Lockdown lastet auf Metropole

In der „Geisterstadt“ Shanghai wächst der Unmut

08.04.2022
Lesedauer: 5 Minuten
Arbeiter laden Lebensmittel von einem Lastwagen in Shanghai, bevor sie die Produkte an Anwohner verteilen. (Foto: AP)

Über zwei Jahre scheint China die Pandemie mit seiner Null-Covid-Strategie im Griff zu haben. Doch in der Millionen-Metropole Shanghai stößt die strikte Corona-Politik der Regierung nun an ihre Grenzen. Selbst ein wochenlanger Lockdown kann die Omikron-Variante nicht eindämmen.

Xi Jingping scheint sich dieser Tage genötigt zu fühlen, die Corona-Politik seines Landes ganz grundsätzlich zu verteidigen. Bei einer Ehrung von Teilnehmern der Olympischen Winterspiele in Peking sagte der chinesische Staatschef, bei dem Sportereignis habe die Null-Covid-Strategie „einmal mehr den Test bestanden“. Er ergänzte das Eigenlob dem Anlass entsprechend und anekdotisch: „Ausländische Sportler haben uns gesagt, wenn es eine Goldmedaille für Epidemie-Bekämpfung gäbe, würde China sie bekommen.“

Es verwundert nicht, dass die staatliche „Volkszeitung“ es ähnlich sieht wie Xi. Sie schrieb, die Null-Covid-Strategie sei weiterhin „die beste Wahl“ für China. Das Land solle „niemals abgestumpft, niemals müde im Kampf“ gegen die Pandemie werden.

Lobeshymnen wie diese können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Realität eine andere ist, als Xi und die Staatsmedien es nach außen verkaufen wollen. China erlebt gerade die schlimmste Corona-Welle seit Ausbruch der Pandemie – und die Verärgerung in der Bevölkerung wächst. In den vergangenen Wochen wurden in der Volksrepublik täglich Tausende Corona-Neuinfektionen nachgewiesen.

Am stärksten betroffen: Die Wirtschaftsmetropole Shanghai, die heute mehr als 21.000 Neuinfektionen meldete. Damit wurden seit Ausbruch der neuen Corona-Welle, die von der hochansteckenden Omikron-Variante getragen wird, schon mehr als 130.000 Neuinfektionen registriert. Das ist weit mehr als bei der ersten Welle bei Ausbruch der Pandemie. Die Hafenstadt ist der Hotspot des Landes, das laut Gesundheitskommission zuletzt binnen eines Tages 24.000 Ansteckungen registrierte, von denen die meisten asymptomatisch sind.

Empörung über Kinder-Isolation

In Shanghai gilt bereits seit Ende März ein strenger Lockdown, er wurde kürzlich noch einmal auf unbestimmte Zeit verlängert. Die Stadtverwaltung teilte nun mit, dass in Übergangsunterkünften wie Messehallen 130.000 Betten für Corona-Infizierte zur Verfügung stünden oder noch bereitgestellt würden. In China wird jeder, der positiv getestet wird, in eine zentrale Quarantäneeinrichtung gebracht. Aus dem ganzen Land wurden 38.000 medizinische Fachkräfte sowie 2000 Soldaten in die Hafenstadt entsandt.

Shanghai war im Kampf gegen die Corona-Ausbreitung schrittweise abgeriegelt worden. Dies führte in der 26-Millionen-Metropole zu Panikkäufen. In der Bevölkerung wächst seither der Unmut über die Corona-Restriktionen, was sich vor allem in Äußerungen in Online-Netzwerken zeigt.

Große Empörung löste zuletzt die Praxis aus, dass kleine Kinder von ihren Eltern getrennt werden, was in China lebende ausländische Familien ebenfalls beunruhigt. Nach den Protesten kündigte die Stadtregierung von Shanghai am Mittwoch an, dass dort nicht infizierte Eltern beantragen könnten, Kinder, die besondere Unterstützung bräuchten, in die Isolation begleiten zu dürfen. Unklar blieb aber, ob sich die Regelung nur auf Kinder beschränkt, die spezielle Betreuung brauchen.

„Shanghai ist in einer Art Ausnahmezustand“

„Es gibt hier sehr viel Unsicherheit“, sagte jüngst die Vorsitzende des örtlichen Verbandes der EU-Handelskammer in China, Bettina Schön-Behanzin. „Wir fordern ganz klar, dass Minderjährige mit ihren Eltern zu Hause in Selbstquarantäne gehen können, um ihr körperliches und geistiges Wohlergehen zu garantieren.“ Schon bei der Einreise hatte es in den vergangenen Monaten wiederholt Fälle von positiv getesteten ausländischen Kindern gegeben, die ins Krankenhaus kamen, ohne ihre Eltern dabei haben zu können oder die Sprache zu sprechen. Es wurde von „traumatischen Erfahrungen“ berichtet.

„Shanghai ist in einer Art Ausnahmezustand“, sagte Schön-Behanzin. Die Metropole habe sich in eine „Geisterstadt“ verwandelt: „Es gibt in der Stadt ein starkes Gefühl der Ungewissheit. Es wird angefacht durch einen Mangel an Versorgung, endlose Lockdowns und eine wirklich große Gefahr, in eines der zentralen Quarantäne-Lager geschickt zu werden.“

Gefahr für globale Lieferketten?

All das hat auch wirtschaftliche Folgen: Sollte der Lockdown in der bevölkerungsreichsten Stadt des Landes den ganzen April über andauern, dürfte das deren Wirtschaftsleistung im sechs Prozent drücken, sagte die ING-Chefvolkswirtin für den Großraum China, Iris Pang. Das wiederum dürfte das Bruttoinlandsprodukt der nach den USA zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt um zwei Prozent schmälern.

Auch europäische Unternehmen äußern sich besorgt über die Einschränkungen durch Ausgangssperren und andere strikte Maßnahmen. Vor dem Hintergrund der Lockdowns in Shanghai und im Nordosten in der Provinz Jilin sowie der Stadt Shenyang klagten Vertreter der EU-Handelskammer über Unberechenbarkeiten, unterbrochene Lieferketten, Transportprobleme, hohe Frachtkosten, Reisebeschränkungen und den Mangel an ausländischen Fachkräften.

EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke warnte vor den Auswirkungen auf globale Lieferketten, die Weltwirtschaft und die bereits hohe Inflation. „Je weniger China produziert, umso weniger Auswahl gibt es und umso mehr gehen die Preise hoch“, so Wuttke. „In einem Umfeld, das in einigen Teilen bereits inflationär ist, muss das ein Problem werden.“ Er verwies auf die Frachtprobleme und Einschränkungen in Häfen, die ein „Flaschenhals“ seien.

In Shanghai und Changchun in Nordostchina, wo es schon seit vier Wochen einen Lockdown gibt, steht die Produktion in den Werken des Volkswagen-Konzerns derweil weiter still. Auch im BMW-Werk im nordostchinesischen Shenyang, wo seit zwei Wochen ähnliche Beschränkungen gelten, wird nicht produziert, wie die EU-Handelskammer berichtete.

Zwar sind Chinas Infektionszahlen im internationalen Vergleich noch niedrig. Die Null-Covid-Strategie des Landes wird mit Omikron jedoch auf eine harte Probe gestellt. Zuvor hatten die Behörden kleinere Ausbrüche erfolgreich mit Ausgangssperren, Massentests und Quarantäne bekämpft, so dass das Leben in der Volksrepublik seit fast zwei Jahren weitgehend normal gelaufen war. In Shanghai scheint dieses System nun aber an seine Grenzen zu stoßen.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP/rts

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