Komplikationen nach einer Corona-Impfung sind selten, aber es gibt sie. Nach MDR-Berichten dazu haben sich weitere Betroffene gemeldet. Sie fordern eine zentrale Anlaufstelle und eine bessere Aufarbeitung.
Kampf um Anerkennung, Suche nach Anlaufstellen
Zahlreiche Betroffene von Impfnebenwirkungen haben dem MDR geschrieben. Und der Berg an Zuschriften wächst und wächst. Dies ist eine Reaktion auf insgesamt drei Fernsehberichte der Magazine UMSCHAU und PLUSMINUS. Neben den Betroffenen kamen Ärzte und Forschende zu seltenen, aber zum Teil schwerwiegenden Nebenwirkungen nach der Corona-Impfung zu Wort.
Die Menschen, die dem MDR schreiben, danken dem Redaktionsteam für die ehrliche Berichterstattung. Viele fühlten sich allein gelassen, sie hatten das Gefühl, im öffentlichen Diskurs nicht vorkommen zu dürfen, totgeschwiegen zu werden, um den Erfolg der Impfkampagne nicht zu gefährden.
Das schrieben uns Betroffene:
Seit meiner Impfung bin ich nicht mehr arbeitsfähig, meine Lebensqualität und Familienleben leiden stark darunter … Ich fühle mich völlig mir selbst überlassen und hilflos, weil keiner sich der Thematik annimmt.
Leider ist zu beobachten, dass dieses unangenehme Thema nur wenig bis gar nicht in der Gesellschaft und in der Politik diskutiert und reflektiert wird.
Als Betroffene kann ich nur sagen, dass dieses Ausblenden die schwierige Situation der Betroffenen noch verschärft.
Dabei seien sie, so betonen die meisten immer wieder, weder Impfgegner noch Coronaleugner. Sie hätten sich impfen lassen, um sich und andere zu schützen. Nur, dass bei ihnen der berühmte „Piks“ eben nicht nur ein „Piks“ war, sondern gesundheitliche Schäden zur Folge hatte und teilweise ihr Leben dramatisch veränderte.
Sie kämpfen um Anerkennung, suchen dringend Anlaufstellen für ihre zum Teil noch unerforschten Impffolgen, bei denen eine Betreuung gewährleistet und zumindest der Versuch unternommen wird, eine zielgerichtete Therapie zu finden. Sie fordern auch, von staatlicher Seite finanzierte Forschungsprojekte, um zu verstehen, wieso der Impfstoff bei manchen Menschen Schaden anrichtet.
Muskelzuckungen, Taubheitsgefühle, Herzrhythmusstörungen
Eine, die dem MDR schon nach der ersten Berichterstattung im Februar geschrieben hat, ist die 31-jährige Vera Rieder. Seit ihrer ersten Corona-Impfung im Oktober letzten Jahres leidet die junge Frau unter den Nebenwirkungen. Es begann mit einem linksseitigen Hautausschlag. Kribbelgefühle, Muskelzuckungen und Taubheitsgefühle kamen dazu. Die Hand der Sportlehrerin geht in eine Spastik über, die die Ärzte als Impfreaktion mit Krallenhand beschreiben. Dazu kamen starke Herzrhythmusstörungen, die sie zuvor nie hatte. „Wenn das Herz wirklich 30 Mal in der Minute schlägt und dann ins andere Extrem übergeht bis zu 170 Mal, also massive Pulsschwankungen. Mein Herz krampfte sich zusammen, das ging nicht Stunden sondern Wochen so. Und wenn man dann keine Erklärung für diese Symptome bekommt, das macht einem wirklich Angst“ so die 31-Jährige.
Zweimal war die junge Frau im Krankenhaus. Sie konsultierte zahlreiche Fachärzte, darunter Kardiologen und Neurologen. Die gehen zunächst von einer überschießenden Immunreaktion aus, behandeln sie mit Kortison und Betablockern. Doch keiner ihrer Ärzte scheint zu wissen, warum sie so extrem auf die Impfung reagiert. Seit nunmehr fünf Monaten ist die Lehrerin arbeitsunfähig, laut Diagnose wegen Impfkomplikationen. Obwohl sie ihren Fall dem zuständigen Paul-Ehrlich-Institut meldet, Befunde dorthin schickt, bekommt sie lediglich Standardantworten. Sie hat das Gefühl, dass ihre Nebenwirkungen niemanden interessieren.
Impfnebenwirkungen – ein gesellschaftliches Tabu?
„Es wird einfach totgeschwiegen. Die Betroffenen werden allein gelassen, man hat diese gesundheitlichen Probleme, man ist hilflos, weil man eine recht unerforschte Reaktion hat, wo einfach auch viele Ärzte überfordert sind und dann kommt für uns Betroffene noch dazu, dass wir in der Gesellschaft ein Tabuthema sind“, erklärt die 31-jährige Vera Rieder.
Dass sie nicht allein ist, erfährt die junge Frau im Internet. Zahlreiche Betroffene tauschen sich in einem Forum aus, schildern nahezu identische Nebenwirkungen. Viele darunter haben wie sie das Gefühl, dass ihre Symptome klein geredet, nicht ernst genommen werden. Sie suchen nach Therapien für ihre Beschwerden, haben nur einen Wunsch, wieder gesund zu werden. Sie wollen ihr „altes Leben zurück“. Doch oft werden sie von Arzt zu Arzt, von Klinik zu Klinik geschickt – ohne Erfolg.
Hilferufe: Schaut hin! Helft uns!
Auch Stefanie Wietersheim hat so einen Ärzte-Marathon hinter sich. Die 51-jährige Buchautorin leidet seit ihrer dritten Impfung unter massiven gesundheitlichen Einschränkungen. Vor der Booster-Impfung war sie vollkommen gesund – das weiß sie so genau, weil sie sich in Vorbereitung auf einen Marathon kurz vorher medizinisch durchchecken ließ. Jetzt fühlt sich die ehemals sportliche Frau an manchen Tag so schwach und erschöpft, dass sie kaum eine Treppe steigen kann. Zwischenzeitlich war sie sogar auf einen Rollstuhl angewiesen.
Sie sagt: “Die Impfung hat natürlich wahnsinnig viele Leben gerettet, das ist ja vollkommen klar. Aber genauso muss man sehen: Wir haben eine Minderheit, die wird sehr krank, warum auch immer. Das ist schon unangenehm und ich kann nur an die politisch Verantwortlichen appellieren: Schaut hin! Helft uns!”
Die Suche nach Therapien
Eine entscheidende Rolle bei der Erforschung der Ursachen könnten die sogenannten Autoimmun-Antikörper spielen, also Antikörper, die sich nicht gegen Krankheitserreger richten, sondern gegen den eigenen Körper. Solche Autoantikörper werden häufig auch bei Long-Covid-Patienten festgestellt, die zum Teil unter ähnlichen Beschwerden leiden wie die Menschen mit Impfnebenwirkungen. Dazu zählen Gelenkschmerzen, Muskelkrämpfe, Taubheitsgefühle, aber auch Erschöpfung, Schwäche, Nervenschmerzen und Herzrhythmusstörungen.
Vera Rieder lässt deshalb ihr Blut auf diese Autoantikörper analysieren. Die Kosten, mehr als 200 Euro, muss sie selbst tragen. Das Ergebnis ist positiv. Das heißt: In ihrem Blut wurden die Autoantikörper nachgewiesen, die für ihre zahlreichen Symptome verantwortlich sein könnten.
Marion Bimmler, die in Berlin ein Labor leitet, forscht seit Jahren zu den so genannten Autoantikörpern. Bei insgesamt 300 Patienten, die nach der Impfung Symptome entwickelt haben, hat sie diese im Blut nachweisen können. Da die Betroffenen zum Teil seit Monaten schwer krank sind und auf eine Therapie warten, hat sie die zuständigen Behörden umgehend informiert. „Ob es das Paul-Ehrlich-Institut war, die Ständige Impfkommission oder Lauterbach usw., sobald sie das Wort Impfen erwähnen, bekommen sie keine Antwort. Dabei sind wir doch keine Impfgegner, das sind doch Menschen, die sich haben impfen lassen, sie haben das Gesundheitswesen, sich selbst und ihre Angehörigen schützen wollen und sie bekommen von niemanden eine Antwort. Das ist mir in einem meinem langen Arbeitsleben und das ist wirklich schon lange, noch nie passiert“, erklärt sie.
Paul-Ehrlich-Institut erkennt kein gehäuftes Auftreten der Symptome
Für die Erfassung aller Verdachtsfälle ist in Deutschland ist das Paul.Ehrlich-Institut zuständig. Laut aktuellem Sicherheitsbericht wurden bis Ende letzten Jahres 29.800 Verdachtsfälle von schwerwiegenden Impfnebenwirkungen registriert. Bei insgesamt 149 Millionen Impfungen sind das 0,02 Prozent. Erwähnt werden die seltenen Sinus-Venenthrombosen, auch die sogenannte Myokarditis, also die Herzmuskelentzündung. Die Impfnebenwirkungen, die zahlreiche Menschen dem MDR gegenüber beschreiben, werden nicht explizit im Bericht ausgeführt.
Auf unsere Anfrage schreibt uns das Paul-Ehrlich-Institut, man nehme die Fälle ernst, habe aber bisher „kein Risiko-Signal“, das heißt, kein gehäuftes Auftreten der Symptome im Zusammenhang mit der Impfung erkennen können.
Nicht alle Verdachtsfälle werden gemeldet
Ärzte vermuten, dass nicht alle Verdachtsfälle beim Paul-Ehrlich-Institut gemeldet werden. Denn für die Meldung einer Impf-Nebenwirkung gibt es unterschiedliche Hürden. So beklagen Mediziner, dass die Meldung extrem zeitaufwendig sei. Diese Erfahrung hat auch Dr. Erich Freisleben gemacht. Er hat sich in einem Video öffentlich zu Impfnebenwirkungen geäußert. Was dann folgte, überforderte den Allgemeinmediziner und Internisten. Seine Praxis wurde von Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet regelrecht überrollt.
Dabei erlebte er, dass viele dieser Menschen nicht als sogenannte Verdachtsfälle an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldet wurden, weil seine Kollegen die Symptome nicht mit der Impfung in Verbindung bringen wollten. Das hält er für falsch: “Ich habe den Eindruck, dass das Impfthema dermaßen emotional aufgeladen ist, dass man sich nicht traut, irgendetwas zu sagen, was vielleicht als Schwäche oder als Problem in diesem Zusammenhang im Raum steht, um nicht in eine bestimmte Kategorie eingeordnet zu werden. Und das, finde ich, darf nicht sein.“
Zurückhaltung bei öffentlichen Äußerungen zu Nebenwirkungen
Auch wir erleben diese Zurückhaltung während unserer Recherchen. Wir kontaktieren Universitätskliniken, die sich mit den beschriebenen Impfnebenwirkungen beschäftigen, sogar zu den Ursachen und Therapieansätzen forschen. Am Telefon reden sie offen über die Fälle, doch öffentlich wolle man derzeit lieber nicht sprechen. Schriftlich heißt es von einem Klinikum, „aufgrund des politischen Formats würde man mit einem Auftritt sehr zurückhaltend sein“.
Dabei sehen Ärzte und Wissenschaftler dringend Handlungsbedarf. Das Universitätsklinikum Marburg bietet beispielsweise eine Spezialambulanz nicht nur für Patienten mit Long Covid sondern auch für solche mit Nebenwirkungen nach der Corona-Impfung an. Wer sich an die Sprechstunde der Marburger Spezialambulanz wenden möchte, erreicht diese per Mail unter: post-covid- impfung.mr@uk-gm.de
Überlastete Spezialambulanzen an Universitätskliniken
Seit Ende Dezember letzten Jahres forschen der Kardiologe Professor Bernhard Schiffer und sein Team nach den Ursachen. Sie wollen herausfinden, warum das Immunsystem bei einigen Menschen nach der Impfung offenbar „falsch abbiegt“. Und obwohl sie kaum Werbung für ihre Studie gemacht haben, bekommen sie bis zu 200 Anfragen am Tag. Dass viele der Patienten nicht ernst genommen, von einem Arzt zum nächsten gereicht werden, liege daran, dass das Beschwerdebild neu ist und es nicht hinreichend bekannt sei, dass die Impfung es auslösen könne. Auch bei Ärzten bestünde deshalb Beratungsbedarf, so der Kardiologe Schieffer: „Wir haben täglich drei, vier, fünf größere Krankenhäuser und Arztpraxen, die uns anrufen, was sollen wir mit diesen Patienten machen und auch dort muss Awareness, muss Wachsamkeit geschaffen werden.“
Aktuelle Studie: Untererfassung von Impfnebenwirkungen
Doch die Wachsamkeit werde nur geschaffen, wenn Ärzte auch alle Verdachtsfälle melden. Dies sei dringend notwendig, erklärt uns Professor Harald Matthes, ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Stiftungsprofessor am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Denn nur so könne ein sogenanntes Risiko-Signal, sprich ein gehäuftes Auftreten bestimmter Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Impfung erkannt werden.
Matthes leitet derzeit die ImpfSurv-Studie zu Impfnebenwirkungen an der Charité. Aufgrund aktueller Erhebungen seines Institutes kommt er zu dem Schluss: „Man muss davon ausgehen, dass wir beim Paul Ehrlich Institut eine erhebliche Unterfassung haben, weil wir in unserem Register höhere Zahlen haben. Und wenn wir unsere Zahlen mit denen von Israel, Kanada und Skandinavien vergleichen, kommen wir auf die gleichen Zahlen. Und dieser Vergleich lässt den Schluss zu, dass wir in Deutschland eine Untererfassung der Nebenwirkungen beim Paul Ehrlich Institut haben.“
Kaum Aussicht auf Entschädigung
Auch wenn es darum geht, für ihre Schäden nach einer Corona-Schutzimpfung entschädigt zu werden, sind die Hürden für die Betroffenen extrem hoch. Denn Impfschäden werden nur anerkannt, wenn die Symptome noch sechs Monate nach der Impfung anhalten. Und auch dann seien die Chancen bei den zuständigen Versorgungsämtern der Bundesländer schlecht. Der Wiesbadener Anwalt Joachim Cäsar-Preller vertritt mehrere Impfgeschädigte. Die derzeitige Entschädigungspraxis durch den Staat hält er für unverantwortlich: „Die Ablehnungsquoten sind hoch, es wird so gut wie alles abgelehnt, alles von sich gewiesen, und das passt so gar nicht dazu, dass man doch zum Impfen immer auffordert und da auch Druck erzeugt. Aber man muss sich auch der Menschen annehmen, die leider mit den Nebenwirkungen zu kämpfen haben, die teilweise schwer erkrankt sind und ihren Beruf nicht mehr ausüben können.“
Die Ablehnungsquoten sind hoch, es wird so gut wie alles abgelehnt, alles von sich gewiesen.
Joachim Cäsar-Preller, Jurist
Auch die 31-jährige Vera Rieder hat sich jetzt an einen Anwalt gewandt. Nach wie vor wartet sie auf eine Ursachentherapie. Eine Blutwäsche könnte die Autoantikörper entfernen. Doch die kann bis zu 15.000 Euro kosten. Alle Anträge auf Kostenübernahme wurden abgelehnt, die Therapie sei für ihre Impfreaktion noch zu wenig erforscht: „Das macht mich wirklich wütend. Ich habe mich ja aus gutem Gewissen für mich und andere impfen lassen und jetzt gehört man zu diesen wenigen Fällen mit so schweren Nebenwirkungen und man wird allein gelassen.“