Kamala Harris ist die erste Vizepräsidentin der USA. Nach wenigen Monaten im Amt, etlichen Abgängen aus ihrem Team und vielen negativen Schlagzeilen scheint indes klar: Sie wird wohl kaum als erste schwarze Frau zur Präsidentin gewählt.
Die Umfragewerte des amerikanischen Präsidenten Joe Biden befinden sich derzeit auf einem Tiefststand. Weniger als die Hälfte der Amerikaner – rund 43 Prozent – sind zufrieden mit seiner Arbeit. Noch weniger halten sie indes von seiner Vizepräsidentin Kamala Harris. Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage liegen ihre Zustimmungswerte derzeit bei knapp unter 30 Prozent.
Doch während sich schlechte Umfragewerte auch leicht wieder ändern können, hat Harris vermutlich ein viel tiefgründigeres und persönliches Problem. Bereits seit dem Sommer sickern immer wieder Berichte über «ein toxisches Arbeitsklima» im Büro der Vizepräsidentin zur Presse durch. Im November schliesslich publizierte CNN eine ausführliche Recherche über die «Frustration und Verzweiflung» ihrer Mitarbeiter, aber auch über einen Konflikt mit Biden und Teilen seiner Entourage. Weil sie oft schlecht vorbereitet und positioniert sei, werde Harris ins Abseits gedrängt und von ihren Untergebenen hängengelassen, berichtete der Nachrichtensender. Aber auch der Präsident trete immer seltener an ihrer Seite in der Öffentlichkeit auf.
Im Schatten eines Shootingstars
Allerdings sollen nicht nur ihre Mitarbeiter, sondern auch Harris selbst schlecht gelaunt sein. Ein wichtiger Grund dafür sind offenbar die wenig attraktiven Dossiers, die Biden seiner Vizepräsidentin überlassen hat. Einerseits beauftragte sie der Präsident damit, den anhaltenden Zustrom von Migranten an der Südgrenze der USA in den Griff zu bekommen. Andrerseits soll Harris eine Reform des Wahlrechts vorantreiben – eine Aufgabe, um die sie sich selbst bemüht hatte. Für beide Probleme sind keine schnellen Lösungen in Sicht, und sie bieten kaum eine Bühne für glanzvolle Auftritte. Eleni Kounalakis, die kalifornische Vizegouverneurin und eine langjährige Freundin, meinte über Harris’ derzeitige Situation: «Wer sie kennt, weiss, dass sie viel mehr helfen kann, als das, worum sie derzeit gebeten wird. Daher kommt die Frustration.»
Gleichzeitig muss die ambitionierte Vizepräsidentin wohl nicht ganz neidlos mit anschauen, wie andere mögliche Kandidaten, die den bereits 79-jährigen Joe Biden im Weissen Haus beerben könnten, sich wesentlich besser in Position bringen. Als einer der Favoriten wird derzeit der erst 39-jährige Transportminister Pete Buttigieg gehandelt. Der einst jüngste Bürgermeister einer amerikanischen Kleinstadt und Shootingstar der demokratischen Vorwahlen 2020 verantwortet in Washington zu beträchtlichen Teilen die Umsetzung von Bidens Investitionspaket für Infrastruktur. Insgesamt 110 Milliarden Dollar sind für den Bau oder die Erneuerung von Brücken, Strassen und anderen Objekten vorgesehen. Das ist eine optimale Voraussetzung für Buttigieg, sich als Macher zu präsentieren.

Auch die Umfragewerte sprechen derzeit für Buttigieg. Laut einer kürzlich durchgeführten Erhebung ist der Politiker, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt, der beliebteste und bekannteste Minister in Bidens Kabinett – und auch populärer als der Präsident und seine Vizepräsidentin.
Fraglos lasten auf Harris als erster schwarzer Frau an der Seite eines amerikanischen Präsidenten hohe Erwartungen, die nicht einfach zu erfüllen sind. Die Rolle der Nummer zwei fällt kaum einem Politiker leicht. Doch Harris befindet sich in einer besonderen Position. Nicht selten entschieden sich amerikanische Präsidentschaftskandidaten in der Vergangenheit für ältere und erfahrenere Stellvertreter, die ihre Hörner in Washington bereits abgestossen haben. Harris hingegen ist erst 57 Jahre alt und hat nur eine Amtszeit als Senatorin hinter sich. Gleichzeitig glaubt kaum jemand daran, dass Biden 2024 mit 82 Jahren nochmals kandidieren wird. Dies befeuert in Washington bereits jetzt die Nachfolgediskussion und gibt Harris kaum Zeit, in Ruhe ihr Profil zu schärfen.
Gleichzeitig muss die Tochter einer indischen Brustkrebsforscherin und eines jamaicanischen Ökonomen auch gegen unterschwellige Widerstände ankämpfen. Bereits im Wahlkampf vor einem Jahr wurde sie vor allem im Internet zur Zielscheibe von rassistischen und sexistischen Attacken.
Eine Chefin mit Führungsproblemen
Dies allein erklärt allerdings noch nicht, warum ihr Stern in Washington am Sinken ist. Ein Aderlass in ihrem Kommunikationsteam in den vergangenen Wochen hinterlässt den Eindruck, dass Harris ein Führungsproblem hat. Mitte November kündigte die Kommunikationschefin Ashley Etienne ihren Abgang an, und vorige Woche tat dies auch ihre leitende Sprecherin Symone Sanders. Laut Medienberichten sollen zwei weitere Mitarbeiter das Team der Vizepräsidentin verlassen.
Dass Harris eine schwierige Chefin ist, deren wütende Kritik an Mitarbeitern erniedrigend sein kann, scheint hingegen nicht neu zu sein. Gil Duran, der bereits 2013 für Harris arbeitete und nach fünf Monaten kündigte, schrieb nun in einem Artikel: «Es ist traurig, zu sehen, wie sie die gleichen alten destruktiven Muster wiederholt.» Er erinnerte zudem daran, wie sich Harris’ Präsidentschaftskampagne 2020 frühzeitig «in einem hässlichen Krieg zwischen rivalisierenden Mitarbeitern auflöste». Man könne das Land nicht führen, wenn man die eigene Wahlkampagne nicht führen könne, meinte Duran.
Angesichts der negativen Schlagzeilen über interne Streitigkeiten und Rivalitäten bemüht sich das Weisse Haus derzeit um Schadensbegrenzung. Harris und Buttigieg besuchten im Gliedstaat New York am vergangenen Donnerstag gemeinsam öffentliche Verkehrsbetriebe, um Bidens Infrastrukturplan zu promoten. Man darf gespannt sein, wie lange der Burgfrieden hält. Unabhängig davon dürfte es für Harris aber schwierig werden, ein weiteres Erfolgskapitel in der amerikanischen Geschichte schreiben zu können.