Bundesrechnungshof warnt vor Engpässen

E-Autos und Wärmepumpen: So wahrscheinlich ist eine Überlastung des Stromnetzes

10.03.2024
Lesedauer: 6 Minuten
Reicht der Strom für alle Wärmepumpen und E-Autos? Bildquelle: IMAGO/Christian Ohde

Der private Stromverbrauch wird deutlich steigen, weshalb die Verteilnetze und die grüne Erzeugung zügig ausgebaut werden müssen. Das geht aber nur schleppend voran. Besteht ein Risiko, dass man im Winter im Kalten sitzt?

Es wäre ein Horrorszenario: An einem kalten Wintertag fällt die Wärmepumpe aus, und man muss in der eigenen Wohnung vor sich hin schlottern. Und zumindest ärgerlich wäre es, wenn man abends sein Elektroauto an die Wallbox anschließt, es aber nicht geladen wird. Beide Fälle sind denkbar: Wenn nämlich in einer Straße 50 Wärmepumpen auf Volllast laufen oder 50 Autos gleichzeitig laden wollen, kann das Netz in die Knie gehen. Diese Lastspitzen sind ein Problem für die Energiewende.

E-Autos und Wärmepumpen – Dieses Problem droht bei der Energiewende

Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass bis 2037 in Deutschland etwa zwölf Millionen Wärmepumpen installiert sein werden; heute sind es 1,5 Millionen. Der Stromverbrauch läge dann bei rund 60 Terawattstunden. Zudem erwartet die Behörde 19 bis 25 Millionen E-Autos in 2037; derzeit sind es 1,4 Millionen. Rund 55 Terawattstunden benötigte man dann für die Autos. Der gesamte Stromverbrauch dürfte sich laut den Prognosen auf 1000 Terawattstunden verdoppeln.

Das sind viele Zahlen, und was kann man jetzt daraus lesen? Vor allem zwei Punkte. Erstens: Der Strombedarf für Wärmepumpen und E-Autos steigt zwar gewaltig – laut einer Prognos-Studie allein bis 2030 um das Fünfzehnfache –, macht aber 2037 doch „nur“ rund zwölf Prozent des Gesamtverbrauchs aus. In Stuttgart, wo die Stadt mit 40.000 Wärmepumpen rechnet, liegt der Anteil in der gleichen Größenordnung. Es ist also nicht so, dass ausschließlich diese zwei Bereiche die Stromversorger in die Bredouille bringen. Der Ersatz von Gas und Öl in der Industrie, die Erzeugung von Wasserstoff oder die Produktion von Batterien sind ebenfalls wichtige Stromabnehmer.

Stromnetz muss in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden

Die zweite Erkenntnis: Die Dimension des jetzigen Netzes ist mitnichten auf den künftigen Verbrauch ausgerichtet, wenn künftig doppelt so viel Strom transportiert werden muss. Hier liegt der Hase im Pfeffer, der Ausbau der Netze ist eine dramatisch zentrale Aufgabe für das Gelingen der Energiewende. Allein die Länge der Fernleitungen mit Höchstspannung muss um 40 Prozent, konkret um 14 000 Kilometer, aufgestockt werden.

Im sogenannten Verteilnetz mit Hoch-, Mittel- und Niederspannung wollen die Betreiber allein bis 2032 rund 18.500 Kilometer an Leitungen optimieren oder neu bauen. Stuttgart Netze will allein jährlich einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investieren. Das werde man in Stuttgart auch sehen und spüren mit vielen Baustellen, so Karoline von Graevenitz, die Sprecherin der Netze Stuttgart.

Dieser Ausbau, an sich schon eine Mammutaufgabe, wird noch erheblich erschwert durch fehlendes Fachpersonal und lange Genehmigungsverfahren. Der Begriff „herausfordernd“ fällt deshalb in Zusammenhang mit dem Netzausbau ziemlich oft.

Neue Regelung soll Betrieb von Wärmepumpen sichern

Doch wie wahrscheinlich ist es nun, dass man als Besitzer einer Wärmepumpe wegen einer Netzüberlastung im Winter frieren muss? Im Moment gebe es in ihrem Netz kein Risiko von Engpässen, die durch Wärmepumpen und E-Autos verursacht seien, so Selma Lossau, die Leiterin Netzanschluss bei der Netze BW. Auch Karoline von Graevenitz betont, dass Netzüberlastungen in der Vergangenheit kein Problem dargestellt hätten.

Und wie hoch ist das Risiko in der Zukunft? Antwort: Das kommt darauf an. Für Geräte, die seit dem Jahresbeginn angeschlossen wurden, liegt das Risiko theoretisch bei Null. Denn der Bund hat eine neue Regelung erlassen, nach der ein Netzbetreiber keine Wärmepumpe oder Ladesäule einfach abschalten darf.

Er darf übrigens auch die Inbetriebnahme nicht mehr verweigern oder verzögern. In der Vergangenheit kam das vor – der Wohnungskonzern Vonovia beklagte vergangenes Frühjahr, dass er 70 Prozent seiner installierten Wärmepumpe mangels Genehmigung nicht nutzen könne.

Netzbetreiber dürfen Strommenge reduzieren

Die Gegenleistung für diese gesetzliche Funktionsgarantie: Die Netzbetreiber dürfen die gelieferte Strommenge begrenzen, sodass Wärmepumpen vorübergehend nicht mit maximaler Leistung laufen können. Eine Mindestleistung von 4,2 Kilowatt muss aber gewährleistet bleiben.

Damit kann trotz aller übrigen Stromabnehmern im Haus auch eine Wärmepumpe ausreichend heizen; womöglich kann dann aber nicht mehr gleichzeitig ein Auto geladen werden.

Einen finanziellen Ausgleich für diesen Eingriff erhält der Eigentümer obendrein. In der Praxis können die Netzbetreiber aber wegen noch fehlender technischer Eingriffsmöglichkeiten die Stromzufuhr gar nicht drosseln. Engpässe bleiben also zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen.

Experten schätzen Abschalt-Gefahr aktuell als gering an

Und für die Geräte, die vor 2024 ans Netz gingen, gilt die Regelung sowieso erst ab 2029. Bei den Netzen BW heißt es dazu: Abschaltungen sei nur als letztes Mittel vorgesehen, womit man aktuell nicht rechne. Die Netze Stuttgart sehen keine Gefahr. Auch Michael Reifenberg, ein Sprecher der Bundesnetzagentur, betont, dass seine Behörde insgesamt „allenfalls mit geringen Einschränkungen und auch nicht mit wesentlichen Komforteinbußen“ rechne.

Mittelfristig sei die neue Regelung ein „echter Gamechanger“, sagt Selma Lossau. Denn so werde das Netz vor Überlastung geschützt, ohne dass die Verbraucher Abschaltungen befürchten müssten.

Digitale Stromzähler wichtige Neuerung für Netzbetreiber –  doch es gibt ein Problem

Die noch einzubauende Technik besteht vor allem aus sogenannten Smart meter-Geräten. Mit diesen digitalen Stromzählern im Keller der Bürger erhalten die Netzbetreiber wichtige Daten, um den Stromfluss optimal zu steuern, indem sie etwa Ladezeiten für E-Autos zuteilen, oder um im schlimmsten Fall Geräte zu dimmen.

Nur: Der Austausch hat mangels genehmigter Geräte und wegen unklarer Datenschutzvorgaben noch kaum begonnen, Deutschland steht laut der Forschungsstelle für Energiewirtschaft beim Austausch der Zähler innerhalb der Europäischen Union an drittletzter Stelle. Während etwa in Dänemark, Schweden, Estland oder Italien nahezu 100 Prozent der Zähler bereits digital sind, waren es in Deutschland im Jahr 2022 weniger als ein Prozent.

Seit April letzten Jahres gibt es nun ein entsprechendes Gesetz, das den Austausch bis 2032 zur Pflicht macht. Karoline von Graevenitz spricht für ihr Unternehmen von einem Mammutprojekt. Gut aber für die Verbraucher: Ab 2025 sollen alle Stromversorger parallel dynamische Tarife anbieten – dann können die Menschen auf ihrem Smart meter schauen, wann der Strom günstig ist und ihren Verbrauch entsprechend steuern.

Deutschland soll bis 2037 größtenteils mit grünem Strom laufen – der Bundesrechnungshof warnt

Auch wenn es wie eine Binsenweisheit klingt: Wichtig für das Funktionieren von Wärmepumpen und das Laden von E-Autos ist auch, dass genügend Strom erzeugt wird. Letztlich könnten die Energieversorger zwar Atomstrom aus Frankreich oder Wasserkraftstrom aus Norwegen importieren, wenn hier zu wenig produziert würde.

Aber natürlich ist es das Ziel, soviel Strom wie möglich in Deutschland zu produzieren und vor allem möglichst viel regenerativen Strom. Im Jahr 2023 wurden 252 Terawattstunden grüner Strom hergestellt; im Jahr 2037 sollen es nach den Prognosen der Bundesnetzagentur gut 900 sein. Dann wären 90 Prozent grün.

Der Bundesrechnungshof hat jedoch vor wenigen Tagen kritisiert, dass die Energiewende nicht auf Kurs sei. Beim Ausbau der Windkraft müsse man ab 2024 jährlich 7,7 Gigawatt zubauen; 2023 seien es nur 2,9 Gigawatt gewesen. Beim Ausbau der Netze liege der Bund sieben Jahre und 6000 Kilometer zurück. „Die Versorgungssicherheit ist gefährdet“, urteilt der Bundesrechnungshof. Eine schallende Ohrfeige? Nicht alle Kritikpunkte des Berichts halten einer näheren Überprüfung stand. Drei Probleme jedoch gefährden die Energiewende tatsächlich.

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