Parlamentswahl in Ungarn

Orbán gewinnt deutlich

03.04.2022
Lesedauer: 6 Minuten
Ministerpräsident Viktor Orbán am Sonntag bei der Stimmabgabe in Budapest Bild: dpa

Nach Auszählung eines Großteils der Stimmen liegt die Partei von Viktor Orbán knapp an der Grenze zu einer Zweidrittelmehrheit. Der Herausforderer Márki-Zay gesteht die Niederlage ein, bezeichnet die Umstände aber als undemokratisch.

In Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orbán mit seiner national-konservativen Partei Fidesz überraschend deutlich die Parlamentswahl am Sonntag gewonnen. „Wir haben einen riesigen Sieg errungen,“ triumphierte Orbán am späten Abend vor Anhängern. Der Erfolg sei so groß, dass man ihn „sogar vom Mond und auf jeden Fall von Brüssel aus“ sehen könne. Nach Auszählung von 75 Prozent der Stimmen schien sogar eine abermalige Zweidrittelmehrheit der Abgeordnetensitze (bei knapp 55 Prozent der Stimmen) möglich; allerdings könnte die Auszählung in den großen Städten, vor allem in Budapest, diesen Zwischenstand wieder drücken. Auf jeden Fall wird Orbán weiter mit einer klaren Mehrheit regieren können.

Abgeschlagen landete die vereinigte Oppositionsliste, die nach dem Zwischenergebnis nur etwa 33 Prozent der Stimmen erhielt. Ihr gehören sechs Parteien von rechts bis links an, angeführt wird sie von dem Provinzbürgermeister Péter Márki-Zay. Überraschend kann auch die rechtsextreme Partei Mi Hazank (Unsere Heimat) mit einem Einzug ins Parlament rechnen, auf die mehr als 6 Prozent der Stimmen entfielen. Márki-Zay gestand die Niederlage ein, fügte aber hinzu: „Das ist keine Demokratie“. Er verwies auf das massive Ungleichgewicht bei Finanzen und Medienpräsenz.

„Orbán ist zur Schande in Europa geworden“

Gewählt wurden die 199 Abgeordneten des Parlaments in Budapest. Schon die Umfragen vor der Wahl deuteten auf einen abermaligen Erfolg von Orbáns Fidesz hin, der seit 2010 regiert. Doch schien auch ein Erfolg der vereinigten Opposition im Bereich des Möglichen. Der Zusammenschluss schien jedenfalls zu bewirken, dass Orbán die parlamentarische Zweidrittelmehrheit verlieren würde, die ihm bislang dank eines starken Mehrheitsfaktors im Wahlrecht ein weitgehend freies Durchregieren samt Verfassungsänderungen ermöglichte. Diesmal haben sich die sechs stärksten Oppositionsparteien zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen, um in den 106 Wahlkreisen den Fidesz-Kandidaten jeweils nur einen Oppositionskandidaten gegenüberzustellen. Doch schien am Wahlabend wider Erwarten auch eine abermalige Zweidrittelmehrheit möglich – zumindest unter Einrechnung eines fraktionsfreien Abgeordneten für ethnische Minderheiten, der abermals ein Ungarndeutscher errungen haben dürfte.

Der gemeinsame Oppositionskandidat Peter Marki-Zay mit seiner Familie bei der Stimmabgabe am Sonntag in Budapest
Der gemeinsame Oppositionskandidat Peter Marki-Zay mit seiner Familie bei der Stimmabgabe am Sonntag in Budapest Bild: dpa

Der Wahlkampf hatte sich zuletzt am Thema des Ukrainekriegs zugespitzt. Orbán unterstellt der Opposition, sie würde durch Waffenlieferungen und sogar einen Einsatz von ungarischen Soldaten das Land in den Krieg ziehen. Die Opposition stellt Orbán dagegen als verdeckten Verbündeten des russischen Präsidenten Wladimir Putin dar. Zum Wahlkampffinale sagte Orbán: „Wir sind in der Lage, Ungarns Frieden zu verteidigen und Ungarns Sicherheit zu garantieren. Aber die Linke wird uns in diesen Krieg ziehen.“ Márki-Zay sagte, Orbán sei „eine Schande in Europa geworden“. Er habe die Unterstützung der NATO verloren, ohne die Ungarn nicht geschützt werden könne.

Dieses Thema hat ein anderes in den Hintergrund gerückt, das die Regierung mit der Parlamentswahl verbunden hatte: die Frage der öffentlichen Darstellung von Homosexualität und Geschlechtsumwandlung. Die Regierungsmehrheit hatte im vergangenen Jahr ein Gesetz verabschiedet, das es verbietet, solche Darstellungen in Schulen, Medien oder Werbung Minderjährigen zugänglich zu machen.

Weil international, auch seitens der EU-Kommission, Kritik an dem sogenannten Anti-Pädophilie-Gesetz laut geworden war, setzte die Fidesz-Partei ein nationales Referendum zu dem Thema an. Weil Anhänger der rechten Jobbik-Partei in dieser Sache mutmaßlich nicht die Kritik der linken und liberalen Oppositionsparteien teilen, drohte in dieser Frage eine Spaltung des Bündnisses. Daher hat die Opposition ihre Anhänger aufgerufen, einheitlich ungültig zu stimmen. Die Beteiligung an der Volksabstimmung lag am späten Nachmittag gleichauf mit derjenigen an der Parlamentswahl.

Ursprünglich wollten die Oppositionsparteien Jobbik (rechtsnational), Momentum (bürgerlich-liberal), LMP (grün-liberal), Párbeszed (sozialdemokratisch), DK (linksliberal) und MSZP (sozialistisch) mit jeweils eigenen Listen antreten. Doch wurden sie durch eine kurzfristige Wahlrechtsänderung auch dort zusammengezwungen. Die Änderung besagte, dass mit einer Liste nur antreten darf, wer in rund zwei Dritteln der Wahlkreise einen eigenen Kandidaten aufstellt. Unabhängig davon, wie folgenschwer dies ist, sind es solche einseitig durch die Fidesz-Mehrheit vorgenommenen Änderungen der Rahmenbedingungen, die der Partei Orbáns die Kritik eingetragen hat, ihre Macht zu Parteizwecken zu missbrauchen.

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die Beteiligung von ungarischen Staatsbürgern, die im Ausland leben. Ungarn, die in den traditionellen Siedlungsgebieten in den Nachbarländern (vor allem in Rumänien, der Slowakei, der Ukraine und in Serbien) leben, haben unter Orbán die Möglichkeit erhalten, leicht einen ungarischen Pass zu erwerben. Sie können per Briefwahl an der Listenwahl teilnehmen. Personen im Ausland, die weiterhin einen ungarischen Wohnsitz haben, müssen sich dagegen bei Botschaften und Konsulaten einfinden. Weil letztere als jüngere und ausgebildete Arbeitsmigranten potentiell eher der Opposition zuneigen, kritisiert diese das als Benachteiligung. Besonders stark wirken sich diese Stimmen aber so oder so nicht auf das Ergebnis aus.

Am Wahltag machte zudem die Nachricht die Runde, dass in Rumänien halb verbrannte Briefwahlzettel auf einer Müllhalde gefunden worden seien, die vorausgefüllt gewesen seien. Der Oppositionsabgeordnete Ákos Hadházy forderte das nationale Wahlkomitee NVB auf, sämtliche Briefwahlstimmen zu annullieren, diese Wahl zu wiederholen und den Vorfall zu untersuchen. Das Komitee wies die Forderung zurück: Es habe keine Befugnisse in Rumänien und könne dort keine Untersuchung anstellen. Die Wahlbehörde NVI stellte eine Anzeige bei der Polizei.

OSZE: Wahl war frei, aber nicht fair

Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hatten schon vor vier Jahren die Wahlen in Ungarn als frei, aber nicht fair bezeichnet. Gründe dafür waren unter anderem eine unzulässige Vermengung von Staat und Partei im Wahlkampf und eine Medienkonzentration zugunsten des Fidesz, vor allem bei Sendern und Zeitungen. Letzteres hat sich seither noch verstärkt.

Diesmal hat die OSZE eine große Delegation zur Beobachtung der Wahlen entsandt. Ein Zwischenbericht vor dem Urnengang deutete bereits Kritik in eine ähnliche Richtung an. Die Regierung wies den Bericht als einseitig und voreingenommen zurück. Außerdem wurde ein sachlicher Fehler in einer Passage moniert, in der Präsident János Áder als „ehemalig“ bezeichnet wird, obgleich er erst im Mai das Amt an seine bereits gewählte Nachfolgerin Katalin Novák übergeben wird.

Dieser Artikel wird im Lauf des Wahltages ergänzt und aktualisiert.

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