Seit Wochen mobilisieren Gegner der Corona-Politik in Sachsen. Nun stellt der Landtag die epidemische Lage fest. Gibt es einen neuen Höhepunkt des Protests?
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat am Montag im Dresdner Landtag den Fackelaufmarsch vor dem Privathaus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) scharf verurteilt. Das sei eindeutig eine Grenzüberschreitung und ein Versuch der Einschüchterung, sagte er. Auch der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die scheidende Bundesregierung verurteilten die Bedrohung der Ministerin.
„Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, und das lassen wir uns nicht gefallen“, sagte Kretschmer. Er sicherte Köpping „einhundertprozentige Solidarität“ zu und kündigte ein hartes Vorgehen gegen verbotene Demonstrationen an.
Für Montagabend wurden in mehreren sächsischen Kommunen weitere Corona-Proteste erwartet, darunter in Bautzen und im Landkreis Görlitz. Vor dem Parlamentsgebäude in Dresden trafen sich am Mittag laut Polizei etwa 50 Menschen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die verbotene Versammlung wurde von den Beamten aufgelöst.
Der Grund für die Aufmärsche: Sachsens Landtag hat die epidemische Lage im Freistaat festgestellt und so die rechtliche Grundlage für eigene Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie geschaffen.
Zwar räumte Ministerpräsident Kretschmer ein, dass man erst noch die neue Gesetzeslage auf Bundesebene abwarten müsse. Allerdings, so Kretschmer, arbeite die neue Koalition in Berlin mit Hochdruck daran. Er habe in dieser Frage ein großes Zutrauen zum neuen Bundeskanzler Scholz.
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Insbesondere in sozialen Netzwerken wurde zum Protest aufgerufen, hatte die Polizei am Freitag mitgeteilt. Auch Extremisten mobilisierten für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag. „Unsere Gefahrenprognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangenen Montagen“, sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa.
Die Polizei in dem Bundesland schritt am Sonntagabend in mehreren Städten erneut gegen nicht genehmigte Kundgebungen mit Hunderten Gegnern der Corona-Politik ein. Bereits am Wochenende hatte es an verschiedenen Orten Demonstrationen gegeben, obwohl die Corona-Notfallverordnung nur stationäre Versammlungen mit bis zu zehn Teilnehmern erlaubt.

FOTO: DPA/SEBASTIAN WILLNOW
Aufsehen erregte insbesondere der Protest vor dem Haus von Ministerin Köpping. Die Polizei erstattete Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüft Verstöße gegen die Corona-Verordnung.
Merkel und Scholz verurteilen Fackelaufmarsch
Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Vorfall am Montag in Berlin als einen „Angriff auf die Demokratie“ verurteilt. Was vor dem Haus Köppings geschehen sei, „zutiefst empörend“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es sei dabei um Einschüchterung gegangen. „Die Demonstranten wollen nichts anderes als Angst machen“, sagte Seibert. „Und dafür kann es in der demokratischen Auseinandersetzung über den richtigen Weg in dieser Pandemie keinen Platz geben.“
Scholz sagte, „das dürfen wir uns als Land nicht gefallen lassen“. „Das ist als Bedrohung gemeint. Und wir sollten nicht so tun, als ob es nicht auch genau das gewesen ist: eine Bedrohung einer demokratischen, fleißigen und ganz tollen Politikerin in Sachsen.“ Alle Demokraten müssten das zurückweisen.
Sachsens Innenminister sieht „Angriff auf die Demokratie“
Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) fordert ein schärferes Vorgehen gegen Querdenker. „Ich fordere Schnellprozesse, um Verstöße gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sofort und rigoros zu ahnden“, sowas dürfe nicht erst Wochen später passieren, sagte Wöller der „Bild“. Der Aufmarsch vor dem Haus sei „ein Angriff auf die Demokratie“ gewesen und erfordere ein klares Signal des Rechtsstaats.
Wöller forderte zudem eine Änderung der Bundesgesetze, um gegen Hass-Posts auf Plattformen wie „Telegram“ vorgehen zu können. Diese seien längst keine harmlosen Messenger-Dienste mehr, sondern Plattformen für Hass und Hetze.
„Wer Mordaufrufen eine Bühne bietet, muss dafür in Haftung genommen werden können“, sagte Wöller. „Die Polizei muss die Möglichkeit haben, die anonyme Hetze ahnden zu können, an die Klarnamen der Menschen zu kommen, die sich dort hinter irgendwelchen Fantasienamen verstecken.“
Verfassungsschutzchef warnt: Proteste werden immer aggressiver
Sachsens Verfassungsschutzchef Dirk-Martin Christian warnte laut „Bild“ vor einer wachsenden Radikalisierung der Demonstranten. „Die Idee eines gewaltsamen Widerstands gegen demokratische Regeln gehört inzwischen zu den typischen Standardforderungen der Bewegung der Corona-Leugner“, sagte Christian.
Unter dem Einfluss von Rechtsextremisten, „Reichsbürgern“ und Antisemiten seien die Proteste „immer aggressiver“ geworden. „Spätestens mit den gewaltsamen Attacken auf Polizeibeamte und Journalisten und den strafbewehrten Verbalattacken gegen den sächsischen Ministerpräsidenten sind eindeutig ‚rote Linien‘ überschritten“
Wie Christian weiter sagte, sei bemerkenswert, „dass die Teilnehmer aus dem sogenannten bürgerlichen Spektrum keinerlei Tendenzen erkennen lassen, sich von Extremisten und deren verfassungsfeindlicher Agenda klar zu distanzieren“. Mit zunehmenden Infektionszahlen und Corona-Maßnahmen wachse die Gefahr, „dass die Schar der Unzufriedenen, die meint, in Verschwörungstheorien und Umsturzfantasien eine Lösung für ihre Probleme zu finden, immer größer wird“, sagte der sächsische Verfassungsschutzchef.

FOTO: DPA/MATTHIAS RIETSCHEL
Thüringens Innenminister droht Teilnehmern Geldbußen an
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) nannte die Entwicklung „grundsätzlich besorgniserregend“. Die Proteste würden „teilweise von Rechtsextremisten organisiert“, die zuweilen regelrecht „euphorisch“ seien, sagte Maier dem RND.
Dabei sei es „nicht völlig unerklärlich“, dass wegen der neuen 2G- und 3G-Regeln wohl vor allem Ungeimpfte an den Märschen teilnähmen. „Sie werden jetzt merken, dass das Leben erhebliche Erschwernisse mit sich bringt.“
Man könne Proteste, bei denen keine Masken getragen und Mindestabstände nicht eingehalten würden, nicht einfach nur begleiten. „Das ist mir zu defensiv.“ Man müsse aber auch aufpassen, dass es nicht zu einer Eskalation der Gewalt komme. Auf jeden Fall müssten Teilnehmer mit finanziellen Konsequenzen rechnen.
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte „Welt“, die Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsrecht sei ein Anfang. Immerhin sei ein Großteil der Personalien der rechtsextremen Teilnehmer aufgenommen worden. „In Kanada wird gegen solche Proteste übrigens strafschärfend vorgegangen. Bei weiteren Vorfällen dieser Art muss man möglicherweise auch bei uns den Strafrahmen nach oben anpassen.“
Sachsen rechnet mit einer Corona-Inzidenz von 2800 Ende Dezember
Sachsens Landesregierung versucht seit Wochen, die explodierenden Fallzahlen im Freistaat mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens in den Griff zu bekommen. Sachsen hat mit Abstand die höchste Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland, zuletzt pendelte sich die Inzidenz bei Werten um die 1200 ein.

Die Zahlen könnten sich sogar verdoppeln und bis auf Werte von 2800 steigen, befürchtet die Landesregierung. „Bei sich fortsetzender Dynamik kann angenommen werden, dass die Inzidenz bis Ende Dezember bis circa 2800 ansteigen wird, bis sie dann bis Ende Januar auf das jetzige Niveau wieder abfallen wird“, hieß es im Antrag der Regierung für die Sondersitzung des Landtages am Montag.
Durch die erneut festgestellte epidemischen Lage im Freistaat soll Rechtssicherheit für eine Fortsetzung bestehender Schutzmaßnahmen und ihre mögliche Erweiterung erlangt werden.
Die aktuelle Notfallverordnung gilt bis 12. Dezember. Sie schreibt bereits stärkere Einschränkungen als in vielen anderen Bundesländern vor. Die sächsische Regierung schloss eine nochmalige Verschärfung nicht aus. Zunächst will sie aber die Wirkung der bisher verhängten Kontaktreduzierungen und die Vorgaben des neuen Infektionsschutzgesetzes abwarten.
(dpa/AFP/Reuters)