Mehrere Medien berichten, dass die britische Regierung die geplante Impfpflicht für Ärzte und Pfleger kippt. Grund ist der milde Verlauf bei Omikron – und die Angst vor einem massivem Schwund des Personals.
In London verdichteten sich am Montag die Anzeichen dafür, dass die geplante Impfpflicht für Ärzte und Pfleger im Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) gekippt wird. Mehrere Zeitungen berichteten, dass die Entscheidung in der Regierung getroffen sei, und sie Gesundheitsminister Sajid Javid nur noch im sogenannten Corona-Kabinett absegnen lassen will. Von der Kehrtwende betroffen wären wohl auch Pfleger in Altenheimen, für die eine Impfpflicht bereits im vergangenen Jahr eingeführt worden war.
Die Regierung hatte unlängst alle Einschränkungen für England aufgehoben, die zu Beginn der Omikron-Welle eingeführt worden waren, inklusive der Maskenpflicht. Vom 11. Februar an sollen auch noch die letzten verbliebenen Maßnahmen abgeschafft werden, darunter die Testpflicht für Einreisende und die fünftägige Quarantäne für Infizierte.
Als Gründe für den Kurswechsel bei der Impfpflicht gelten die allgemeine Entwarnung bei der Omikron-Variante und die Befürchtung, dass dem NHS bis zu 80.000 Ärzte und Pfleger verloren gehen könnten. Ein ähnliches Phänomen war nach der Einführung der Impfpflicht für Altenpfleger zu beobachten gewesen. Schätzungen zufolge mussten 40.000 von ihnen den Dienst quittieren, weil sie zum Stichtag keinen Impfnachweis präsentieren konnten. Sie würden jetzt wohl wieder eingestellt, weil der Sektor unter erheblichen Personalengpässen leidet.
„Katastrophale Auswirkungen“
Der Anteil der ungeimpften Beschäftigten im staatlichen NHS, zu denen nicht nur Ärzte und Krankenpfleger zählen, liegt bei fünf Prozent. Die zentralen Vertretungen für Krankenschwestern, Hebammen und Hausärzte hatten in den vergangenen Wochen wiederholt auf einen Aufschub der Impfpflicht gedrungen. Deren Auswirkung wurde als „katastrophal“ bezeichnet, auch weil der NHS zum Zeitpunkt der geplanten Einführung noch immer unter der winterlichen Hochbelastung stehe. Nach den Meldungen über den bevorstehenden Kurswechsel äußerten sich mehrere Verbände erleichtert. Auch in den Reihen der konservativen Partei wurde die Aussicht begrüßt.
Nach den ursprünglichen, im vergangenen März verkündeten Plänen sollte die Pflicht zum Impfnachweis vom 1. April an greifen. Dafür hätten die Ungeimpften spätestens bis zu diesem Donnerstag ihre erste Spritze bekommen müssen. Ungeimpften, die nicht in eine patientenferne Abteilung versetzt werden könnten, hätte im April die Kündigung gedroht. Der „Daily Telegraph“ berichtete, dass der Politikwechsel wohl erst Mitte dieser Woche offiziell bekannt gegeben wird, womöglich um noch ein paar Impfungen mehr zu erreichen. Viele NHS-Beschäftigte hatten sich von der Impfpflicht-Ankündigung zu einer Impfung bewegen lassen.
Die Regierungsentscheidung gilt auch als Konsequenz ihres neuen Slogans, „mit Covid leben zu lernen“. Regierungsvertreter, die an der Entscheidung beteiligt waren, wurden am Montag mit den Worten zitiert, „dass Omikron die Lage verändert hat“. Auch wenn die Variante leichter übertragbar sei, hätte „alle Studien gezeigt“, dass sie mit leichteren Krankheitsverläufen einhergehe. „Das hat die Diskussion darüber verändert, ob eine Impfpflicht noch verhältnismäßig ist.“ Seit Mitte Januar ist die Zahl der täglichen Krankenhauseinweisungen wieder unter 2000 gesunken; Tendenz weiter fallend. Die Zahl der täglichen Corona-Toten lag im Schnitt der vergangenen sieben Tage bei 260.
Nach einem scharfen Anstieg im Dezember ist auch die Zahl der täglichen Infektionen seit 4. Januar gefallen und schwankte zuletzt um die 80.000. Für diese Woche wird allerdings laut Medienberichten ein signifikanter statistischer Sprung erwartet, wenn erstmals die Zahl der abermals Infizierten nachgetragen wird. Bisher waren nur Erstinfektionen in den offiziellen Statistiken aufgetaucht.
Studien haben nahegelegt, dass sich etwa Zweidrittel aller zur Zeit Infizierten zum zweiten Mal angesteckt haben. Während der Statistiknachtrag die tatsächliche Zahl der Infektionen erheblich nach oben korrigieren wird, dürfte er gleichzeitig zur weiteren Entspannung beitragen. Schließlich vergrößert er das Verhältnis von Corona-Fällen zu Toten abermals und unterstreicht so die relative Harmlosigkeit von Omikron.