Erstarkte Le Pen gegen Macron

Frankreich steht auf der Kippe

11.04.2022
Lesedauer: 6 Minuten
Auf einem Großbildschirm ploppen am Sonntagabend die ersten Hochrechnungen auf. (Foto: picture alliance/dpa/AP)

Die neue Sanftheit der Marine Le Pen führt die Kandidatin in die zweite Runde – nur knapp fünf Prozentpunkte hinter Amtsinhaber Macron. Ein knappes Rennen wird das, kommentieren Beobachter. Nun muss der Präsident die zwei Wochen bis zur Entscheidung nutzen – und endlich anfangen, seine Wähler zu mobilisieren.

„Jetzt werden wir es dem Kleinen mal zeigen“, sagt der ältere Herr morgens in meinem Stammcafé im sehr konservativen 7. Pariser Arrondissement, während er sich an seinem Rotwein festhält. Es ist neun Uhr, gleich geht er mit seiner Frau ins Wahllokal. Der Kleine, kein Zweifel, wen er damit meint: Emmanuel Macron, der körperlich nicht mal so klein ist wie Sarkozy. Aber er ist jung, 44 gerade mal – und das fanden viele auf der Rechten schon 2017 zu jung.

Dass er sich zuletzt sehr viel Respekt erworben hat, weil er der Einzige in Europa war, der überhaupt noch mit Putin sprach – geschenkt. Dass die Zahlen, ob am Arbeitsmarkt oder beim Wachstum, sehr gut waren, bis Corona kam – ebenso geschenkt. Hier im Herzen der Stadt, den Eiffelturm fest im Blick, sind die Leute eh so wohlhabend, dass sie gestiegene Benzinpreise nicht schrecken. Nur wenn der Champagner teurer wird, das wäre ärgerlich.

Wer die Preise spürt, geht wählen

Doch es sind ohnehin andere Leute, die diese Wahl entscheiden könnten: Es sind die sogenannten kleinen Leute, die Marine Le Pen fest im Blick hatte. Die Pendler, die bis vor einer Woche deutlich über zwei Euro pro Liter zahlen – Macron hatte zuletzt 15 Cent Sofortrabatt an den Tankstellen durchgesetzt, der Staat zahlte dieses sehr happige Wahlgeschenk. Es sind die Arbeiter, die den Mindestlohn erhalten und davon nur schwerlich leben können. Es sind jene, die schon als Gelbwesten vor der Pandemie an den Kreisverkehren der Republik standen, weil es einfach eng war, das Leben, jeden Monat aufs Neue.

Es sind die Franzosen in der Peripherie, überall im Land. Sie haben auf diesen Moment scheinbar gewartet. Schaut man sich die Karte der Wahlbeteiligung an, dann scheint es, als ob die Pariser lieber die Sonne genossen haben im Jardin de Luxembourg oder in den anderen Parks – oder sogar schon in den Osterurlaub gefahren sind. In Marine Le Pens Hochburgen aber ging man wählen – die höchsten Beteiligungen wurden im Var in der Provence gemessen oder im armen Nordosten, Herzland des Rassemblement National und damit von Le Pen.

Die sanfte Le Pen zieht neue Wähler

Auch auffällig: Besonders viele junge Leute wählten eben nicht Macron. Sondern entweder Jean-Luc Mélenchon, den Bernie Sanders von Frankreich, der ihnen das Blaue vom Himmel und dann noch ein wenig Klassenkampf versprach – und damit 20 Prozent der Stimmen holte. Und sie wählten Marine Le Pen. Als wäre sie eine ganz normale Politikerin und nicht eine Rechtspopulistin – und das ist wirklich eine kleine Sensation, die sie ganz alleine verantwortet, denn dieser Imagewandel war ihr Plan.

Der Imagewandel zusammengefasst: Sie hat sich von ihrem Vater losgesagt, 2018 dann den Front National in Rassemblement National umfirmiert. Keine Front mehr, Zusammenschluss, das klingt doch gleich viel sanfter. EU-Austritt, Frexit, alles hat sie beerdigt. Bürgernah hat sie sich gegeben, keine scharfen Angriffe mehr, die hat sie Éric Zemmour machen lassen, ihren ultrarechten Konkurrenten, der damit die Angst auf seiner Seite hatte. Le Pen hat sich durchgekuschelt. Keine Debatten geführt, sondern mit Wählern gesprochen.

Und damit wurde sie wählbar, nicht nur für ihre Kernwählerschaft, die Ultrarechten sind zu Zemmour abgewandert – vielleicht ist das eine gute Nachricht, so viele sind das dann doch nicht: Zemmour erreichte nur knapp 7 Prozent. Aber Le Pen konnte die anderen einsammeln, die Verdrossenen, die Abgehängten, die Macron für abgehoben halten und jene, die glauben, in Frankreich müsse jetzt mal jemand anders ran, nachdem man Sarkozy, Hollande und Macron versucht habe.

Die meisten Unterlegenen für Macron

Noch bemerkenswert: Wie klar die Franzosen die alten Parteien auf die Plätze verwiesen haben. Valérie Pécresse, Kandidatin der Républicains, die mit Sarkozy und Chirac Jahrzehnte den Präsidenten stellte, landet unter fünf Prozent. Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris und Kandidatin der Sozialisten, altehrwürdige Mitterand-Partei, landet unter zwei Prozent.

Hidalgo, Pécresse, Yadot von den Grünen und sogar Mélenchon – sie alle rufen nun dazu auf, Macron zu wählen, „keine Stimme seiner Wähler dürfe Le Pen bekommen“, sagt etwa der Ultra-Linke Mélenchon. Nur Zemmour will seine Feindin Le Pen wählen, ein kurioser Schritt.

Macron muss sich nun eingestehen, dass seine Taktik nicht ganz aufgegangen ist: Er wollte alles aussitzen und sich den Wahlkampf sparen. Nur eine große Veranstaltung hat er gemacht, aber er hatte eben auch viel zu tun. Erst die letzten Entscheidungen zur Pandemie, dann die Ukraine – fast täglich telefonierte er mit Wladimir Putin.

Macron hat es in der Hand

Nun wird er mehr machen: Mehr Veranstaltungen, mehr Treffen mit Wählerinnen und Wählern, mehr Erklärungen seiner Politik. Auch im direkten Duell: Am Abend des 20. April wird es wohl die Fernsehdebatte geben, Macron gegen Le Pen. 2017 war die Kandidatin so schwach gewesen, dass es die Nation überrascht, ja, geschockt hatte. Macron war frisch, charismatisch und entschlossen gewesen, während Le Pen fahrig und bärbeißig gewirkt hatte. Dieser Fehler wird ihr wohl nicht noch einmal passieren, jetzt, wo sie sich so nah am Ziel wähnt. Und doch muss sie dort erstmals konkret sagen, was sie will – und wie sie alle Wohltaten bezahlen will.

Das wird dann doch noch einmal spannend: Denn so kritisch, wie die Franzosen sind, so informiert sind sie auch. Alle haben eine Meinung zur Politik, geschult am Tresen der örtlichen Bar oder beim Gespräch mit den Nachbarn, und so werden alle Vorschläge und Ideen von den Wählern geprüft – und für gut oder schlecht befunden, als möglich oder als Wahlkampf-Lüge. Da bleibt Frankreich eben doch die Wiege der Demokratie.

Das ist Macrons Chance. Weil er sich schon beweisen konnte. Das hat vielen gefallen und manchen nicht. Macron wird nicht geliebt. Aber respektiert wird er. Le Pen musste noch nicht beweisen, was sie kann. Und man darf Zweifel haben, dass die Franzosen am Montag in zwei Wochen mit einer Präsidentin Le Pen aufwachen wollen – in dieser größten Krise Europas seit sehr, sehr vielen Jahren.

Quelle: ntv.de

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