"Shame on you"

Melnyk legt sich jetzt auch mit Steinmeiers Nachfolger an

18.04.2022
Lesedauer: 3 Minuten
Der Fall der schwer umkämpften Hafenstadt Mariupol würde dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge das endgültige Aus der Gespräche mit Russland bedeuten. In der belagerten Hafenstadt sind neben den verteidigenden ukrainischen Truppen Zehntausende Zivilisten eingeschlossen. Quelle: WELT / Stefan Wittmann

Der ehemalige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) verteidigte seinen Amtsvorgänger und heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier gegen die harte Kritik des ukrainischen Botschafters. Die Reaktion Andrij Melnyks ließ nicht lange auf sich warten.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) habe als früherer Außenminister (2013-2017) gemeinsam mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „mehr als alle anderen in Europa“ dafür getan, die Ukraine zu unterstützen, schrieb Sigmar Gabriel (Bundesaußenminister von 2017-2018) in einem Gastbeitrag für den „Spiegel“ und griff dabei den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk scharf an.

Botschafter Melnyk hatte Steinmeier in einem Interview im „Tagesspiegel“ unter anderem vorgeworfen, „seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft“ zu haben. „Spinnennetze dienen bekanntlich dem Fang und der anschließenden Verwertung der Beute“, schrieb dazu Gabriel in dem am Sonntag veröffentlichten Beitrag. „Auf den Punkt gebracht insinuiert dieser Vergleich, dass der frühere Kanzleramts- und Außenminister die Interessenvertretung Russlands in Deutschland mitorganisiert habe. Das ist wahrheitswidrig und bösartig.“

Melnyk reagierte umgehend: Bösartig sei vor allem die „jahrelange Putin-freundliche Politik“ gewesen, die Gabriel und seine „SPD-Kumpane“ geführt hätten, schrieb er auf Twitter. Diese habe „den barbarischen Vernichtungskrieg“ gegen die Ukraine „erst herbeigeführt“, fügte „Melnyk hinzu. „Die Aufarbeitung kommt noch. Shame on you“ (deutsch: Schämen Sie sich).

Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung waren Pläne von Bundespräsident Steinmeier, gemeinsam mit seinen Kollegen aus Polen und den drei baltischen Staaten nach Kiew zu reisen. Am Dienstag erklärte er jedoch, die ukrainische Führung habe seinen Besuch abgelehnt.

Diese Absage „ist beispiellos und irritiert“, urteilte Gabriel. Es sei zwar verständlich, wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj „seiner Wut und seinem Unverständnis gegenüber Politikern aus Deutschland und anderen EU-Staaten für ihre frühere Russland- und Energiepolitik Ausdruck verleihen wollte“. Hier müsse man Selenskyj „häufig sogar zustimmen“.

„Was wir allerdings nicht hinnehmen sollten, sind Verschwörungstheorien über die Politik unseres Landes und seine Verantwortungsträger“, fügte Gabriel hinzu. Melnyks „Spinnennetz“- Äußerung bezeichnete er als „gefährlichere Variante der Verschwörungstheorien“.

Der Ex-Minister verteidigte zugleich die derzeitige Haltung der Bundesregierung zum Thema Waffenlieferungen. „Führung in Europa heißt auch, sich die Konsequenzen einer Ausweitung dieses Krieges bewusst zu machen“, schrieb er. „Und deshalb ist es richtig, dass die deutsche Bundesregierung schwere Waffen – im Kern Panzer – nur in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika an die Ukraine liefern kann.“

Außenpolitik und Diplomatie könnten „nicht auf Dauer von Panzern und Raketen ersetzt werden“, betonte Gabriel. Außerdem müsse „man auf der Suche nach gewaltfreien Konfliktlösungen den sehr unbequemen und meist auch sehr unpopulären Schritt machen“, sich in „die Schuhe des Gegners zu stellen. Nicht um sich dessen Schuhe anzuziehen, aber um den Raum für denkbare Verständigungen zu vermessen.“

Steinmeier war von 1999 bis 2005 Chef des Bundeskanzleramts unter Gerhard Schröder (SPD). Danach war er bis 2009 und erneut von 2013 bis 2017 Bundesaußenminister. Gabriel wiederum war von 2017 bis 2018 Außenminister und zuvor erst Umwelt- und später Wirtschaftsminister.

AFP/dpa/kami

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