Hunderttausende Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine, viele davon nach Deutschland. Das stellt Innenministerin Nancy Faeser vor unerwartete Herausforderungen. Sie muss jetzt beweisen, dass sie die Ankunft und Versorgung der Geflüchteten organisieren kann. Macht sie so weiter wie bisher, droht der Kontrollverlust.
In dem polnischen Grenzort Dorohusk kommen derzeit jeden Tag tausende Menschen aus der Ukraine an. Sie suchen Zuflucht vor dem Krieg. Einige von ihnen wollen nach Polen, andere nach Deutschland und wieder andere nach Frankreich oder Italien. Für jeden gibt es dort eine Anlaufstelle. Die Ukrainerinnen und Ukrainer – es sind hauptsächlich Frauen und Kinder – werden mit einer Software registriert und ihre Daten gespeichert. Polen weiß so von allen Geflüchteten, wo sie hinwollen und wie man sie später kontaktieren kann.
Viele fahren weiter nach Deutschland – zunächst nach Berlin. Am Hauptbahnhof stehen die freiwilligen Helfer in gelben Warnwesten an den Gleisen. Zudem warten dort Frauen wie Männer mit Schildern auf denen etwa steht: „Zwei Frauen mit Kindern, eine Woche“ – also die Aufnahmekapazitäten. Angemeldet wird hier jedoch keiner – schon gar nicht digital. Von der Software erfahren Regierungsleute hierzulande erst jetzt. Dabei handelt es sich um das System eines deutsches Unternehmen.
Das zeigt, wie sehr es dem Bund bisher an Informationen und Planung mangelt. Verantwortlich wäre die Bundesinnenministerin, Nancy Faeser.
Länder melden Chaos – Faeser zeigt sich bisher zufrieden
Bei Faeser selbst, so scheint es, läuten die Alarmglocken aber noch nicht. Im Gegenteil: Am Mittwoch im Bundestag zeigte sich die SPD-Ministerin mit ihrem Krisenmanagement zufrieden. „Seit dem ersten Tag des Krieges sind Bund, Länder und Kommunen in engem Kontakt“, so Faeser. Den Menschen aus der Ukraine werde „schnell und umfassend geholfen“.
Das sehen nicht nur in den Reihen der Opposition einige anders. Auch aus der Ampel-Koalition gibt es Kritik an der Ministerin. So mahnte der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle: „Ich mache mir Sorgen, ob wirklich alle staatlichen Ebenen das Ausmaß der Katastrophe verstanden haben.“ Er frage sich, wie die Kommunikation sichergestellt werde. Doch Faeser bügelte auch das ab. Bund, Länder und Kommunen stünden in täglichem Austausch. Für einen Krisenstab oder ein Gipfeltreffen, wie ihn Teile der Grünen und FDP fordern, sieht die Ministerin wohl auch deshalb keinen Anlass.
Dabei ist die Wahrnehmung in verschiedenen Bundesländern eine andere als im Innenministerium. Das meiste passiere auf Eigeninitiative heißt es dort. Man sei auf freiwillige Helfer angewiesen. Und: Die Kapazitäten würden gerade in großen Städten, wie etwa Köln, immer geringer. Gerade bei der Registrierung der Menschen gebe es Probleme. Niemand wüsste derzeit genau, wer kommt und mit welchem Ziel.
Erst kürzlich kam es so zu einer beispielhaften Situation, als zwei Busse aus Berlin, die Geflüchtete nach West- und Ostdeutschland bringen sollten, wieder umkehren mussten, weil man vor Ort gar nicht auf die Ankunft der Menschen vorbereitet war und keine Kapazitäten hatte.
Ministerin berichtet von erstem Kontakt in Polen – nach drei Wochen Krieg
Im Innenausschuss beklagte die SPD-Ministerin, man habe schlichtweg keinen Überblick darüber, wie viele Menschen von Polen nach Deutschland kommen, erfuhr FOCUS Online aus Teilnehmerkreisen. Dabei könnten die polnischen Grenzlager mithilfe der gespeicherten Daten zumindest grobe Zahlen weitergeben. Dafür müsste es jedoch ein System mit klaren Strukturen, Ansprechpartnern und Abläufen geben.
Am Mittwoch berichtete Faeser man habe seit einer Woche einen entsprechenden Kontakt in Polen. Um wie viele Personen es sich bei diesem Kontakt handelt, wie der Kommunikationsplan aussieht und warum sich das Innenministerium in den ersten beiden Kriegswochen keinen Ansprechpartner gesucht hat, bleibt offen.
Situation längst nicht vorbei: Politiker rechnen mit weiteren Flüchtlingen
Immerhin: Ein Sprecher des Innenministeriums teilte nun mit, es werde in der kommenden Woche eine Internet-Plattform namens „Germany for Ukraine“ geben, in der sich Geflüchtete über Hilfsangebote informieren können. Doch von Datenerfassung ist auch hier bislang keine Rede.
Das kann und wird nicht ausreichen, um die Lage in den kommenden Wochen und Monaten in den Griff zu bekommen. Denn bei den Abgeordneten – Regierung wie Opposition – sind die allermeisten sicher: die Flüchtlingsströme sind längst noch nicht versiegt und die großen Herausforderungen kommen erst noch. Und in einem weiteren Punkt herrscht weitgehende Einigkeit: so richtig vorbereitet ist der Bund nicht auf das, was noch kommt.
Kurzum: SPD-Ministerin Faeser muss jetzt dringend zeigen, dass sie die Ankunft und Versorgung der Geflüchteten besser organisieren kann als sie es bisher getan hat. Andernfalls droht nicht nur Chaos, sondern auch maximale Unsicherheit für jene, die gerade schutzsuchend nach Deutschland kommen.