Durchbruch bei EU-Asylreform

Scholz erwartet Entlastung für Deutschland – Ungarn stellt sich gegen Einigung

20.12.2023
Lesedauer: 6 Minuten
Migranten klettern über einen Zaun auf der italienischen Insel Lampedusa Quelle: dpa/Cecilia Fabiano

Nach jahrelangem Ringen konnten sich die EU-Staaten und das Europaparlament auf eine Reform des europäischen Asylsystems verständigen. Die verschärften Regeln sehen unter anderem Asylverfahren in Auffanglagern an den Außengrenzen vor. Die Bundesregierung lobt die Beschlüsse – aus Ungarn kommen kritische Töne.

Ungarn hat die Einigung auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Geas) „aufs Schärfste“ zurückgewiesen. „Wir werden niemanden gegen unseren Willen einreisen lassen“, sagte Ungarns Außenminister Peter Szijjarto vor Journalisten am Mittwoch. „Niemand aus Brüssel oder sonst woher kann uns sagen, wen wir reinlassen und wir weigern uns aufs Schärfste, dafür bestraft zu werden“, sagte er.

EU-Parlament und Mitgliedstaaten hatten sich nach langen Verhandlungen in der Nacht zum Mittwoch auf die Reform geeinigt. Sie sieht im Wesentlichen schärfere Asylregeln, Asylverfahren an den Außengrenzen sowie einen obligatorischen Solidaritätsmechanismus zwischen den Mitgliedsländern vor, um Hauptankunftsländer wie Italien oder Griechenland zu entlasten. So soll die irreguläre Migration eingedämmt werden.

Dem Mechanismus zufolge sollen pro Jahr bis zu 30.000 Menschen umverteilt werden. Nicht aufnahmewillige Staaten wie Ungarn können sich davon allerdings mit 20.000 Euro pro Migrant freikaufen.

„Die EU hat sich auf ein wegweisendes Abkommen verständigt, um Migration und Asyl zu regeln“, schrieb die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, auf der Plattform X. Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und den EU-Staaten bestätigt werden. Das ist normalerweise eine Formalität.

Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet von der Reform der EU-Asylpolitik eine Erleichterung für Deutschland. „Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland“, schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. Die Einigung sei ein „ganz wichtiger Beschluss“.

Das sieht die Asylreform vor

Künftig soll es einheitliche Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen geben. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen diese Menschen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. So sollen Asylbewerber mit geringer Bleibechance schneller und direkt von der EU-Außengrenze abgeschoben werden können.

Dieser Punkt war besonders umstritten. Deutschland scheiterte nach Angaben von Abgeordneten mit seiner Forderung, Familien mit Kindern von den Grenzverfahren auszunehmen. Das hatten insbesondere die Grünen gefordert.

Die Verteilung der Migranten unter den EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt: Wenn die Länder keine Migranten aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen.

Eine Krisenverordnung regelt, wie EU-Staaten bei einem besonders starken Anstieg der Migration verfahren. Ankommende dürfen dann unter anderem länger an der Grenze festgehalten werden. Deutschland hatte das aufgrund humanitärer Bedenken lange abgelehnt.

So reagieren deutsche Politiker auf den Durchbruch

Bundesaußenministern Annalena Baerbock (Grüne) begrüßte die Reform. Die Einigung auf ein neues Asylsystem „war dringend notwendig und längst überfällig“, erklärte sie. Deutschland werde in der Umsetzung des neuen Asylsystems darauf achten, „dass es fair, geordnet und solidarisch zugeht“. Deutschland war mit seiner Forderung, Familien mit Kindern von den Grenzverfahren auszunehmen, gescheitert. „Jede Einigung in Brüssel ist auch immer ein Kompromiss“, kommentierte Baerbock. Dennoch hätten in den Verhandlungen der letzten Monate auch Verbesserungen erreicht werden können, „sodass zum Beispiel auch im Ausnahmefall der Krise humanitäre Standards erhalten bleiben“.

Mit dem neuen Solidaritätsmechanismus „steigen wir endlich in eine europäische Verteilung ein“, lobte die Außenministerin. „Denn die unmenschlichen Zustände an der EU-Außengrenze dürfen nicht das Gesicht bleiben, das Europa der Welt zeigt.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte ebenfalls die Entscheidung. Sie betonte: „Wenn wir das Europa der offenen Grenzen im Inneren bewahren wollen, müssen wir die Außengrenzen schützen und funktionierende Verfahren erreichen.“ Die Verantwortung für den Umgang mit dem Migrationsdruck in Europa werde „künftig auf mehr Schultern verteilt“ sein. „Jeder muss künftig an den EU-Außengrenzen strikt kontrolliert und registriert werden“, betonte die Innenministerin. „Wer nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU hat, wird ein rechtsstaatliches Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen und im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren müssen.“

Die Verhandlungen seien nicht einfach gewesen, erklärte Faeser. „Ich habe die ganze Nacht hart um Zustimmung im Rat und im Parlament gerungen und viele Gespräche geführt.“ Das Gemeinsame Europäische Asylsystem sei „der Schlüssel, um Migration insgesamt zu steuern und zu ordnen, humanitäre Standards für Geflüchtete zu schützen und die irreguläre Migration zu begrenzen“.

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) hat die Einigung auf eine Reform des europäischen Asylsystems begrüßt. „Ich bin sehr dankbar, dass es da jetzt doch offensichtlich zu einem Kompromiss in der Europäischen Union gekommen ist, was die gemeinsame europäische Asylpolitik betrifft, auch wenn die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Regierung weitere Ausnahmen haben wollte“, sagte Merz am Mittwoch in Paris. Es sei ein Kompromiss erzielt worden, der vernünftig zu sein scheine.

Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour zieht hingegen ein gemischtes Fazit. Auch er bewertet den Einstieg in eine Verteilung von Migranten in Europa positiv. „Die Ergebnisse enthalten an vielen Stellen schmerzhafte Punkte“ räumte Nouripour aber ein. „Beispielsweise die Verpflichtung der Außengrenzstaaten zu Verfahren an den Grenzen sehen wir weiterhin kritisch.“ Die Grünen hätten sich gewünscht, dass der Rat als Vertretung der EU-Staaten mehr auf die Position des Europaparlaments eingeht. Dies sei unter anderem durch die unterschiedlichen, größtenteils sehr restriktiven Positionen der anderen EU-Staaten erschwert worden.

„Als Grüne haben wir für konkrete Lösungen gekämpft, die Humanität und Ordnung zusammenbringen, die unseren humanitären Ansprüchen und Verpflichtungen ebenso gerecht werden wie den großen Herausforderungen in unseren Kommunen und an den Außengrenzen sowie unserer europapolitischen Verantwortung“, sagte Nouripour. „Die derzeitige Situation an den europäischen Grenzen ist unerträglich. So darf es nicht bleiben.“ Deshalb seien die Grünen bereit gewesen, sich auch auf schwierige Verhandlungen über eine Reform des europäischen Asylsystems einzulassen.

Die Grüne Jugend wies die Einigung als „menschenfeindliches Abschottungspaket“ zurück und forderte die Bundesregierung zur Ablehnung auf. „Die Umstände an den europäischen Außengrenzen sind jetzt schon schrecklich und werden durch die Reform noch schlimmer“, sagte die Co-Chefin der Grünen-Nachwuchsorganisation, Katharina Stolla.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Alexander Throm (CDU), begrüßte die Einigung. „Aber die Einigung ist kein Allheilmittel, erst recht ist sie keine Lösung für die derzeitige Migrationskrise“, sagte er WELT. „Es wird Jahre dauern, bis klar ist, ob die geplante Reform überhaupt etwas ändert und ob das neue Verteilungsverfahren Deutschland wirklich entlastet.“

Immens wichtig seien konsequente Registrierungen und möglichst umfassende Grenzverfahren. Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten sei in den Verhandlungen gerade bei dem Thema Grenzverfahren standhaft geblieben, die Ampel dagegen mit einer Aufweichung dieser Verfahren gescheitert. Throm erwartet von der Ampel-Regierung „nationale Maßnahmen“, die die irreguläre Migration entschieden bekämpfen.

Jahrelanger Streit in Brüssel

An der Reform wird bereits seit der Migrationskrise 2015/2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit der immensen Zahl an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben.

Daraufhin schlug die EU-Kommission erstmals bereits 2016 neue Regeln vor. Die Verhandlungen gestalteten sich allerdings bis zuletzt als sehr zäh. Während Ländern wie Ungarn die Vorschläge nicht scharf genug waren, äußerten Hilfsorganisationen und Teile von Linken und Grünen Bedenken, dass die Menschenrechte bei den Asylverfahren nicht genügend geachtet würden.

Das könnte Sie auch interessieren

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024
ARD-Show "Die 100"
26.11.2024
Abstimmung über neue EU-Kommission
27.11.2024

Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

vier × 1 =

Weitere Artikel aus der gleichen Rubrik

Für Energiekonzern
01.12.2024
EU-Plan gescheitert
29.11.2024

Neueste Kommentare

Trends

Alle Kategorien

Kategorien