„Wir schaffen es nicht mehr. Wir sind jenseits aller Limits.“ Mit seinem verzweifelten Migrations-Notruf bei „Hart aber fair“ spricht Sachsens Innenminister Armin Schuster (62, CDU) auch vielen der fast 300 Landräte in Deutschland aus der Seele.
Beispiel Burgenlandkreis (177 000 Einwohner) im Süden von Sachsen-Anhalt.Seit fast zehn Jahren ist Schusters Parteifreund Götz Ulrich (54) dort Landrat. Er sagt zu BILD, dass sein Landkreis jedes Jahr 500 Asylbewerber integrieren könnte.
Tatsächlich gekommen sind im vergangenen Jahr 628 Menschen. Dazu kommen 296 Ausreisepflichtige, rund 2000 Asylberechtigte und 5200 Flüchtlinge aus der Ukraine. Das sind mehr als 8000 Männer, Frauen und Kinder. Ulrich: „Das überfordert in dieser Dimension.“
Die Folgen sind jeden Tag zu spüren: Lange Wartelisten für Sprachkurse und Schulen, überfüllte Kindertagesstätten.
Landrat Ulrich hofft nicht mehr auf Hilfe aus Berlin. Über den Flüchtlings-Gipfel von Bundeskanzler Olaf Scholz (65, SPD) mit den 16 Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche sagt er sarkastisch, der habe seine Erwartungen voll erfüllt. „Ich habe nämlich nichts erwartet.“
Im Gespräch mit BILD nennt der CDU-Politiker aus Sachsen-Anhalt drei Probleme, die sich eigentlich ohne großen Aufwand und sogar ohne viel Geld lösen lassen würden – wenn die Verantwortlichen im Bund das nur wollten.
▶︎ Sprachkurse. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) fordert Lehrer mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, nämlich Deutsch als Fremdsprache oder Zweitsprache.
„Solche Leute sind wie Goldstaub und nicht mehr zu finden. Die Anforderungen sind für die derzeitige Lage einfach zu hoch.“
Landkreis eröffnete erste Schule für Flüchtlingskinder
Damit die Geflüchteten schneller Deutsch lernen, bietet der Burgenlandkreis inzwischen eigene Kurse an. Anfang März eröffnete der Kreis in Weißenfels sogar Deutschlands erste Schule nur für Flüchtlingskinder.
Beim BAMF abrechnen kann der Landrat die Ausgaben dafür nicht, weil die Lehrer nicht die geforderten Abschlüsse haben. Allein für die Schule sind das 170 000 Euro für den Kreis im Jahr. Die Kosten für die Lehrer übernimmt in diesem Fall das Land.
Flüchtlinge sollen schneller in Arbeit kommen
▶︎ Arbeitsplätze. Im Burgenlandkreis gibt es 3500 offene Stellen. Darunter einfache Tätigkeiten, für die man kein Deutsch können muss. Für den Landrat wäre es „das Beste, wenn die Leute beschäftigt sind, ihr eigenes Geld verdienen und niemandem auf der Tasche liegen. Ganz unabhängig von ihrer Bleibeperspektive.“
Es liegt oft nicht an den Flüchtlingen, wenn diese nicht arbeiten. „Auch wenn es natürlich auch unter ihnen Menschen gibt, die nicht arbeiten wollen.“
Der Landrat kritisiert, dass Geflüchtete, wenn sie ihren Asyl-Antrag gestellt haben, drei Monate nicht arbeiten dürfen. Und dass sie, wenn ihre Arbeitserlaubnis endlich da ist, auf eine Freigabe durch die Agentur für Arbeit warten müssen.
▶︎ Abschiebung. 76 Flüchtlinge hat der Burgenlandkreis im vergangenen Jahr abgeschoben, darunter zwölf Straftäter – mehr als jeder andere Landkreis in Sachsen-Anhalt. Aktuell gibt es 296 Ausreisepflichtige, die nicht wegkönnen. Meist, weil ihre Heimatländer die Rücknahme verweigern.
Der Landrat hofft auch hier wenigstens auf eine kleine Änderung. „Wenn die Staatsanwaltschaft Straftäter aus Ländern, die kooperieren, sofort zur Abschiebung freigeben würde. Direkt aus der U-Haft.“ Ohne Gerichtsverhandlung. Ohne Haftstrafe. „Das kostet alles nur unnötig Zeit und Geld. Und wenn wir Pech haben, werden die Verurteilten aus der Haft entlassen und tauchen ab.“
Den verzweifelten Migrations-Notruf von Sachsens Innenminister bei „Hart aber fair“ konterte Grüne-Fraktionschefin Katharina Dröge (39) mit dem Hinweis: „Die Mehrheit der Kommunen bei uns sagt, die Situation ist herausfordernd, aber machbar.“
Landrat Götz Ulrich geht ein solcher Satz ganz bestimmt nicht mehr über die Lippen.