wegzugehen. Beamte haben sich postiert, um herauszufinden, wer von den Passanten ein Spaziergänger ist. Denn an diesem Montagabend passiert es wieder. Seit Dezember gehen montags an etlichen Orten in Deutschland insgesamt Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Corona-Politik zu protestieren.
Polizeitransporter fahren durch die Bahnhofstraße. Deren Insassen haben die schwere Aufgabe, zu unterscheiden, wer relevant sein könnte. Denn es findet sich keine Menschenmenge ein, sondern Gruppen laufen über den Gehweg mit Ziel Rathaus Köpenick. Seit Januar sind Birgit Fiedler und ihr Sohn Felix dabei. Die heute 65-jährige Fiedler gründete 1998 in Adlershof die SLM GmbH, ein mikrobiologisches Prüflabor. Sie teilt sich mit ihrem 36-jährigen Sohn die Geschäftsführung. Acht Angestellte haben sie. Ihr Unternehmen wurde 2019 mit dem Deutschen Stifterpreis ausgezeichnet und mehrere Jahre hintereinander als familienfreundlichstes Unternehmen in Treptow-Köpenick und 2021 als Unternehmen für Familie in Berlin ausgezeichnet.
Doch inzwischen, so sagen sie, kommen sie an ihre Grenzen. „Man verbringt unfassbar viel Zeit damit, die unterschiedlichen Arbeitsschutz-Verordnungen, die sich ständig ändern, zu lesen“, sagt Felix Fiedler, während wir durch die Bahnhofstraße laufen. „Wir halten uns seit zwei Jahren an jede Maßnahme, ob im Betrieb oder privat. Aber jeden Tag müssen wir nachgucken, welche neuen Vorschriften es für Unternehmer gibt. Angestellte aus Brandenburg durften dort ihr Kind in die Kita bringen, in Berlin waren die Kitas zu.“ Die Zeiten, in denen man als genesen oder geimpft gelte, würden immer weiter verkürzt. Die Politik wälze die Belastungen auf die Betriebe ab. „Und so bin ich gezwungen, die politische Diskussion in die Firma zu bringen, obwohl ich finde, dass Politik dort nichts zu suchen hat. Wir spalten unsere Mannschaft.“
Bundeskanzler Olaf Scholz plädierte im Dezember dafür, im Kampf gegen Corona flexibel bei den Maßnahmen zu sein. Es dürfe keine roten Linien geben. „Das war für mich die rote Linie“, sagt Felix Fiedler, der findet, dass bei den Montagsspaziergängen in Köpenick der Querschnitt der Gesellschaft unterwegs ist. Zumindest optisch ist kein Nazi oder Antisemit zu erkennen. „Bürgerliches Spektrum“, wie auch die Polizei bestätigt. In Städten wie etwa Chemnitz oder Cottbus ist das anders. Dort sind laut Verfassungsschutz rechte Gruppen an der Organisation der Demos beteiligt.
Sie kamen sich vor wie Schwerverbrecher
Felix und Birgit Fiedler sind nicht bei Twitter oder Telegram, sondern informieren sich bei ARD und ZDF, Spiegel und Berliner Zeitung. „Am Anfang wäre ich nie mit Impfgegnern mitgelaufen“, sagt sie. „Aber wie viele meiner Bekannten, die mit dabei sind, und die weder Schwurbler sind noch an die große Weltverschwörung glauben, habe auch ich gesagt: Jetzt reicht’s.“
Leute aus dem Allendeviertel sind inzwischen auch hier. Auf der Lindenstraße sperrt die Polizei die Brücke zur Altstadt, wo das Rathaus ist – wie schon am 24. Januar. Damals waren dort plötzlich ein paar Hundert Personen eingekesselt. Sie wurden auch nicht mehr zurückgelassen. Nacheinander nahm die Polizei die Leute fest und nahm ihre Personalien auf wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutz- und das Versammlungsgesetz. Das hat Birgit Fiedler und ihren Sohn fassungslos gemacht. Als unbescholtene Leute kamen sie sich vor wie Schwerverbrecher. Man versuche Leute, die sich nicht mehr zu helfen wissen, zu diskreditieren, sagen sie.
Dann hat Birgit Fiedler, Mitglied im Unternehmerinnen-Netzwerk und der Bürgerstiftung des Bezirkes, einen Brief an SPD-Bezirksbürgermeister Oliver Igel geschrieben. Sie machte sich Luft über die aus ihrer Sicht widersprüchlichen Corona-Maßnahmen. Ihre Beschäftigten könnten nicht im Homeoffice arbeiten, weil sie täglich wichtige Dienstleistungen für die medizinische Versorgung erbringen müssten.
Während der Schulschließungen blieb das Arbeitspensum gleich
Als Wissenschaftlerin und als eine Frau der Zahlen merkte sie in dem Brief auch an, es lägen allen dieselben veröffentlichten Daten vor, aber die daraus immer noch politisch abgeleiteten Maßnahmen seien für sie nicht mehr adäquat. Auch den Polizeieinsatz kritisierte sie. Es seien keine Reichsbürger, Querdenker, Schwurbler, Aluhutträger, Esoteriker, Böllerwerfer oder andere krawallstiftende Personen vor Ort gewesen. Aus dem Rathaus antwortete man ihr, der Bürgermeister brauche Zeit, um Informationen einzuholen.
Weil es an diesem Montagabend auf der Brücke nicht weitergeht, versuchen die Spaziergänger, über die Brücke am Katzengraben, in die Altstadt zu kommen. Aber die Polizeiautos sausen hin und her. Soeben haben sie den Weg zum Katzengraben dichtgemacht. Birgit Fiedler hat viele Kritikpunkte. Unter anderem: „Unangemessene, vorher nicht kommunizierte, ungleiche und komplizierte, gar nicht kontrollierbare Maßnahmen. Die nicht notwendige Ausgrenzung ungeimpfter Kinder und Erwachsener. Die unsägliche 2G-Regel. Die Geboosterten dürfen ohne Test überall hin und infizieren sich gegenseitig“, sagt sie. „Die Ungeimpften dürfen, obwohl sie sich in der gesamten Pandemie-Zeit an alle Regeln gehalten haben, nicht mal zum Friseur.“
Die Tests, die für ihre beiden ungeimpften Angestellten täglich vorgeschrieben sind, muss sie als Arbeitgeberin finanzieren. Von daheim können sie eigentlich nicht arbeiten, weil in dem Labor täglich Proben für Medizinprodukte, Lebensmittel und Wasser untersucht werden. Trotzdem machten sie für jeden zwei Tage Homeoffice möglich. Während der Schulschließungen arbeiteten im vergangenen Jahr nur 30 Prozent der Belegschaft. Das Pensum blieb gleich.
Vor dem Rathaus stehen etwa 30 erlaubte Protestierer gegen die Corona-Politik. Anderen wird der Zugang durch eine Polizeikette verwehrt. Es sind ohnehin nicht mehr so viele wie früher. Die Angst vor weiteren Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen ist groß. Man geht deshalb draußen an den Stehtischen der Schlossplatzbrauerei Bier trinken. Dort dicht beieinanderzustehen, das erlauben die Corona-Regeln – stehen und gehen auf Bürgersteigen an diesem Abend jedoch nicht.
Am späten Abend noch stehen am Schlossplatz Polizeiautos, aus denen das Treiben beobachtet wird. Es kann ja sein, dass noch jemand auf die Idee kommt, durch die Gassen der Altstadt zu bummeln.