Schweden

Die Schwedendemokraten werden salonfähig

14.07.2021
Lesedauer: 4 Minuten
Der Parteivorsitzende der rechtspopulistischen SD, Jimmie Åkesson, in Nyköping, Schweden am 7. September 2018. Michael Campanella / Getty Images Europe

Die rechtsnationalen Schwedendemokraten polarisieren. Während der Mitte-links-Block die Partei ächtet, öffnen sich bürgerliche Parteien für eine Zusammenarbeit. Auf lokaler Ebene sind pragmatische Schulterschlüsse mit den Rechtspopulisten vielerorts schon Realität.

In der schwedischen 10 000-Seelen-Gemeinde Surahammar ist Historisches geschehen: Die Sozialdemokraten verloren im Juni erstmals seit hundert Jahren die Macht. Schlimmer noch: Der bisherige Koalitionspartner, die Zentrumspartei, macht gemeinsame Sache mit den rechtsnationalen Schwedendemokraten (SD) und drei bürgerlichen Parteien. Diese Konstellation ist auf nationaler Ebene tabu. Die Zentrumspartei – der in Schwedens jüngster Regierungskrise eine wichtige Rolle zukam – hat es sich zum Credo gemacht, nicht mit den «Extremparteien» zusammenzuarbeiten, zu denen sie neben den SD auch die Linkspartei zählt. Während also die Mutterpartei Abstand nimmt von der unheiligen Allianz in Surahammar, verweist der lokale Zentrumspolitiker auf die politischen Realitäten: Der Schulterschluss mit den SD habe keinerlei ideologischen Hintergrund: Es gehe schlicht um das Wohl der Gemeinde, die wieder eine Führung brauche.

Surahammar ist kein Einzelfall. Landesweit sind die Schwedendemokraten in einem halben Dutzend Gemeinden am Ruder in Koalitionen, die die Bürgerlichen als «wahltechnisch» verteidigen. Vor allem in den südschwedischen Kernlanden, wo die Rechtsnationalisten 2018 in jeder dritten Gemeinde zur stärksten Kraft aufgestiegen waren, ist es schwer, sie von der Macht fernzuhalten. Die rechte Opposition kooperiert zudem in vielen rot-grünen Kommunen mit den Schwedendemokraten in Bereichen wie Finanzen, Arbeitsmarkt, Schul- und Gesundheitswesen, Altenbetreuung und Sicherheit.

Ideologische Grabenkämpfe contra Realpolitik

Das Beispiel Surahammar zeigt die Problematik, mit der sich Schwedens Politik seit einem Jahrzehnt herumschlägt: Soll man ideologische Gräben betonen oder sich auf die Realpolitik konzentrieren? Soll man in selbstgewählter Opposition verharren, um eine unerwünschte Partei fernzuhalten, oder sachpolitische Gemeinsamkeiten suchen, um bürgerliche Mehrheiten zu bilden?

Die Schwedendemokraten schafften 2010 den Einzug ins Parlament in Stockholm, wurden wegen ihrer ausländerfeindlichen Position jedoch von allen andern Parteien geschnitten. Ihrer Popularität tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil: 2014 konnten sie den Wähleranteil mit 12,9 Prozent mehr als verdoppeln, und vier Jahre später wurden sie mit 17,5 Prozent der Stimmen gar drittgrösste Kraft im Reichstag. Die Hoffnung der anderen Parteien, die SD durch hartnäckiges Ignorieren marginalisieren zu können, hatte sich nicht erfüllt. Der Opferstatus und das Versprechen einer schärferen Flüchtlingspolitik verhalfen den Rechtsnationalen zu neuen Stimmen enttäuschter Bürger von rechts wie links. Die Pattsituation zwischen den Blöcken komplizierte die Regierungsbildung. Nach rekordlangen 129 Tagen übernahm im Januar 2019 erneut die rot-grüne Koalition das Ruder, unterstützt von Zentrum und Liberalen, die der bürgerlichen Allianz damit ein Ende setzten. Die Ausgrenzung der Schwedendemokraten war jedoch illusorisch: Die Partei stimmte mal mit dem einen, mal mit dem andern Block und war oft Zünglein an der Waage.

Der Widerstand bröckelt

Auch die jüngst überwundene Regierungskrise – Stefan Löfvens rot-grünes Kabinett ist seit vergangenem Freitag trotz verlorenem Misstrauensvotum wieder im Amt, weil die Opposition keine mehrheitsfähige Regierung zustande brachte – war in vielem dem Versuch geschuldet, die Schwedendemokraten zu isolieren. Mit der selbstgewählten Opposition soll nun Schluss sein, die Anti-SD-Mauer bröckelt. Nach den Moderaten (Konservativen) und den Christlichdemokraten haben im Frühling auch die Liberalen eine Kehrtwende vollzogen und sind bereit, mit den Rechtsnationalen zusammenzuarbeiten. Eine Regierungsbeteiligung der Schwedendemokraten nach der Wahl 2022 schliessen die Bürgerlichen allerdings aus.

Der Regierungschef Löfven warnt derweil vor einer Gefährdung des demokratischen Systems, sollten die Rechtspopulisten Einfluss auf eine bürgerliche Koalition erhalten. Obwohl der Parteichef Jimmie Akesson alles daransetzte, den braunen Anstrich der Schwedendemokraten wegzuwaschen, sind die neonazistischen, rechtsextremen Wurzeln der 1988 gegründeten Partei nicht vergessen. Akesson, der das Steuer 2005 übernahm, verpasste der nationalistischen Bewegung Disziplin und führte Nulltoleranz gegenüber rassistischen Entgleisungen ein. Offiziell nennt man sich seit einem Jahrzehnt «sozialliberal» und setzt sich für die Bewahrung der schwedischen Kultur und der schwedischen Traditionen ein sowie für die heteronormative Kernfamilie; in wirtschaftspolitischen Fragen nimmt man eine populistische Haltung ein.

Die wichtigsten Themen bleiben aber Einwanderung, Integrationspolitik und Verbrechensbekämpfung. Lange Jahre fand die Partei kein Gehör für ihre restriktive Linie, doch diese Zeiten sind vorbei: Jüngst präsentierten Liberale, Moderate, Christlichdemokraten und Schwedendemokraten einen strengeren Gegenvorschlag zur Migrationsreform der Regierung. Die Oppositionsparteien unterlagen jedoch knapp und werden die Frage nun zu einem Wahlkampfthema machen. Das freut die Rechtsnationalisten: Laut Meinungsumfragen haben sie derzeit jede fünfte Stimme auf sicher.

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