Hannover

Rechtsgutachten sieht Gendern als Pflicht der Behörden

16.12.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Das Gutachten der Professorin für Geschlechterstudien, Ulrike Lembke, könnte die Debatte über das Gendern neu befeuern Quelle: pa/dpa/Wolfgang Kumm

Eine Berliner Professorin schreibt in einem Gutachten, Gendersprache sei für staatliche Stellen verpflichtend. Dies ginge aus dem Grundgesetz hervor. Die Stadt Hannover hat sich zwar selbst schon sprachliche Regeln auferlegt, die sollen aber nicht weit genug reichen.

Die niedersächsische Landeshauptstadt hat ein umfangreiches Rechtsgutachten zu der Frage beauftragt, ob Behörden gendern müssen. Darüber berichtete zuerst die FAZ. Die Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Berliner Humboldt-Universität, Ulrike Lembke, verfasste das Gutachten.

Der 123 Seiten lange Text könnte die Debatte über gendergerechte Sprache in Deutschland neu befeuern, denn die Berliner Professorin geht noch über die neuen Sprachregeln in Hannover hinaus. Vor drei Jahren erklärte die Stadt das Gendern zur verbindlichen Norm in der Verwaltung. Seitdem ist etwa das „Rednerpult“ ein „Redepult“ und aus „Wählern“ wurden „Wählende“. Auch die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ soll von den Mitarbeitern der Landeshauptstadt vermieden werden. Denn Personen, die sich „nicht als Frau oder Mann selbst beschreiben“, könnten sich diskriminiert fühlen. Einige griffen auch auf den Genderstern zurück.

Dafür erhielt die Stadt viel Kritik. Die Gleichstellungsbeauftragte Friederike Kämpfe (Grüne) sagte, das negative Feedback sei zum Teil beleidigend. In den Sitzungen des Stadtrats und der Ausschüsse habe die AfD regelmäßig dem Protokoll die Zustimmung verweigert, weil dort Redebeiträge der AfD-Ratsleute gegendert worden seien. Es werde sogar an der Gültigkeit städtischer Entscheidungen gezweifelt, weil die Gender-Sprachregeln nicht im Einklang mit dem amtlichen Regelwerk des Rats für deutsche Rechtschreibung stünden, schrieb das Blatt.

Ist Gendern ein Grundrecht?

Lembke hingegen leitete laut FAZ aus dem Grundgesetz eine Pflicht für staatliche Stellen ab, künftig gendergerechte Sprache zu verwenden und auf binäre Anreden wie „Sehr geehrte Damen und Herren“ zu verzichten. „Die Pflicht zur sprachlichen Nichtdiskriminierung besteht von Verfassung wegen und kann durch gesetzliche Regelungen oder durch Verwaltungsvorschriften, Erlasse und Weisungen konkretisiert werden.“

Dies begründe sie mit dem dritten Artikel des Grundgesetzes: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. 1994 wurde noch ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Lembke leite daraus einen Auftrag zu einer „überfälligen De-Privilegierung“ der Männer bis in die Verwaltungssprache ab. „Das Grundrecht auf Gleichberechtigung ist ein zu Gunsten von Frauen wirkendes, antipatriarchales Verbot, von der gesellschaftlich dominanten Gruppe der Männer unterdrückt zu werden“, hieß es im Gutachten laut FAZ.

Es gehe nicht nur um an Geschlechterrollen geknüpfte Nachteile, sondern auch um die Überwindung von benachteiligenden Geschlechterrollen. Der Staat solle also durch das Gendern in seinem Kompetenzbereich zu einer gerechten Gestaltung der Geschlechterverhältnisse in der gesamten Gesellschaft beitragen.

Nicht nur Verwaltungen sieht die Professorin laut der Zeitung in der Pflicht. Auch Gerichte, staatliche oder staatsnahe Einrichtungen sollen gendern müssen.

Lembke erhebt einen schweren Vorwurf. Sie attestiere den deutschen Verwaltungen, bei Umsetzung und Anwendung geschlechtergerechter Sprache vielfach „in grober Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze“ ihre Bindung an das Gesetz zu vernachlässigen.

Einwände gegen Gendersprache und Kritik am Gutachten

Einwände gegen die Gendersprache weise Lembke zurück, schreibt die FAZ. So entgegnete sie dem Einwand mit der Rechtschreibung, schlechten Lesbarkeit und möglichen neuen Sprachbarrieren, dass die Formulare bei der Überarbeitung im Zeichen der Geschlechtergerechtigkeit verständlicher gestaltet werden könnten. Lembke wies wohl auch zurück, dass die deutsche Sprache staatlicher Regulierung entzogen bleiben müsse, weil sie als Allgemeingut vorgeordnet sei. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zur Rechtschreibreform klargestellt, dass es ein solches Regelungsverbot für den Staat nicht gebe.

Das Blatt wies darauf hin, dass Lembke in ihrem Gutachten stellenweise eine Sprache verwende, die nicht wertneutral und daher schwerlich mit der Wissenschaft vereinbar sei. So sei in einer Fußnote spöttisch vom „heroischen Kampf“ der Fraktionen von FDP, CDU und AfD im Berliner Abgeordnetenhaus gegen den Genderzwang zu lesen. Zudem äußere sich Lembke teils ohne Achtung, etwa gegenüber dem Rechtschreibungsrat oder dem Bundesgerichtshof. Der sah eine Sparkasse in einem Urteil nicht dazu verpflichtet, ihre weiblichen Kunden als „Kontoinhaberin“ anzusprechen und nicht bloß als „Kontoinhaber“.

wb

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