Die Deutsche Stiftung Patientenschutz spricht von einem „Politikversagen“ während der Pandemie. Das höchste Opfer hätten die Pflegebedürftigen gebracht. An maßgeblichen Entscheidungen beteiligte Politiker gaben zuletzt Fehler in der Pandemiebekämpfung zu.
Bei der Aufarbeitung von Fehlern der Corona-Politik fordert die Deutsche Stiftung Patientenschutz einen Fokus auf Pflegeheime und Pflegebedürftige. „Das höchste Opfer des Politikversagens brachten die Pflegebedürftigen“, sagte Vorstand Eugen Brysch dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Der Grundschutz fehlte, ein überzeugendes Testregime gab es nie und zusätzliche Hilfskräfte sowie Ausweichquartiere waren nicht mal angedacht.“
Aus heutiger Sicht sei auch die Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal ein Fehler gewesen, sagte der Stiftungsvorstand. „Die einrichtungsbezogene Zwangsimpfung hat dem Berufsklima geschadet, ohne das Virus zu stoppen“, erklärte Brysch. „Doch bis heute fehlt hier eine Aufarbeitung.“
Bundespolitiker geben Fehler bei Corona-Maßnahmen zu
An maßgeblichen Entscheidungen beteiligte Bundespolitiker hatten zuletzt Fehler in der Corona-Politik eingeräumt. Helge Braun, bis Ende 2021 Kanzleramtsminister im Kabinett von Angela Merkel (beide CDU), sagte dem „Spiegel“, die Bundesregierung habe anfangs die Wirkmächtigkeit der Impfstoffe zu hoch eingeschätzt. Man sei davon ausgegangen, dass Geimpfte auch vor Ansteckungen sicher seien. „Wir haben das Impfen als eine Lösung für den Ausstieg aus der Pandemie beworben und eine Erwartung geschürt, die wir am Ende nicht erfüllen konnten“, räumte Braun ein.
Horst Seehofer (CSU), bis zum Regierungswechsel im Dezember 2021 Bundesinnenminister, sagte: „Wir haben Entscheidungen getroffen, denen ich heute nicht mehr zustimmen würde.“ Er nannte als Beispiel nächtliche Ausgangssperren, die kaum Wirkung auf die Unterbrechung der Infektionsketten gehabt hätten. Zudem müsse man mit Forderungen nach einer Zwangsimpfung sehr vorsichtig sein, sagte Seehofer weiter, wie der „Spiegel“ berichtet: „Die konnte ja nicht einmal für die Pflegeheime und Krankenhäuser in Bayern umgesetzt werden.“
Der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte dem „Spiegel“: „Der größte Fehler war, dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben.“ Die Kinder seien zu wenig psychotherapeutisch betreut gewesen. „Wir haben Warnsignale übersehen“, sagte Lauterbach, der bis Ende 2021 als SPD-Gesundheitspolitiker im Bundestag an den Beratungen und Entscheidungen beteiligt war.
Wie der „Spiegel“ berichtet, planen Gesundheitspolitiker der FDP, eine Enquetekommission „Pandemie“ im Bundestag einzusetzen. Es gehe darum zu klären, ob Hilfen in die richtige Richtung geflossen sind und ob einzelne Maßnahmen berechtigt waren, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann dem Magazin. Auch Seehofer würde diese Art der Aufarbeitung befürworten. „Das Parlament hat die Aufgabe, die Konsequenzen aus der Pandemie für die Gesundheitspolitik der Zukunft zu ziehen“, sagte er dem Magazin.
Lauterbach äußert sich skeptisch über mögliche Enquetekommission
Lauterbach hält zwar eine Reflexion der Corona-Politik für sinnvoll. Sie habe aber bereits während der Pandemie begonnen. „Und diese Aufarbeitung geht weiter. Alle neuen Gedankenanstöße dazu sind jederzeit willkommen“, sagte er dem „Spiegel“. Lauterbach äußerte sich aber skeptisch, ob eine Enquetekommission zur Aufarbeitung nötig sei.
Auch Irene Mihalic, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, blickt skeptisch auf eine mögliche Enquetekommission. Eine Aufarbeitung der Corona-Politik hält aber auch sie für sinnvoll: Das müsse die Ampel-Regierung noch in der laufenden Legislaturperiode tun, sagte Mihalic.
epd/AFP/gub