In Migrationsfragen missachtet Viktor Orbán offen europäisches Recht. Emmanuel Macron geht trotzdem auf Ungarns Regierungschef zu.
In der Flüchtlingspolitik steht Ungarn innerhalb der EU am Rand, kaum jemand tritt so konsequent für Abschottung ein wie Viktor Orbán. Der französische Präsident Emmanuel Macron geht nun demonstrativ einen Schritt auf den ungarischen Rechtspopulisten zu.
Zwar habe es in der Vergangenheit Differenzen in der Flüchtlingspolitik gegeben, sagte Macron bei einem Besuch in Budapest. Die aktuelle Lage an der polnisch-belarussischen Grenze sei aber so geartet, »dass es uns dazu bringt, an eine Neuorganisation zu denken, um den Migrationsbewegungen vorzubeugen, unsere Grenzen besser zu schützen und erfolgreich die Mittel und Wege zu finden für eine wirksamere Kooperation der Europäer zu diesem Thema«.
Orbán gilt in Migrationsfragen als Hardliner. Seine Regierung weigert sich seit 2015 hartnäckig, Asylbewerber aufzunehmen. Ungarn hat seine Grenzen dichtgemacht. Vor ein paar Monaten musste sich selbst die europäische Grenzschutzagentur Frontex aus dem Land zurückziehen, weil der Europäischer Gerichtshof geurteilt hatte, dass die ungarische Asylpolitik gegen EU-Recht verstößt.
Als Reaktion auf den Versuch des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko, mithilfe eingeflogener Flüchtlinge die EU unter Druck zu setzen, hat die EU bereits die Asylregeln für die betroffenen Länder wie Polen oder Litauen gelockert. In dieser Woche möchte die EU-Kommission zudem einen Vorschlag für eine Reform des Schengener Grenzkodex vorstellen. Durch ihn sollen die EU-Staaten weitere Ausnahmerechte bekommen, falls ein europäisches Nachbarland Migranten »instrumentalisiert« und Schutzsuchende an die EU-Außengrenze leitet.
»Wir haben auch den Willen, zusammenzuarbeiten für dieses Europa«
Macron und Orbán zeigten sich nun erstaunlich einmütig. »Wir sind politische Gegner, aber europäische Partner«, sagte Orbán. Von Macron hieß es: »Wir haben politische Meinungsverschiedenheiten, die bekannt sind, aber wir haben auch den Willen, zusammenzuarbeiten für dieses Europa.«
Laut Orbán herrscht mit Macron Konsens in drei Punkten: »Wir beide lieben unsere Länder, wir arbeiten für ein stärkeres Europa und wir sind uns einig, dass Europa eine strategische Autonomie braucht.« Unter »strategischer Autonomie« verstehe er eine starke Rüstungsindustrie, Atomkraft und landwirtschaftliche Eigenständigkeit. Macron wiederum dankte Ungarn für die militärische Unterstützung Frankreichs im afrikanischen Mali.
Frankreich übernimmt in der ersten Jahreshälfte 2022 die EU-Ratspräsidentschaft. Im Vorfeld war Macron nun zu einem Gipfeltreffen der Visegrád-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) nach Budapest gereist. Es werde kontroverse Diskussionen über europäische Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte, den Kampf gegen Diskriminierung und den Pluralismus der Medien geben, kündigte Macron beim Treffen mit Orbán an.
Es komme aber darauf an, dass jedes Mitgliedsland respektiert werde, dass man verstehe, wie Spannungen zu diesen Themen entstehen, »auf dem Weg des Dialogs und des Respekts«. Der französische Präsident ist in Migrationsfragen in den vergangenen Jahren nach rechts gerückt. Bei den anstehenden französischen Präsidentschaftswahlen machen ihm vor allem Konservative und Rechtsextremisten Konkurrenz.
slü/dpa