Neue Details zur Rolle grüner Spitzenbeamter unter Robert Habeck beim Atom-Ausstieg: Im Alleingang würgte ein Abteilungsleiter den Vorschlag eines Fachbeamten ab, neue Brennelemente in Frankreich zu besorgen. Per E-Mail ordnete er an: „Keine weiteren Aktivitäten“.
Die Veröffentlichung bislang geheimer Atomkraft-Akten durch das Magazin „Cicero“ vergangene Woche hat zu hitzigen politischen Debatten und zwei Sondersitzungen von Bundestagsausschüssen geführt.
Laut dem Enthüllungsbericht sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 interne Bedenken gegen den Sinn eines fristgerechten Atomausstiegs unterdrückt worden sein – aus parteipolitischen Erwägungen. Beide grün geführten Ministerien wiesen das scharf zurück.
Nach Habecks Dementi erhebt „Cicero“ neue Vorwürfe
Jetzt erhebt „Cicero“ neue Vorwürfe. Das Magazin bezieht sich dabei auf einen E-Mail-Austausch innerhalb des Wirtschaftsministeriums, der sich in den freigeklagten Atomkraft-Akten befand.
Kernaussage des an diesem Dienstag veröffentlichten Artikels: Verantwortliche Mitarbeiter im Ressort von Robert Habeck haben vernünftige, zumindest aber diskussionswürdige Vorschläge von Kollegen aus der unteren Hierarchie offenbar ohne viel Aufhebens abgeschmettert. Der fragliche Schriftwechsel liegt auch FOCUS online vor.
Die Beteiligten: Ein Fachbeamter des inzwischen aufgelösten Kernenergie-Referats und dessen Vorgesetzter Christian Maaß.
Der aus Hamburg stammende Grünen-Politiker Maaß leitet die Abteilung „II – Wärme, Wasserstoff und Effizienz“ im Bundeswirtschaftsministerium. Habeck hatte ihn Anfang 2022 vom Hamburg Institut, das zum Netzwerk der „Agora-Energiewende“-Lobby zählt, ins Ministerium geholt.
Brisanter Mail-Austausch zum Thema Brennelemente
Inhaltlich geht es in dem Schriftwechsel um die Beschaffung von Brennelementen, die das Herz eines jeden Atomkraftwerks sind.
Im Zuge der aktuellen Debatte hatte Habeck vergangene Woche erklärt, die Atomkraftwerksbetreiber in Deutschland hätten ihm im März 2022 mitgeteilt, dass ihre vorhandenen Brennelemente „ausgelutscht“ gewesen seien. Auf Deutsch: Ein längerer Weiterbetrieb sei technisch nicht möglich.
Was Habeck ausdrücklich nicht sagte: Ebenfalls im März 2022 suchten Fachleute in seinem Haus nach Lösungen für das Problem und überlegten, wie man rechtzeitig bis zum Winter neue Brennelemente besorgen könnte.
So sendete ein Fachbeamter am 9. März 2022 eine E-Mail an seinen Vorgesetzten Christian Maaß und machte ihm einen Vorschlag zum Thema „Liefermöglichkeiten neuer Brennelemente“ für die drei noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland. Dabei stellte er voran, dass die Kraftwerksbetreiber über ihre „bisher genutzten Lieferkanäle“ mit einer Lieferfrist „von 15 bis 18 Monaten“ kalkulieren.
„Denkbar ist natürlich auch, dass man mal bei den Franzosen nachfragt“, schlug der Experte vor. „Die sollten für ihre 58 Reaktoren doch für deren laufenden Betrieb auch eine gewisse Reserve an fertigen Brennelementen vorhalten.“ Diese müssten also nicht erst gefertigt werden, „vielleicht könnten wir die auch in den deutschen AKW einsetzen, und zwar kurzfristig, noch rechtzeitig vor dem kommenden Winter 22/23.“
Für eine Verfügbarkeit könnte auch sprechen, „dass derzeit ja mehrere französische Reaktoren außerplanmäßig in längerem Stillstand für Revisionen sind“, so der Mitarbeiter.
Er habe über diese Idee „bisher noch nicht mit anderen gesprochen“. Allerdings werde diese Frage „sicher hochkommen“, deshalb sollte sich das Wirtschaftsministerium „besser vorsorglich damit befassen“. Abschließend nannte der Experte geeignete Ansprechpartner wie die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit sowie Brennstoff-Hersteller.
Fachbeamter scheitert krachend mit Frankreich-Vorstoß
Zum Hintergrund: Für die Genehmigung über die Ein- und Ausfuhr von Kernbrennstoffen ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) verantwortlich, das zum Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums gehört.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Bereits eine gute Stunde später antwortete Abteilungsleiter Christian Maaß:
„Hallo, ich lasse das jetzt mal auf sich beruhen, weil das BMUV (gemeint ist das Bundesumweltministerium, die Redaktion) sicherlich ohnehin entsprechend informiert ist. VG Christian“.
In einer weiteren Mail erklärte Maaß die Diskussion kurz darauf für beendet:
„Bitte abschließend regeln, keine weiteren Aktivitäten in Richtung Brennelementebeschaffung aus unserem Haus nötig.“
Damit war die Anregung des Experten im Schnelldurchgang niedergebügelt worden und das Thema beerdigt.
„Cicero“: Weiterer Beleg für Praxis in Habecks Ministerium
Natürlich hätte der grüne Abteilungsleiter Christian Maaß die Möglichkeit gehabt, den Vorschlag weiterzutragen oder sich sogar dafür starkzumachen. Zumindest hätte er ihn – ganz neutral – in größerer Runde zur Diskussion stellen können. Das geschah aber offensichtlich nicht.
Ob der Vorschlag, in Frankreich nach Brennelementen zu fragen, tatsächlich zum Erfolg geführt hätte, sei unklar, resümiert der „Cicero“. Aber das Beispiel verdeutliche auf ganz konkrete Art, was die gesamten freigeklagten Akten zeigen würden:
„Die von Robert Habeck eingestellten Spitzenbeamten der Grünen haben ihre neu gewonnene Macht dafür genutzt, eine Laufzeitverlängerung mit allen Mitteln zu verhindern.“
Eine Reaktion aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu dem Vorgang steht noch aus.
Vergangene Woche versicherte Robert Habeck, der die brisanten Dokumente erst auf Druck eines Gerichtsurteils herausgab, die Prüfung der Ausstiegsfrage sei „stets ergebnisoffen und transparent“ erfolgt. Ähnlich äußerte sich seine Kollegin, Umweltministerin Steffi Lemke (ebenfalls Grüne).
Union bemängelt fehlende Unterlagen
Sowohl Lemke als auch Habeck versicherten in Sondersitzungen des Wirtschafts- und Umweltausschusses am vergangenen Freitag, für Aufklärung sorgen zu wollen. Aus der Unionsfraktion ist zu hören, dass das zwar von Lemkes Haus gelebt werde, von Habecks jedoch nicht. So soll der Mail-Austausch, den „Cicero“ nun öffentlich gemacht hat, nicht Teil der im Ausschuss vorgelegten Dokumente gewesen sein.
Die umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Anja Weisgerber, sagte FOCUS online zur neuesten „Cicero“-Enthüllung: „Es wird immer deutlicher, dass es nie eine ergebnisoffene Prüfung der AKW-Laufzeitverlängerung gegeben hat. Das Zugesagte wurde nicht eingehalten. Minister Habeck hat damit die Öffentlichkeit hinters Licht geführt.“ Die Fraktion hat deshalb auch ein umfangreiches Fragenpaket an die Bundesregierung geschickt.
gös/