"Mit sofortiger Wirkung"

Linken-Chefin Hennig-Wellsow tritt zurück

20.04.2022
Lesedauer: 4 Minuten
„Nach reiflicher Überlegung“ zurückgetreten: Susanne Hennig-Wellsow Bild: Reuters

Ihren Rücktritt von der Parteispitze begründet die Thüringer Politikerin Hennig-Wellsow auch mit dem Umgang mit sexuellen Übergriffen in der Linkspartei. Dieser habe „eklatante Defizite“ offengelegt.

Die Nachricht kam unerwartet. Am Mittwoch teilte Susanne Hennig-Wellsow, eine der beiden Bundesvorsitzenden der Linkspartei, mit, dass sie ihr Amt aufgebe. Nicht dass es keine Unruhe in der Partei gäbe. Nach dem miserablen Abschneiden bei der Bundestagswahl im vorigen September hatten nur Direktmandate der Linkspartei den Verbleib im Bundestag gesichert. Und bei der Landtagswahl im Saarland Ende März hatte die Partei Verluste von mehr als zehn Prozentpunkten hinzunehmen, wodurch sie weit unter der Fünfprozenthürde blieb. Für die größte Unruhe aber sorgt derzeit ein Streit über sexuelle Übergriffe im hessischen Landesverband. Aus dem kommt die andere Bundesvorsitzende, Janine Wissler. Vor allem an sie gibt es nun viele Fragen. Warum also tritt die Thüringerin Hennig-Wellsow zurück?

Hennig-Wellsow teilte in einer langen persönlichen Erklärung mit, warum sie nach nur gut einem Jahr an der Spitze der Partei Die Linke aufgibt. Was das Persönliche angeht, schrieb sie, ihr achtjähriger Sohn brauche sie und habe „ein Recht auf mehr Zeit mit mir“. Politisch argumentiert sie, ihre Partei habe zu wenig geliefert von dem, was sie versprochen habe. Gebraucht werde ein „starke Partei“ links von SPD und Grünen, die die „sozialen, ökologischen und friedenspolitischen Leerstellen der Ampel-Regierung“ sichtbar mache und „progressive Konzepte“ in die Debatte einbringe, „die einem sozialistischen Kompass“ folgten. Für jemanden, der noch Ende März nach der Pleite im Saarland angekündigt hatte, die Linke „auf den Weg zu bringen“ und behauptet hatte, da sei man „jetzt mittendrin“, klingt das als Rücktrittsgrund nicht wirklich überzeugend.

Erst am Ende der Erklärung nennt Hennig-Wellsow die Debatte über sexuelles Fehlverhalten: „Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offengelegt.“ Auffallend an der Formulierung ist, dass es nicht um den Sexismus als solchen geht, sondern um den Umgang damit. Hennig-Wellsow schreibt weiter: „Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der Linken eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat.“

Die Zahl der Betroffenen steigt

In der vorigen Woche hatte der „Spiegel“ Vorwürfe mehrerer früherer Mitglieder des hessischen Landesverbands öffentlich gemacht, denen zufolge es zu sexueller Gewalt gekommen sein soll. Die Beschuldigten widersprachen den Vorwürfen. Seit dem Erscheinen des Berichts aber steigt die Zahl der mutmaßlich Betroffenen von sexuellen Übergriffen innerhalb der „Linken“ täglich.

Am Mittwoch bezifferte sie Jan Schiffer mit rund 60 Personen; er ist einer der Bundesvorsitzenden von „Solid“, der Jugendorganisation der Partei. Die Vorwürfe reichten von sexistischen Sprüchen bis hin zu Vergewaltigungen und beträfen fast alle Landesverbände, so Schiffer. Die Beschuldigten seien Verantwortungsträger in der Partei, aber auch einfache Basismitglieder. Das Problem sei in der Partei „auf allen Ebenen im ganzen Land“ vorhanden.

Die Vorfälle in Wiesbaden sind der Partei seit mindestens November des vergangenen Jahres bekannt. Einer der Beschuldigten, der Referent der hessischen Landtagsfraktion für Innenpolitik Adrian G., wurde am Dienstag durch den Linken-Fraktionsvorstand vorübergehend von seinen Aufgaben entbunden. „Solid“ kritisierte, die Freistellung hätte schon vor Jahren, spätestens aber mit der Veröffentlichung der Vorwürfe geschehen müssen.

Der Bundesvorstand der Linken, die sich als „feministische Partei“ beschreibt, teilte nach Veröffentlichung des „Spiegel“-Artikels mit: „Wir nehmen die Anschuldigungen sehr ernst und arbeiten sie innerparteilich auf.“ Verwiesen wurde auf eine „Vertrauensgruppe“ innerhalb des Bundesvorstands, an die sich Betroffene wenden könnten. Doch gibt es von Seiten der Betroffenen gegenüber dem Gremium große Vorbehalte; in Teilen der Partei wird der Aufklärungswille der Bundesführung bezweifelt.

Es bleiben offene Fragen an Wissler

An diesem Donnerstag will der hessische Landesvorstand über weitere Schritte informieren. Umstritten ist vor allem die Rolle der Ko-Bundesvorsitzenden und früheren Fraktionsvorsitzenden der Linken im Hessischen Landtag, Janine Wissler, die mit dem Beschuldigten G. liiert war. Kürzlich gab Wissler an, sie habe vor November 2021 keine Kenntnis von den Vorwürfen der sexuellen Belästigung und des Machtmissbrauchs gehabt und habe nach Bekanntwerden der Vorwürfe sofort gehandelt. Allerdings will sich eine der Betroffenen schon im August 2018 hilfesuchend an Wissler gewandt haben.

Fragen an Wissler bleiben also. Und es gibt Fragen zum Verhalten mehrerer etablierter Parteimitglieder, denen vorgeworfen wird, seit Jahren übergriffig gegenüber jungen Frauen zu sein. Die Linksjugend dankte am Mittwoch Hennig-Wellsow für ihre Arbeit, ihre „aufrichtigen Worte“ und ihre Entschuldigung an die Betroffenen. Sarah Dubiel, eine der Vorsitzenden von „Solid“, teilte mit, es sage viel aus, dass ausgerechnet Hennig-Wellsow nun zurücktrete – während „diverse Täter und Täterschützer“ noch in ihren Ämtern seien.

Quelle: F.A.Z.

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