In einem Memorandum fordern Grüne Realos eine andere Migrationspolitik – darunter Aufnahmezentren an der EU-Außengrenze. Das Papier bietet reichlich Stoff für Zoff bei den Grünen. Doch Parteichef Nouripour will der Gruppe um Boris Palmer keine Aufmerksamkeit schenken.
Das in einem Memorandum von Politikerinnen und Politikern der Grünen geforderte radikale Umdenken in der Migrationspolitik sorgt weiter für Kritik in der Partei. „Es herrscht eine toxische Grundhaltung in der Migrationsdebatte“, sagte der Hannoveraner Oberbürgermeister Belit Onay den Funke-Zeitungen. „Das Papier beschäftigt sich mit Phantomdebatten.“ Als Beispiel nannte Onay Auffangzentren an den EU-Außengrenzen. Diese seien „rechtlich nicht umsetzbar, zudem ziehen die betroffenen Staaten nicht mit“.
Auch Mitnahmeeffekte bei Sozialleistungen erlebe er nicht, sagte Onay. Die Aussagen des Grünen-Papiers träfen seiner Einschätzung nach nicht auf breite Unterstützung in der Partei. Anders als die Autoren des Memorandums sieht er auch die Willkommenskultur in Deutschland noch nicht als erschöpft an. Es brauche aber bundesweit mehr Anstrengung und mehr Unterstützung für die kommunale Ebene, sagte der Oberbürgermeister.
Grünen-Parteichef Omid Nouripour wollte das Memorandum am Montag nicht inhaltlich bewerten. Er verwies mehrfach auf die „sehr klare Position“ der Grünen, wonach die Migrations- und Flüchtlingspolitik „mit Humanität und Ordnung geführt werden muss“. Es sei nicht neu, dass es dazu Debattenbeiträge gebe. Diese Beiträge würden nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch bearbeitet.
Nouripour verwies auf die angespannte Situation in vielen Kommunen. Es sei „das Gebot der Stunde“ zu schauen, dass sie zurande kommen. Diese Debatte müsse jetzt in den Mittelpunkt gestellt werden, betonte der Grünen-Vorsitzende.
„Kein klares Integrationskonzept“
Die Verfasser des auf den 11. Februar datierten Memorandums um Mitzeichner Boris Palmer kritisieren die deutsche Migrationspolitik als verfehlt. Viele Kommunen könnten „dem hohen Aufkommen an Migranten nicht standhalten“, auch gebe es „kein klares Integrationskonzept“, heißt es in dem Papier mit dem Titel „Memorandum für eine andere Migrationspolitik in Deutschland“ weiter. Die Verfasser zählen sich zum realpolitischen Flügel der Grünen und sehen sich als Vertreter der „bürgerlichen grünen Mitte“.
Die Autoren bemängeln zudem, dass „kaum zwischen Kriegs-, Asyl- und Wirtschaftsmigranten unterschieden“ werde und fordern, dies künftig zu tun. In dem Papier werden außerdem sogenannte Aufenthaltszonen an den Außengrenzen der Europäischen Union (EU) sowie zügigere Abschiebungen vorgeschlagen, wenn Asylbewerber nicht am Aufnahmeverfahren mitwirken. Menschen ohne Papiere müssten „zurückgewiesen werden, oder in einer staatlichen Aufnahmeeinrichtung verbleiben, bis ihre Identität geklärt ist“, heißt es weiter.
Zuwanderung müsse „gesteuert werden“
Der frühere Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Rezzo Schlauch, sagte der „Stuttgarter Zeitung“, die Zuwanderung müsse „so weit wie möglich gesteuert werden“. Die Grünen gingen „nicht ausreichend auf die dramatische Situation in den Kommunen ein“, sagte Schlauch, der zu den Erstunterzeichnern des Memorandums zählt. Mit dem Vorstoß wollten er und seine Mitstreiter „der Gefahr vorbeugen, dass die Partei sich nur noch mit Regieren und Krisenmanagement beschäftigt“.
Scharfe Kritik an dem Papier kam von den Linken. Deren Parteichefin Janine Wissler sagte dem „Mannheimer Morgen“ vom Montag: „Ich bin entsetzt.“ Von Geflüchteten zu fordern, alle Dokumente vorzuweisen, ehe ihnen Schutz gewährt werde, stelle für viele eine unüberwindbare Hürde dar.
Zu den mehr als 100 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Memorandums zählen der bayerische Landrat Jens Marco Scherf, die frühere Grünen-Fraktionsvorsitzende im EU-Parlament, Rebecca Harms, und die Afrika-Beauftragte damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, Uschi Eid.
Quelle: ntv.de, cls/AFP