Berlin – Jeden Tag holt der Kurier die Ware am frühen Morgen aus einer leerstehenden Wohnung im gutbürgerlichen Friedenau, nimmt S-und U-Bahn zum Südstern, schließt hier sein Rad auf und fährt in die Hasenheide. Observiert von Ermittlern der Polizei Berlin. Er ist aus Guinea geflüchtet, so wie Ismael, einer seiner Abnehmer im Park. Der steht groovig an sein Rad gelehnt im Schatten einer Eiche, während im Gebüsch nebenan seine Kumpel bei Kundschaft durchsichtige Tütchen mit Marihuana aus dem Boden buddeln und auf der anderen Seite des Baumes eine Seniorengruppe Gymnastik macht. „Corona ist eine Katastrophe“, sagt der 30-Jährige, bis zur Hälfte des Umsatzes sei weggebrochen. An diesem Vormittag kommen zwei auf englisch anfragende Frauen in kurzen Faltenröcken, drei mutmaßliche Studenten, ein Batik-Freak und ein nerdiger Rollstuhlfahrer.
Ein Stammgast, sagt Khalid, doch das letzte Jahr habe die Käufer abgeschreckt: „Viele Monate hatten wir nur schlechtes Albaner-Gras, wirklich keine gute Qualität. Aber was sollten wir machen? Von Spanien kam nichts mehr über die Grenze, von hier konnte keiner kurz nach Holland fahren.“ Auch aus den Plantagen in der Region sei nichts gekommen. Er trägt ein Adidas-Muskelshirt und Basecap, gehört zu einer Gruppe Westafrikaner, sie seien eine Art Familie, die eigenen Angehörigen lebten in Guinea, Guinea-Bissau, Ghana, Gambia, dem Senegal und so weiter. Er arbeite in einer Fabrik, die Einkünfte aus der Hasenheide seien „Taschengeld“. Fast alle aus seiner Gruppe hätten Jobs, im Reinigungsbereich, in der Gastro, zumindest gelegentlich.
„Tarnung des eigenen Tätigkeitsfeldes“, so bezeichnet es Polizeioberrat Florian Nath, 45, „zudem minimiert das die Gefahr einer Untersuchungshaft, wenn sie erwischt werden.“ Seit Februar 2020 leitet Nath die Brennpunktinspektion in der Direktion 5, der neuen Direktion City, mit fünf spezialisierten Kommissariaten geht er gegen die Kriminalität an den innerstädtischen Hot-Spots und den Netzwerken dahinter vor. Seither ist Pandemie und jenseits der Hasenheide verschieben sich die Verhältnisse, etwa bei den Geschäftsbeziehung. Wenn Lieferketten plötzlich wegfallen, ist das „wie an der Börse“, sagt Chef-Ermittler Nath. „Da geht es nur noch darum, wer kann was zu welchem Preis bringen, wie ist die Qualität. Das geht über mehrere Mittelsmänner, bringt sehr verschiedene Menschen zusammen.“
Die albanische Mafia gehört zu den Corona-Gewinnern
Überraschungen gibt es immer wieder. Im Görlitzer Park nahmen seine Zivilbeamten die Lieferanten eine Gruppe Westafrikaner ins Visier, die „Rosengartenbande“. Nach Observierungen und Telefonüberwachung schauten Nath und Kollegen ungläubig auf die Youtube-Videos eines bekannten Berliner DJs. „80er Jahre Revival-Verschnitt, dabei auf großen Gangster machen, nicht schön“, ordnet der Inspektionsleiter Kleidungs- und Musikstil des Mannes aus Guinea ein. „Der war in der Community total angesagt, auf den hätte ich nicht gewettet.“ In einer Wohnung verhafteten Einsatzkräfte den Mittvierziger, einen Gehilfen und zwei albanische Lieferanten, beschlagnahmten Cannabis im zweistelligen Kilobereich und 170.000 Euro. Der DJ ist schon verurteilt, dreieinhalb Jahre, „er hatte Glück, dass er keine Waffe dabei hatte“.
Die albanische Mafia gehört zu den Corona-Gewinnern. Ihr Wettbewerbsvorteil: Sie arbeitet bevorzugt ohne Zwischenlieferanten, ob beim Cannnabistransport aus der Heimat oder beim Koksimport aus Südamerika. Nath: „Die sind extreme Logistiker, dummerweise auch sehr gefährlich.“ In Berlin herrschen tödliche Revierkämpfe, entlang der europäischen Schmuggelrouten beobachtet Europol eine steigende Gewalt unter Lieferanten und Zwischenhändlern, die Albaner nehmen es mit der italienischen und kolumbianischen Mafia auf, bekriegen sich aber auch untereinander.
Auch auf der berüchtigten Achse des offenen Drogenverkaufs ist Bewegung. Sie liegt innerhalb der Grenzen der Direktion 5, reicht vom Kottbusser Tor über den Görlitzer Park, den Wrangelkiez und dem Schlesischen Tor hinüber zur Warschauer Straße und dem RAW-Gelände, wo Covid-19 den Handel zum Erliegen brachte, keine Partys, keine Touristen. „Aber seit einigen Wochen erleben wir ein absolute Trendwende“, sagt Florian Nath.
Cannabis, Amphetamine, Kokain, Ecstasy und LSD
Die soll es auch im Görlitzer Park geben. Hier sind die Drogenhändler misstrauisch. Gespräch mit einer Journalistin? Wer sagt denn, dass da nicht die Polizei hinter steckt? Die vervielfachte in 2020 hier ihre Einsatzstunden, insbesondere durch die Brennpunkt- und Präsenzeinheit (BPE) der Direktion 5, die mit 125 Polizisten an den einschlägigen Orten, aber schwerpunktmäßig im Görlitzer Park unterwegs ist. Sie beschlagnahmte 10.000 verkaufsfertige Einheiten Drogen, zumeist Cannabis, aber auch Amphetamine, Kokain, Ecstasy und LSD, dazu 249 Festnahmen. Die Brennpunktinspektion übernimmt die Ermittlungen, laut Konzept konzentrieren sie sich auf besonders gewalttätige Mehrfachtäter. „Dieses Jahr steuern wir 100 Untersuchungshaftbeschlüsse an“, sagt Florian Nath mit Bezug auf das Gebiet Görlitzer Park, Wrangelkiez und Kottbusser Tor. 54 waren es Stand Ende Juli, 62 im vergangenen Jahr.


Westafrikaner, die hier wie in der Hasenheide den Großteil der Drogenhändler stellen, gelten in der Regel gelten als Wirtschaftsflüchtlinge. Mindestens 15 Männer aus dem Görlitzer Park wurden in diesem Jahr von einer Delegation aus Guinea als Landsmänner identifiziert, Innensenator Geisel kündigte die Rückführung an. Die Praxis spaltet die Gemüter, so wie der Park überhaupt. Kiez-Initiativen fordern Tätigkeitsalternativen für die Männer, oft traumatisiert von der Flucht und im Schock aussichtsloser Asylverfahren. Andere Anwohner fordern ihren Park zurück, der kippte, als vor rund zehn Jahren die harte Drogen Einzug hielten.
Die Behörden erzielen den gewünschten Effekt: Etliche Verkäufer sind in letzter Zeit gegangen, heißt es aus den Communities, freiwillig zurück nach Baden-Württemberg, Bayern, Italien, dorthin, wo sie gemeldet sind. Die Nebenwirkung: An ihre Stelle sollen gerade Flüchtlinge aus Brandenburg rücken. Zwei Kilometer südlich kontrollieren Drogenhändler Personalausweise. „Wir verkaufen nicht an unter 18-jährige“, sagt Ismael. Kein Witz, Zivilbeamte haben es in der Hasenheide beobachtet. Die Gruppe um Ismael hat nach blutigen Revierkämpfen mit den Arabern ihre Macht durchgesetzt. Baba, mit über 50 einer der Senioren der Clique, erzählt vom Treffen aller Parkdealer vor etwa acht Jahren, bei dem sie die Regeln verkündeten: Kein Verkauf an Minderjährige, an Leute in Begleitung von Kindern, keine harten Drogen, nur noch Marihuana, auch kein Hasch, weil da oft Mist drin sei. Wer sich nicht daran hält, fliegt. Auch wer sonst negativ auffällt.
Covid-19 verschärft einen gefährlichen Trend
Florian Nath bestätigt, dass sich durch „bestimmte Schlüsselpersonen“ die Verhältnisse im Park änderten, es sei „unheimlich friedlich“. 2016 strich die Polizei die Hasenheide aus der Liste kriminalitätsbelasteter Orte, wo sie verdachtslos Personen kontrollieren darf. Doch „gute Dealer, böse Dealer“ will der Ermittler nicht gelten lassen. Es seien Straftäter, „die alle erfolgskritischen Faktoren minimieren“. Er verweist auf die großen Gewinnmargen und die Gesundheitsgefährdung, auch beim Marihuana, „da wird gepanscht und gestreckt.“
Covid-19 verschärft seit den Lieferengpässen im ersten Lockdown einen gefährlichen Trend: Legale oder minderwertige Hanfprodukte werden mit einer toxischen Mischung besprüht, den sogenannten synthetische Cannaboiden, unsichtbar, geruchs- und geschmacksneutral imitieren sie den Rausch mit vielfacher Wirkung. Experten warnen vor der Zunahme und den Folgen, im Netz berichten Konsumenten von Wahnvorstellungen und Kreislaufzusammenbrüchen. „Ich dachte, meine Organe schmelzen“, so eine Userin.