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Die neuen AfD-Protestwähler sind anders als gedacht

27.06.2023
Lesedauer: 5 Minuten
Im Landkreis Sonneberg wurde am Sonntag AfD-Kandidat Robert Sesselmann zum Landrat gewählt. (Foto: IMAGO/Jacob Schröter)

Die AfD wächst in Umfragen zur zweitstärksten Partei in Deutschland und hat nun eine erste Landratswahl in Thüringen mit 52,8 Prozent gewonnen. Doch wer folgt den Rechtspopulisten tatsächlich? Und was wollen sie wirklich?

Wer sind die Millionen Deutschen, die plötzlich aus Protest über die Berliner Politik zu AfD-Sympathisanten werden? Meinungsforscher und Soziologen haben die Milieus genau untersucht – ihre Ergebnisse sind verblüffend. Das gefühlte Bild von älteren Missmutigen und abgehängten Rechten aus sozialen Brennpunkten ist falsch. Die neuen AfDler sind wohl situiert, mittleren Alters und leben in friedlichen Landstrichen. Auch der Bildungsgrad zeigt, dass es sich eher um die Mitte der Gesellschaft handelt. Immer mehr Arbeiter und Gewerkschaftsmitglieder kommen hinzu – für die SPD ein Alarmsignal. Vor allem, da die neuen Protestwähler zugleich klare Forderungen an die SPD-geführte Regierung haben.

1. Generation Mittelalt: Das Klischee der AfD-Opas war schon immer falsch. Gefühlt handelt es sich bei den Rechtspopulisten um eine grimmige Betagten-Bewegung älterer Herrschaften. Tatsächlich aber zeigt die Auswertung nach den Bundestagswahlen 2017 und 2021 wie auch eine aktuelle Forsa-Umfrage, dass vor allem die mittlere Generation AfD wählt. Bei den 30- bis 44-Jährigen geben überdurchschnittliche 21 Prozent an, AfD wählen zu wollen, unter den 45- bis 59-Jährigen sind es sogar 24 Prozent. Bei den Über-Sechzig-Jährigen, den Alten und den Jungen hingegen verfängt die AfD dagegen deutlich weniger. Unter den Alten und Rentnern neigen nur 15 Prozent der AfD zu. Unter den Schülern und Studenten sogar nur 5 Prozent der Befragten.

2. Berufstätige: Eine Untersuchung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2019 zeigt, dass der Anteil der Arbeiter in der AfD-Gefolgschaft überraschend hoch ist. In Sachsen und Brandenburg wählen 41 beziehungsweise 44 Prozent der Arbeiter AfD, bei Rentnern liegt der Anteil nur bei 21 und 15 Prozent.

Bei der Bundestagswahl 2021 war die AfD in der Arbeiterschaft nach der SPD bundesweit bereits die zweitbeliebteste Partei, zeigen Zahlen von Infratest dimap. Die Wählerschaft wirkt also fest im Arbeitsleben verankert – und vergrößert sich genau dort. Forsa ermittelte, dass sogar 19 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder derzeit angeben, die AfD wählen zu wollen. Dabei grenzen sich die deutschen Gewerkschaften entschieden von der AfD ab. Hier zeigt sich, dass in der traditionell der SPD zugewandten Arbeiterschaft die Wechselbereitschaft zur AfD viel größer ist als landläufig vermutet.

3. Wohlsituierte: Auch das Bild des abgehängten, sozial schwachen AfD-Wählers ist falsch. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kam bei einer Tiefenstudie der AfD-Anhänger schon 2016 zu dem Ergebnis, dass AfD-Wähler mit ihrem Verdienst sogar über dem Durchschnitt der Bevölkerung liegen. In Regel sind sie sicher beschäftigt und gut situiert. 73 Prozent der AfD-Wähler haben bei der letzten Bundestagswahl angegeben, dass ihre wirtschaftliche Situation „gut“ sei. Auch im Wahlkreis Sonneberg, wo die AfD jetzt bei der Landratswahl auf 52,8 Prozent der Stimmen gekommen ist, ist die Arbeitslosenquote seit Jahren eine der niedrigsten in Thüringen, derzeit liegt sie bei 5,1 Prozent.

4. Ländlicher Raum: Auch die Vorstellung, das AfD-Milieu speise sich aus Plattenbausiedlungen und sozialen Brennpunkten in Ballungsräumen, ist falsch. Der Zuspruch zur AfD ist vor allem dort am größten, wo das Idyll zu Hause scheint – auf dem Land. Die Forsa-Umfrage zeigt: Bewohner von Orten mit weniger als 5000 Einwohnern geben zu 25 Prozent an, AfD wählen zu wollen. In Orten zwischen 5000 und 25.000 Einwohnern sind es 21 Prozent. Unter den Bewohnern von Städten zwischen 100.000 und 500.000 Einwohnern liegt die Zustimmung zur AfD nur bei 14 Prozent. In den noch größeren Städten sind es nur 12 Prozent. Tatsächlich fährt die AfD bislang im ländlichen Raum ihre besten Wahl- und Umfrageergebnisse ein, während der Zuspruch in Großstädten bislang gering ausfiel. Es ist genau umgekehrt wie bei den Grünen, die auf dem Land schwach punkten und in den Metropolen ihre Hochburgen haben.

5. Sie wissen genau, wogegen sie protestieren: Die häufig verbreitete Einschätzung, es handele sich bei AfD-Wählern um „diffuse“ Abstiegs-, Modernisierungs- oder Zukunftsängste, ist ebenfalls nicht haltbar. AfD-Sympathisanten haben sehr klare Vorstellungen, wogegen und warum sie protestieren. Die Unzufriedenheit mit der Ampelregierung – dramatisch beschleunigt durch das geplante Heizungsgesetz – ist Auslöser des aktuellen AfD-Höhenfluges. Bemerkenswerte 79 Prozent der Deutschen sind mit der Bundesregierung weniger oder gar nicht zufrieden. Für die Regierung aus SPD, Grünen und FDP ist das der mit Abstand schwächste Wert im ARD-Deutschlandtrend.

Es gibt drei klare inhaltliche Motive, was die neuen Rechten bei der Ampelpolitik besonders stört: Laut ARD-Deutschlandtrend geben AfD-Sympathisanten als ihr mit Abstand größtes Motiv (65 Prozent) die Zuwanderung und Migrationspolitik an (pdf). An zweiter Stelle (47 Prozent) folgt die Verärgerung über die Energie-, Umwelt und Klimapolitik, an dritter Stelle (43 Prozent) die Sorge um die Wirtschaft. Alle anderen Motive folgen weit abgeschlagen.

Für die Ampelparteien wie für die CDU ist dieser Fünf-Punkte-Befund brandgefährlich. Denn der deutsche Rechtspopulismus bricht – ähnlich wie in vielen anderen europäischen Staaten zuvor – in die Mitte der Gesellschaft ein. Die Gefolgschaft hat die generationelle, soziale und geografische Peripherie verlassen und breitet sich im Zentrum der Gesellschaft aus, sogar in gefestigten Milieus wie der gewerkschaftsgebundenen Arbeiterschaft. Der Befund zeigt aber zugleich, dass der Protest wesentlich vom ungelösten Hauptproblem der Migration und dem Ärger über die Klimapolitik genährt ist. Sollte die Regierung beides lösen, könnte die Protestbewegung auch schnell wieder implodieren. Denn 75 Prozent der Deutschen sind laut ZDF-Politbarometer der Meinung, dass die AfD nur gewählt wird, um den anderen Parteien einen Denkzettel zu verpassen.

Quelle: ntv.de

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