Im deutschen Innenministerium wurde trotz Neutralitätspflicht vorgeschlagen, die AfD zu bekämpfen

20.02.2024
Lesedauer: 4 Minuten
Am 13. Februar stellte Nancy Faeser ihren neuen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor. Fotoquelle: Clemens Bilan / EPA

Bei einem Treffen auf Leitungsebene warb ein hochrangiger Mitarbeiter für eine gezielte Anti-AfD-Strategie. Nancy Faeser distanziert sich. Der Vorgang bleibt aber heikel für die Ministerin.

Das Bundesinnenministerium ist ein Haus mit vielen Häusern und einer Herrin, der Sozialdemokratin Nancy Faeser. Es nennt dreizehn Abteilungen und einen Stab sein eigen. Die Abteilungen widmen sich unter anderem der öffentlichen Sicherheit, dem Staats- und Verfassungsrecht oder «Heimat, Zusammenhalt und Demokratie».

Am 23. Januar kamen zu einer Leitungsklausur Abteilungsleiter und die Ministerin zusammen. Gefragt nach den Zielen des Hauses für 2024, notierte einer der leitenden Mitarbeiter: Er wünsche sich, dass eine «konkrete Strategie zur Bekämpfung der AfD» entwickelt werde. So steht es, handschriftlich notiert und aufgeklebt, auf einer Schautafel mit der Aufschrift «Der BMI-Wunschbaum». Das entsprechende Foto liegt der NZZ vor. Die dort formulierten Ideen wurden im offenen Dialog an die Ministerin herangetragen.

Die leitenden Mitarbeiter wünschten sich vieles, was man sich gemeinhin in Instituten und Unternehmen beim Treffen mit Vorgesetzten wünscht, strategisches Handeln etwa, eine positive Wahrnehmung, verbesserte Prozesse, echte Aufgabenkritik und «mehr Mut zu Veränderungen». Unterhalb der Losungen «ganz vorn sein!» und «keine Panik» aber prangt jener Wunsch, der Nancy Faeser in Erklärungsnöte stürzt: «konkrete Strategie zur Bekämpfung der AfD entwickeln».

Der Wunschbaum aus dem Innenministerium.; PD

Auf Nachfrage dieser Zeitung bestätigt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums zunächst: Am 23. Januar 2024 habe die Ministerin eine ganztägige Leitungsklausur des BMI in Berlin geleitet. Die Frage nach den dort behandelten Themen wird mit der Auskunft beantwortet, man äussere sich nicht zu internen Gesprächen.

Die sich anschliessende Frage, ob es einen Wunschbaum gegeben habe, wird mit der identischen Formulierung beschieden. Erst als das Ministerium das konkrete Zitat vom Wunschbaum erfährt, erklärt die Sprecherin: «Diese Einzelmeinung einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters bei einem offenen Meinungsaustausch im Rahmen der Klausurtagung ist weder die Auffassung des Ministeriums noch der Ministerin.»

Nancy Faeser und die unscharfen Grenzen

Damit ist klar: Der Wunsch nach einer «konkreten Strategie zur Bekämpfung der AfD» wurde auf höchster ministerieller Ebene im Beisein der Ministerin geäussert. Nancy Faeser spricht von einer «Einzelmeinung», der sie sich nicht angeschlossen habe. Doch die Vermutung liegt nahe, dass der fragliche leitende Mitarbeiter zumindest damit rechnen konnte, sich mit seinem Wunsch nach einer Anti-AfD-Strategie bei der Ministerin nicht zu blamieren. Wer riskiert gerne sehenden Auges vor der versammelten Kollegenschar einen Rüffel durch die Chefin?

Nancy Faeser liess in der Vergangenheit keine Gelegenheit verstreichen, vor Rechtsextremismus zu warnen, ohne die Grenzen zur im politischen Wettbewerb erlaubten rechten Positionierung immer trennscharf zu ziehen. Als sie jüngst ihren Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorstellte, kündigte sie an, wer den Staat verhöhne, bekomme es «mit einem starken Staat zu tun». Neben der Polizei nahm sie «die Gaststätten- oder Gewerbeaufsicht» in die Pflicht. Sie lobte die faktisch auch gegen die AfD gerichteten Demonstrationen. Es sei wichtig, «Gesicht zu zeigen gegen den Hass und für die Demokratie».

Dennoch darf ein Ministerium, zumal jenes, das sich als «Hüter der Verfassung und Förderer des gesellschaftlichen Zusammenhalts» begreift, nicht in den politischen Meinungskampf eingreifen. Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sagte der NZZ: Er könne solche Überlegungen im Bundesinnenministerium weder direkt noch indirekt bestätigen.

Die AfD ist empört

Generell jedoch müssten laut Papier Amtsträger die «Chancengleichheit der politischen Parteien im Hinblick auf die Mitwirkung an der politischen Willensbildung» achten. Deshalb obliege ihnen «eine Neutralitätspflicht, die eine regierungsamtliche Strategie zur Bekämpfung einer – nicht verbotenen – Partei zweifellos ausschliessen würde».

Deutlich wird der erste parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. Er teilt der NZZ mit, hier würden «auf Führungsebene des Ministeriums – gemeinsam mit der SPD-Ministerin Faeser – Ziele und Aufgaben besprochen, die laut Verfassung niemals Ziele und Aufgaben des Innenministeriums sein dürfen», nämlich «die Bekämpfung des parteipolitischen Gegners, die Bekämpfung der AfD».

Dass die Ministerin sich jetzt, da laut Baumann «alles aufgeflogen» sei, offiziell distanziere, dürften ihr allein schon ihre Hausjuristen geraten haben.

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