Je enger Russland und China zusammenrücken, desto gefährlicher wird die Allianz dieser größten demokratiefreien Zone der Welt für den Westen. Dieses Reich sprengt unsere Vorstellungskraft in geographischer, demographischer, militärischer und ökonomischer Hinsicht. Ein Vergleich.
Wir sind teilnehmende Beobachter einer politischen Kontinentaldrift, wie sie die Welt in jedem Jahrhundert nur einmal erlebt. Die tektonischen Erdplatten der großen Mächte sind in Bewegung geraten.
Russland und China vereinen sich zu einem Imperium neuer Gestalt, das in keinem Geschichtsbuch und in keinem Zukunftsatlas vertreten ist. Dieses Reich – nennen wir es Russina – sprengt in seiner schieren demografischen, geografischen, ökonomischen und militärischen Dimension unsere bisherige Vorstellung von Macht.
Es handelt sich um die weltgrößte demokratiefreie Zone, in der zwei autokratische Systeme ihre politischen Ambitionen und ihre ökonomischen Machtgelüste synchronisieren. 43-mal haben sich Wladimir Putin und Xi Jinping nach Zählung der Financial Times bisher persönlich getroffen. Beide wissen, dass sie ihre machtpolitischen Ziele mit ihrer Durchschlagskraft alleine nicht erreichen können.
# Der weltgrößte Flächenstaat ensteht
Mit einer Einwohnerzahl von 1,55 Milliarden Menschen, verteilt auf eine Fläche von 26.697.000 Quadratkilometer, entsteht ein Gebilde, das geografisch doppelt so groß ist wie die USA und die EU zusammen. In Russina leben viermal mehr Menschen als in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Ein Imperium dieser Ausdehnung schlägt alles, was wir vom Britischen Empire und vom Imperium Romanum kennen. Russina bedeckt fast 18 Prozent der Landfläche der Erde und vereint eine Einwohnerzahl, die rund 20 Prozent der Weltbevölkerung entspricht.
# Militärmacht No.1
Fasst man die beiden Militärapparate zu einer Streitkraft zusammen, entsteht die mit 3.355.000 aktiven Soldaten größte Landstreitkraft der Welt, die über das größte Atomwaffenarsenal verfügt. Insgesamt besitzt Russina 6.299 nukleare Sprengköpfe und damit 540 mehr als die Nato.
# Wirtschaftsweltmacht im Werden
Seit 2014, als Russland die Krim annektierte, haben die russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen mächtig an Fahrt aufgenommen. Aber erst der Überfall auf die Ukraine brachte den Durchbruch bei der Bildung eines ökonomischen Blocks, der diese hohe Integrationstiefe aufweist.
China, das nach Angaben der Financial Times bereits für 120 Länder der wichtigste Handelspartner ist, wurde durch die Zentrifugalkraft der westlichen Sanktionen regelrecht an die Seite der Russen gedrückt. Und umgekehrt besaß Russland kaum eine Alternative, um den westlichen Ausfall zu kompensieren und die Kriegsmaschinerie in Gang zu halten.
Die Kontinentalplatten wurden – um im Bild der Kontinentaldrift zu bleiben – mit westlicher Schubkraft aneinander geschoben. Der bilaterale Handel belief sich im vergangenen Jahr auf 240 Milliarden Dollar, was nach Angaben des chinesischen Zolls einem Anstieg von 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. China verschifft Autos, Industriemaschinen, Smartphones und kauft russische Energieexporte in Milliardenhöhe.
# Rohstoffmacht Nr. 1
Seine Überlegenheit beweist das neue Imperium insbesondere bei der Lagerung und Exploration von Rohstoffen. Russland besitzt die weltgrößten Lagerstätten von Erdgas und gehört zu den Ländern mit den höchsten Reserven für Öl (Platz acht) und Kohle (Platz zwei). Kein Wunder: Russland hat im vergangenen Jahr Saudi-Arabien überholt und ist nun Chinas größter Öllieferant.
China braucht Rohstoffe aus Russland, um seine wachsende industrielle Maschinerie zu füttern. Einem im Mai veröffentlichten Papier des Center on Global Energy Policy der Columbia University zufolge, wird Chinas Bedarf an Gasimporten bis 2030 auf etwa 250 Milliarden Kubikmeter ansteigen, gegenüber weniger als 170 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2023. Das heißt: China braucht dringend einen Haus- und Hoflieferanten für seinen Energiehunger.
China selbst wiederum ist die Heimat der Seltenen Erden, die vor allem für Smartphones, LED-Leuchten und Elektromotoren gebraucht werden. Laut Analysen des US Geological Survey entfallen 68 Prozent der weltweiten Förderung dieser Metalle auf China. Die USA landen mit zwölf Prozent weit abgeschlagen.
# Technologieführerschaft im Visier
In der China-Strategie der Bundesregierung heißt es, Peking wolle weltweit „wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten schaffen, um diese zur Durchsetzung politischer Ziele und Interessen zu nutzen“.
Durch günstige Energieeinkäufe in Russland kann China die finanzielle Feuerkraft für die Weiterentwicklung seiner Hochtechnologie gewinnen. Derzeit wird um die „Power of Siberia 2“-Pipeline gerungen, bei der die chinesische Seite auf niedrige Energiepreise, vergleichbar den subventionierten Energiepreisen in Russland selbst, besteht. Die Pipeline würde Gasfelder in Russland mit China verbinden, die bislang Europa versorgt haben. Das Imperium würde sich unterirdisch vernetzen.
# Ein politisches Powerhouse entsteht
Russina ist zusammen politisch deutlich mächtiger als die beiden Nationalstaaten allein. „Imperien verstehen sich als Schöpfer und Garanten einer Ordnung, die letztlich von ihnen abhängt“, schreibt der Professor für Politikwissenschaft Herfried Münkler in seinem Buch „Imperien”.
Schon bei den Friedensgesprächen für die Ukraine, die in zwei Wochen in der Schweiz stattfinden sollen, zeigt sich, dass man künftig Russland und China zusammen denken muss, wenn man Erfolge erzielen will.
China lässt offen, ob es einen Vertreter schicken wird. Saudi-Arabien soll abgesagt haben – mit der Begründung, dass Russland nicht eingeladen worden sei. China arbeite mit Hochdruck daran, andere Länder von den Friedensgesprächen abzuhalten, lautet der Vorwurf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj . Die chinesische Regierung sei ein „Werkzeug in Putins Händen“.
Hinzu kommt: Das westliche Sanktionsregime ist weitgehend wirkungslos, wenn Russina nicht mitspielt. China ist in der Lage – das wird in Russland gerade vorexerziert –, westliche Sanktionen auch im Hochtechnologiebereich und beim Abstöpseln vom westlichen Zahlungssystem Swift zu kompensieren. Womöglich ist Russina erst der Beginn eines noch größeren Imperiums, das alle anti-westlichen Kräfte – Iran, Nordkorea und Co. – in einer militärischen und ökonomischen Kampfformation zusammenschweißt.
Fazit: Wir können Chinas ökonomischen Aufstieg, die Drohgebärden im Südchinesischen Meer und Putins Ukraine-Krieg weiter als getrennte Ereignisse betrachten. Klüger wäre es, sie als das zu sehen, was sie sind: die Geburt eines neuen Imperiums – und damit die Presswehen einer neuen Weltordnung. Wir erleben, wie Professor Herfried Münkler sich ausdrückt, „die überraschende Wiederkehr des Imperiums im post-imperialen Zeitalter.“