Demokratie könnte nur „Phase der Geschichte“ sein

Schock-Prognose von deutschem Top-Richter

28.12.2023
Lesedauer: 3 Minuten
Andreas Voßkuhle warnt vor den Konsequenzen von möglichen AfD-Erfolgen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im kommenden Jahr Foto: Hendrik Schmidt/dpa

„Nicht leicht, AfD als stärkste Kraft zu verhindern“

In Deutschland erstarkt der Antisemitismus, außerdem wird die AfD immer stärker.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, schlägt darum System-Alarm!

„Wir erleben, dass Menschen von der Politik und ihren Institutionen enttäuscht sind und sich daher abwenden“, sagte Voßkuhle im Interview mit dem „Tagesspiegel“.

Ex-Chef der Karlsruher Richter: Andreas Voßkuhle (60)
Ex-Chef der Karlsruher Richter: Andreas Voßkuhle (60)
Foto: dpa

Es gebe aber nicht „den“ AfD-Wähler, sagt der frühere Karlsruher Chef-Richter. „Ich halte nichts von Lagertheorien: Hier stehen die Wähler der AfD, dort sind die anderen. Es ist vielfältiger, komplizierter, verwobener.“

Zugleich warnte Voßkuhle vor den Konsequenzen von möglichen AfD-Erfolgen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im kommenden Jahr. „Die AfD als stärkste Fraktion in einem oder mehreren Landtagen würde die politische Landschaft Deutschlands umkrempeln“, sagte Voßkuhle. „Die Landtagswahlen 2024 müssen uns daher beunruhigen. Es wird nicht leicht, die AfD als stärkste Kraft zu verhindern.“

Angesprochen auf ein früheres Zitat, wonach es „keineswegs selbstverständlich“ sei, dass die westliche Demokratie überlebe, bekräftigte der Ex-Verfassungsrichter seine Warnungen.

„Es kann durchaus sein, dass sich unsere westliche Demokratie nur als eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erweist“, so Voßkuhle.

Es sei möglich, dass „danach wieder die dunkle Zeit des Totalitarismus zurückkehrt.“ Er verwies dabei auf die attische Demokratie im antiken Griechenland, die ebenfalls keinen Bestand gehabt habe. „Wer das nicht möchte, sollte sich für unsere Demokratie engagieren.“

„Fassungslos“ über zunehmenden Antisemitismus

Schockiert zeigte sich Voßkuhle über zunehmenden Antisemitismus, der in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober offen zutage trete, etwa durch Schmierereien von Davidsternen an Häusern.

„Ich habe mir solche Zeiten, in denen jüdische Bürgerinnen und Bürger bei uns Angst haben, auf die Straße oder zur Arbeit zu gehen, nicht vorstellen können. Diese Entwicklung macht mich fassungslos“, sagte Voßkuhle.

Ihn erstaune dabei „die neue Infektionskraft dieses Antisemitismus“. Menschen, die bislang keine tief sitzenden Ressentiments gegenüber Juden gepflegt hätten, seien plötzlich empfänglich dafür, so der Jurist. Gleichwohl habe es „auch nach 1945 immer einen bestimmten Prozentsatz von Antisemiten in Deutschland gegeben.“

Voßkuhle forderte eine Überprüfung der bisherigen Aufklärungsarbeit. Viele Bildungsformate richteten sich an Menschen, die ohnehin schon gut informiert seien. Von Forderungen an Muslime, sich etwa öffentlich von der Hamas zu distanzieren, halte er nichts, so Voßkuhle. „Ich verstehe, wenn man sich das wünscht, wäre hier aber zurückhaltend. Empathie und Solidarisierung erzeugt man nicht durch Appelle. Es ist wie mit der Liebe: Man kann sie nicht einfordern, man kann nur für sie werben.“

Andreas Voßkuhle war von 2008 bis 2020 Richter am Bundesverfassungsgericht, ab 2010 als Präsident. Seit 2020 ist er Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“. Der Verein bietet nach eigenen Angaben Hilfe im Umgang mit Rechtsextremismus, berät bei der historisch-politischen Bildungsarbeit und wirbt für Toleranz.

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